Multitasking im Büro:Überleben in der Informationsflut

Das Telefon läutet, das Handy summt, am Computer blinkt eine E-Mail: Der moderne Büroalltag erfordert permanentes Multitasking. Doch dafür ist der Mensch nicht gemacht. Experten verweisen auf Regeln für effizientes Arbeiten - und raten, die Kollegen nicht ständig zu nerven.

Berit Uhlmann

Cyril Northcote Parkinson hat im "Parkinsonschen Gesetz" über die Wucherungen der Bürokratie geschrieben - und festgestellt: Wie wichtig ein höherer Angestellter sei, lasse sich unter anderem aus der Anzahl der Telefone auf seinem Tisch ablesen. Seither sind 55 Jahre vergangen. Nimmt man die Zahl der Kommunikationsmittel heute zum Maßstab, dürfen sich viele Beschäftigte sehr bedeutend fühlen.

Wissen Sie, welche Rechte Ihr Chef hat? Machen Sie den Test!

Während der Angestellte telefoniert, klingelt sein Handy. Auf dem Computer kündigt sich eine neue E-Mail an, gleichzeitig ploppt das Nachrichtenprogramm auf, während in einer anderen Ecke des Bildschirms permanent Börsenkurse, Nachrichten oder die neuesten Twitter-Meldungen einlaufen.

Viele Menschen sollen sich heute auf Vieles gleichzeitig konzentrieren. Bedeutet das eine neue Arbeitsweise, an die der Mensch sich schon anpassen wird? Oder wird er damit überfordert? Und was passiert dann in seinem Kopf?

"Das menschliche Gehirn ist für das Multitasking komplexer Tätigkeiten kaum geeignet", sagt Rico Fischer, Psychologe an der Technischen Universität Dresden. Allenfalls anspruchslose oder automatisierte Handlungen können Menschen gleichzeitig ausführen. So kann ein Mitarbeiter problemlos Gespräche führen, während er zum Kopierer läuft. Anspruchsvolle und sehr ähnliche Tätigkeiten können Menschen aber nicht parallel, sondern nur nacheinander erledigen. "Jeder Wechsel zwischen zwei Aufgaben aber verursacht Kosten in Form von Zeit und Fehlern", sagt Fischer. Etwa weil man eine E-Mail gar nicht bis zum Schluss liest.

Gerade wenn Handy, Telefon und PC miteinander konkurrieren, wechselt die Aufmerksamkeit ständig zwischen den Geräten hin und her. Das haben Wirtschaftswissenschaftler aus Boston herausgefunden; sie setzten Versuchspersonen in einen Raum mit einem Fernseher und einem ans Internet angeschlossenen Computer - sie sollten sich beschäftigen, wie es ihnen gefiel.

Versuche sind kein Alltag

Kameras zeichneten die Augenbewegungen der Probanden auf: Binnen einer knappen halben Stunde wandten die Versuchspersonen ihren Blick durchschnittlich 120 Mal von einem zum anderen Medium. Sie wechselten den Fokus ihrer Aufmerksamkeit also vier Mal pro Minute. Nur ganz selten blieb ihr Blick länger als zwei Minuten an einem der beiden Bildschirme hängen. Die Teilnehmer selbst nahmen das gar nicht wahr: Als sie beurteilen sollten, wie oft sie zwischen den Angeboten schwankten, lagen sie mit ihrer Einschätzung fast zehn Mal zu niedrig. Menschen überschätzen die Kontrolle über das eigene Medienverhalten und lassen sich viel leichter ablenken als sie glauben, schlussfolgerten die Forscher.

Auch erste Untersuchungen dazu, was diese Art der Mediennutzung mit dem Menschen macht, lässt nichts Gutes erwarten. Menschen, die im Beruf oder in ihrer Freizeit häufig mehrere Medien gleichzeitig nutzen, scheinen mit der Nachrichtenflut nicht wirklich gut zurechtzukommen. Psychologen der renommierten Stanford-Universität zeigten, dass, je mehr Informationen die Mehrfach-Mediennutzer verarbeiten mussten, sie relevante von irrelevanten Fakten umso schlechter trennen konnten. Sie verteilten ihre Aufmerksamkeit offenbar so breit auf alle dargebotenen Daten, dass sie Unwesentliches weniger gut ignorieren konnten - und in Aufmerksamkeitstests besonders schlecht abschnitten.

Nun sind diese Versuche kein Büro-Alltag. Experten gehen aber davon aus, dass sich auch die Arbeitsleistung durch immer mehr parallel auszuführende Aufgaben und permanente Unterbrechungen verschlechtert. "Kurzfristig können zusätzliche Anforderungen die Produktivität steigern. Doch dies hält man nicht lange durch", sagt Anja Baethge. Die Arbeitspsychologin der Universität Leipzig hat die Auswirkungen des Multitaskings für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin untersucht und weiß: "Am Ende bleibt Arbeit liegen."

Besonders unangenehm für Mitarbeiter: Sie denken ständig an unerledigte Aufgaben. Viele nehmen die selbst gefertigten To-do-Listen mit nach Hause. "Unter Umständen gerät man in einen Teufelskreis: Indem man nicht entspannen kann, schafft man seine Aufgaben am nächsten Tag noch schlechter", sagt Baethge.

Wie stark es einen Menschen belastet, die Arbeit zu unterbrechen und zwischen Aufgaben zu wechseln, ist unterschiedlich - und vor allem eine Frage persönlicher Vorlieben. Menschen, die von sich sagen, dass viele verschieden Anforderungen sie beflügeln, fühlen sich tatsächlich weniger gestresst. Untersuchungen zeigten aber: Auch ihre Fähigkeit zum Multitasking ist nicht besser als die ihrer Kollegen, die bevorzugen, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren.

Übung hilft - aber nur begrenzt

Übung hilft, aber nur begrenzt. "Ein Stück weit kann man Multitasking lernen", sagt Psychologe Fischer. Versuche haben allerdings gezeigt, dass sich dabei nicht die Koordination der einzelnen Schritte verbessert, sondern lediglich einzelne Aufgabenbereiche so trainiert werden, dass sie automatisch ablaufen. Ein Beispiel: Während ein Fahranfänger seine ganze Konzentration braucht, um das Auto zu lenken, fährt ein geübter Fahrer oft automatisch - und kann nebenbei Gespräche führen. Viele Aufgaben, gerade im Büro, lassen sich aber nicht automatisieren.

Vielen Angestellten bleibt daher nur, dafür zu sorgen, dass Aufgaben nicht gleichzeitig erledigt werden müssen. Hilfreich sei, die Arbeit gut zu strukturieren - so dass sie in einzelnen Schritten ausgeführt werden kann, die logisch aufeinander folgen, rät Fischer. Einzelne Arbeitsschritte sollten nach Möglichkeit immer zu Ende gebracht werden, bevor eine Aufgabe unterbrochen wird. Außerdem ist das Team gefragt, wenn es um Entlastungen geht.

Können Angestellte ihre Aufgaben selbst gestalten und bei schwierigen Aufgaben auch mal Kollegen um Hilfe bitten, können sie besser damit umgehen, wenn mehrere Aufgaben gleichzeitig anfallen - und ihr Pensum eher schaffen. In besonders anstrengenden Situationen kann es sinnvoll sein, zu vereinfachen, wie man miteinander kommuniziert, rät Fischer. Dann können sogar festgelegte Standards helfen.

Von Piloten weiß man beispielsweise, dass sie in Stress-Situationen noch gut auf Ja-Nein-Fragen antworten können. Sollen sie dagegen komplexe Sachverhalte schildern, überfordert sie das. Ähnliches gilt für das Büro: Wer gerade unter Zeitdruck eine wichtige Präsentation vorbereitet, kann nicht auf Mails von Kollegen antworten, die wissen wollen, wie es läuft.

Letztlich, sagt Arbeitspsychologin Baethge, muss sich jeder auch selbst fragen, inwieweit er ein Unterbrecher ist. Ehe man zum Telefon greift, sollte man kurz überlegen: Brauche ich wirklich sofort eine Antwort? Muss ich mein Anliegen überhaupt mit anderen diskutieren? Denn die permanenten Störungen durch Telefon, Handy und PC kommen längst nicht nur von außen. Parkinsons Gesetz ist zumindest in diesem Punkt noch immer aktuell: Angestellte neigen dazu, sich gegenseitig Arbeit zu machen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: