Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz:Stress lass nach!

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Der Krankenstand in Deutschland ist seit Jahren niedrig. Nur bei den psychischen Leiden gibt es eine deutliche Zunahme. Ist unser Arbeitsalltag so viel stressiger als früher?

Miriam Hoffmeyer

Büroarbeit gilt als ungesund: Schließlich hat die Evolution den Menschen nicht dazu geformt, stundenlang stillzusitzen, auf Bildschirme zu starren und abgestandene Luft aus Klimaanlagen einzuatmen. Trotzdem stellen Aktenregale immer noch ein gesünderes Arbeitsumfeld dar als beispielsweise Bäume: Waldarbeiter melden sich besonders oft und lange krank. Die Krankenstands-Statistiken zeigen, dass körperlich anstrengende Arbeit an der frischen Luft trotz aller Fortschritte beim Arbeitsschutz immer noch die größten Gesundheitsrisiken birgt.

Ist der Stress Schuld? Psychische Krankheiten nehmen unter Arbeitnehmern weiterhin zu. (Foto: dpa)

Die gesündesten Arbeitnehmer sind dagegen gebildete Büromenschen wie IT-Fachleute, Ingenieure und Professoren. So meldete sich nur ein Viertel der bei den AOK versicherten Hochschullehrer im Verlauf des Jahres 2009 überhaupt krank. Bei den Straßenreinigern lag der Anteil dagegen bei drei Vierteln. Anders gerechnet: Jeder Hochschullehrer war im Schnitt an fünf Tagen krankgeschrieben, jeder Straßenreiniger an 29 Tagen.

Im öffentlichen Dienst ist der Krankenstand seit je besonders hoch, unter anderem wegen des höheren Anteils älterer und schwerbehinderter Arbeitnehmer. Innerhalb des öffentlichen Dienstes gibt es jedoch ebenfalls große Unterschiede nach Branchen. Nach einer Statistik des BKK Bundesverbandes sind Gefängnisaufseher und Polizisten im Durchschnitt gut 30 Kalendertage im Jahr krank - dreimal so lang wie öffentlich bedienstete IT-Fachleute oder Bauingenieure.

Erzieherinnen fehlen besonders oft wegen Atemwegserkrankungen, Verkäuferinnen entwickeln Krampfadern, Maurer ziehen sich die meisten Verletzungen zu. Von psychischen Leiden sind am stärksten Krankenpflegehelfer und Sozialarbeiter betroffen - diejenigen, die am meisten menschliches Elend zu sehen bekommen.

"Jeder Beruf hat seine besondere Hauptbelastung", erklärt Helmut Schröder vom Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen (WIdO). Er ist Mitherausgeber des Fehlzeiten-Reports, der wichtigsten jährlichen Veröffentlichung zum Thema Krankenstand. Die AOK haben die breiteste Datenbasis aller Kassen, brauchen deshalb allerdings auch am längsten für die Auswertung. Der Krankenstand für 2010 liegt noch nicht vor. 2009 waren pro Kalendertag durchschnittlich 4,8 Prozent der erwerbstätigen AOK-Mitglieder krank gemeldet.

Damit verharrt der Krankenstand immer noch auf sehr niedrigem Niveau. Er ist jedoch seit dem historischen Tiefststand von 4,2 Prozent, der im Jahr 2006 erreicht wurde, wieder gestiegen. Auch die Betriebskrankenkassen und die DAK verzeichnen seither einen leichten, aber kontinuierlichen Anstieg der Krankenstände. Zum Teil lässt sich dies durch Grippewellen und mehr Glatteis-Unfälle erklären. Der Anstieg könnte jedoch auch einen Trend anzeigen, denn die Belegschaften sind in den letzten Jahren leicht gealtert. Und ältere Arbeitnehmer melden sich zwar seltener krank als jüngere, fallen dann jedoch viel länger aus.

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Nach dem Fehlzeiten-Report wird die Hälfte aller Arbeitsunfähigkeitstage von nur knapp sechs Prozent der Beschäftigten verursacht. Das Rekordtief beim Krankenstand war auch eine Folge der radikalen Verjüngung der Belegschaften in den neunziger Jahren, als die Betriebe ihre älteren und chronisch kranken Mitarbeiter auf Staatskosten in den Vorruhestand schickten.

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Diese Zeiten sind vorbei, während des Aufschwungs 2007 und 2008 stellten die Unternehmen wieder mehr ältere Mitarbeiter ein. Die demographische Entwicklung dürfte dauerhaft zu mehr Fehltagen führen, meint Frank Meiners von der DAK: "Die älter werdende Gesellschaft wird den Druck auf den Krankenstand weiter erhöhen."

Besorgniserregender Trend

Ein besorgniserregender Trend ist unbestritten und prägt sich jedes Jahr deutlicher aus: Immer mehr Arbeitnehmer leiden unter psychischen Erkrankungen. 2009 meldeten sich fast doppelt so viele AOK-Mitglieder wegen seelischer Probleme krank wie zehn Jahre zuvor. Diese Krankheiten sind mit besonders langen Fehlzeiten verbunden, selbst eine vergleichsweise harmlose depressive Episode führt häufig zu Ausfällen von mehreren Wochen.

Fast ein Drittel der Frühverrentungen geht heute auf Belastungsstörungen, Depressionen, Suchterkrankungen oder andere psychische Probleme zurück. Damit stehen psychische Krankheiten als Ursache von Fehltagen inzwischen auf dem vierten Rang nach Muskel- und Skeletterkrankungen, Atemwegserkrankungen und Verletzungen.

Die Gewerkschaften machen steigenden Druck in der Arbeitswelt für diese Entwicklung verantwortlich. Eindeutig belegen lässt sich das nicht, zumal seelische Erkrankungen heute viel besser diagnostiziert werden als früher. Dennoch glauben auch die Fachleute der Krankenkassen an einen starken Einfluss beruflicher Belastungen. "Chronischer Stress kann zu einer psychischen Krankheit führen, wenn er nicht durch Entspannung und Bewegung kompensiert wird", sagt Frank Meiners von der DAK.

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"Die Arbeitsverdichtung nimmt zu", erklärt Helmut Schröder vom WIdO. "Die Arbeit verteilt sich auf immer weniger Schultern, von jedem wird Flexibilität und Mobilität gefordert, und viele Unternehmen erwarten ständige Verfügbarkeit von ihren Mitarbeitern."

Auch das Pendeln zur Arbeit und die zDoppelbelastung von Frauen spielten eine Rolle. Stressprävention am Arbeitsplatz werde künftig an Bedeutung gewinnen, sagt Schröder. Vor allem Führungskräfte müssten darin geschult werden, die eigene Belastung und die ihrer Mitarbeiter besser zu erkennen: "Wenn man die Sensibilität der Führungskräfte steigert, kann man vielen Burnout-Fällen frühzeitig entgegenwirken."

Muskel- und Skeletterkrankungen gehen vor

Nach einer aktuellen EU-Studie wenden bisher allerdings nur etwa 15 Prozent der deutschen Unternehmen systematische Verfahren an, um Dauerstress in der Belegschaft vorzubeugen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Weil die Ursachen bei psychischen Erkrankungen so komplex sind, lässt sich auch der Nutzen von Prävention nur sehr schwer messen. Manche Gesundheitsexperten halten es deshalb für sinnvoller, wenn die Betriebe sich weiterhin auf bewährte Vorbeugungsprogramme wie Rückenschulen oder Ernährungsberatung konzentrieren.

Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln meint: "Für mich als Ökonom bleibt entscheidend, dass Muskel- und Skeletterkrankungen immer noch die Hauptursache von Fehltagen sind. Dort muss die Gesundheitsvorsorge zuerst ansetzen."

© SZ vom 12.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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