NRW-Schulministerin Löhrmann:"Wie eine Schule heißt, ist doch egal"

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"Keine Reformen im Hauruck-Verfahren": Sylvia Löhrmann spricht über neue Aufgaben für das Gymnasium, die Förderung guter Schüler und das Projekt Gemeinschaftsschule.

B. Dörries und T. Schultz

Sylvia Löhrmann, 53, ist die grüne Schulministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Sie plant eine große Schulreform im Land.

Vor Bürgerprotesten gegen die geplante Reform hat Sylvia Löhrmann keine Angst: "Wogegen sollten sich ein Volksbegehren und eine Klage denn richten? Wir führen die Gemeinschaftsschule ja nicht zwangsweise ein", sagt sie. (Foto: dpa)

SZ: Viele Bürger sind unzufrieden mit dem Bildungssystem, reagieren aber auch nicht froh, wenn an den Schulen ständig herumgedoktert wird. Überfordern Sie die Bürger?

Sylvia Löhrmann: Genau das will ich vermeiden. Ich setze deshalb auf einen innovativen Schulentwicklungsprozess von unten. Wir ermöglichen den Kommunen und den Schulen pragmatische und systematische Veränderungen zugleich.

SZ: Die Sehnsucht nach Ruhe ist groß. Beispiel G8: Es gab zwar viel Unmut über die verkürzte Gymnasialzeit. Aber jetzt, wo Sie eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium angeboten haben, ist die Resonanz gering.

Löhrmann: Ja, anfangs haben sich alle über das G8 aufgeregt. Zu Recht! Hier hat Schwarz-Gelb einen Riesenscherbenhaufen angerichtet. Wir entwickeln jetzt konkrete Verbesserungen im G8. Und alle Beteiligten überlegen sich noch einmal genau, was für sie das Richtige ist in Freiheit und Verantwortung.

SZ: Das ist auch Ihr Credo bei der Gemeinschaftsschule, in der die verschiedenen Schulformen zusammengeführt werden. Wäre es nicht sinnvoller, die Reform flächendeckend anzugehen?

Löhrmann: Nein, es geht nur behutsam und von unten. Die alten Schwarz-Weiß-Debatten bringen uns in der Schulpolitik doch nicht weiter. Wären die Wähler mit Schwarz-Gelb in der Schulpolitik zufrieden gewesen, hätten sie sie nicht krachend abgewählt. Aber die Menschen wollen auch keine Reformen im Hauruck-Verfahren. Wir legen unseren Reformprozess systematisch und nachhaltig an und setzen auf breite Mehrheiten vor Ort.

SZ: Das klingt, als würden Sie sich raushalten. Tatsache ist doch aber, dass Sie eine große Verfechterin der Gemeinschaftsschule sind. Was haben Sie gegen die Gymnasien?

Löhrmann: Ich habe per se nichts gegen irgendeine Schulart. Mir ist nur wichtig, dass sich alle Schulformen, also auch das Gymnasium, weiter entwickeln und ihrem Bildungsauftrag gerecht werden. Das Gymnasium der Zukunft muss eine Schule sein, die für alle aufgenommenen Kinder Verantwortung übernimmt.

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SZ: Sie wollen also auch aus dem Gymnasium quasi eine Gemeinschaftsschule machen. Was ist mit den Kindern, die die hohen gymnasialen Anforderungen nicht schaffen? Die sollen trotzdem auf dem Gymnasium bleiben?

Löhrmann: Das Gymnasium sollte seine Schülerinnen und Schüler wenn nicht zum Abitur, so zumindest zum mittleren Abschluss führen. Auch die Gymnasien müssen sich darauf einstellen, dass ihre Schülerschaft heterogener wird. Denken Sie an Inklusion und Kinder mit Zuwanderungsgeschichte.

SZ: Das wird Ihnen Ärger bringen. Union und FDP trommeln schon für einen neuen "Schulkampf".

Löhrmann: Ach, man kann hochgerüstete Krieger auch ins Leere laufen lassen. Die stehen plötzlich ihren eigenen Kommunalpolitikern gegenüber. Bei der Gemeinschaftsschule wollen alle mitmachen, denen ein gutes Schulangebot in ihren Gemeinden wichtig ist, ausdrücklich aller Couleur.

SZ: Manche in CDU und FDP drohen aber schon mit einem Volksbegehren und mit Verfassungsklagen.

Löhrmann: Wogegen sollten sich ein Volksbegehren und eine Klage denn richten? Wir führen die Gemeinschaftsschule ja nicht zwangsweise ein, sondern lassen das die Schulträger vor Ort entscheiden.

SZ: In Gemeinschaftsschulen sollen leistungsstarke gemeinsam mit leistungsschwächeren Kindern lernen. Manche Eltern fragen sich, ob das gutgeht und ob nicht die Stärkeren ausgebremst werden.

Löhrmann: Es ist völlig legitim und richtig, dass Eltern das Beste für ihr Kind wollen. Es kommt in der Schule darauf an, unterschiedlichen Talenten gerecht zu werden und methodisch so zu arbeiten, dass alle gut gefördert werden und miteinander und voneinander lernen. Auch die Leistungsstarken.

SZ: Gute Schüler sollen Ersatzlehrer spielen?

Löhrmann: Quatsch. Aber sie profitieren davon, wenn sie anderen helfen. Sie festigen ihr eigenes Wissen und stärken ihre sozialen Kompetenzen.

SZ: Lehrer sagen: Wenn wir individuell fördern sollen, brauchen wir viel mehr Zeit und Freiräume. Und das geht nur mit viel mehr Stellen. Und so viele Stellen können Sie als Ministerin gar nicht herbeischaffen.

Löhrmann: Was ich als Ministerin versprechen kann: Trotz Rückgangs bei den Schülerzahlen bleibt das Geld für die Schulen erhalten. Es wird einen Stufenplan geben für mehr Fortbildung, den Ausbau des Ganztags und für Inklusion, also das Lernen von Kindern mit Behinderungen in Regelschulen. Das Ziel sind multiprofessionelle Teams in Schulen.

SZ: Es kann auch frustrierend für Leistungsschwächere sein, wenn sie ständig umgeben sind von besseren Schülern.

Löhrmann: Kinder und Jugendliche brauchen Anreize. Warum wohl hat sich die Rütli-Schule auf den Weg gemacht? Und außerdem wird in der Gemeinschaftsschule differenziert gelernt je nach Bedarf auch in verschiedenen Kursen. Das pädagogische Konzept der Profilschule Ascheberg ist vielversprechend.

SZ: Wie Bundesbildungsministerin Annette Schavan sind auch Sie gegen das Kooperationsverbot, das es dem Bund verbietet, sich in die Schulpolitik einzumischen. Warum wollen sie Ihre Macht unbedingt mit Frau Schavan teilen?

Löhrmann: Mir geht es nicht um Machtspielchen, sondern um die Sache. Gute Bildungspolitik ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen: Es wäre gut, wenn der Bund ein Ganztagsschul-Programm auflegen könnte. Wir und die SPD wollen uns im Bundesrat bald für die Abschaffung der Kooperationsverbots einsetzen.

SZ: In NRW gibt es jetzt so ziemlich alle Schulformen. Eigentlich wird doch diskutiert, ob man sich bundesweit auf ein Modell einigen kann. Sie machen es aber schon in NRW immer komplizierter.

Löhrmann: Es gibt bundesweite Bildungsstandards, die sichern, dass es trotz verschiedener Schulformen vergleichbare Abschlüsse gibt. Entscheidend ist, dass jeder an seinem Ort eine Schule findet, die die Kinder optimal fördert. Wie eine Schule heißt, ist doch im Prinzip egal.

© SZ vom 15.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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