Stress am Arbeitsplatz:"Mitarbeiter leiden unter inkompetenten Chefs"

Führungskräfte in Unternehmen sind trotz ihres oft sehr anspruchsvollen Jobs nicht mehr, sondern eher weniger gestresst als ihre Mitarbeiter. Das Ergebnis einer Studie aus Harvard scheint überraschend - doch die Erklärung ist simpel.

Stress bei der Arbeit gab es schon immer - doch nie haben sich Mitarbeiter offenbar gestresster gefühlt als in der heutigen Arbeitswelt, die immer mehr mit dem Privatleben verschwimmt. Ständige Erreichbarkeit per E-Mail und Smartphone sind Fluch und Segen gleichermaßen. Studien belegen immer wieder, dass die Burn-out-Raten zunehmen, vor allem wenn Arbeitnehmer und Selbstständige keinen klaren Schlussstrich unter die Arbeitshektik setzen und den Feierabend nicht ruhig angehen lassen.

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Bislang gingen Experten davon aus, dass besonders Manager und Menschen in den Führungsetagen von Unternehmen stark unter diesem Stress leiden. Doch das Bild des stets gestressten Managers muss offenbar revidiert werden: Denn Führungskräfte sind trotz ihres meist sehr anspruchsvollen Jobs nicht mehr, sondern eher weniger gestresst als Menschen ohne Mitarbeiterverantwortung.

Das legt eine aktuelle Studie der Harvard-Universität nahe. Forscher haben die Stresshormonspiegel von Freiwilligen aus verschiedenen Positionen und diversen Führungsebenen im amerikanischen öffentlichen Dienst und beim Militär untersuchten. Dabei fanden sie heraus, dass nicht die Führungskräfte besonders hohe Stresslevel zeigten, sondern eher die einfachen Angestellten.

Entscheidend scheint das Gefühl für Kontrolle zu sein, so die Forscher um Gary Sherman: Da Führungskräfte häufig mehr entscheiden können, haben sie eher das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Das wiegt dann andere Stressfaktoren auf, die Manager plagen. Etwa dauernd steigende Ansprüche, mit denen die verfügbaren Ressourcen normalerweise nicht in gleichem Maße zunehmen.

"Der Chef hat mehr Freiheitsgrade, er gibt den Takt vor - und hat insofern eine gewisse Autonomie, auch wenn er mehr Verantwortung trägt", sagt Jörg Feldmann, Sprecher der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Viel wichtiger allerdings ist nach seinen Worten etwas anderes: "Ein Chef kann Einfluss nehmen - denn Ohnmacht stresst." Wer in einer Situation gefangen ist und dagegen nichts tun kann, leidet viel stärker darunter. "So geht es öfter den Angestellten als den Chefs."

Karriereberaterin und Arbeitspsychologin Julitta Rössler sagt, dass Angestellte in hohem Maß unter inkompetenter Führung leiden. "Auch Zeitdruck und der oft nur geringe Spielraum für selbstbestimmte Arbeitsgestaltung machen vielen Angestellten zu schaffen."

Ohnmacht stresst

Was bislang oft in Befragungen mit subjektiven Eindrücken erhoben wurde, haben die amerikanischen Forscher nun auch anhand körperlicher Reaktionen nachgewiesen: Sherman und seine Kollegen hatten Teilnehmer eines Weiterbildungsprogramms für Führungskräfte, speziell aus dem öffentlichen Dienst und dem Militär, mit einer zufälligen Auswahl von Arbeitnehmern und Selbstständigen aus dem Großraum Boston verglichen. Die Teilnehmer wurden als Führungskraft registriert, wenn sie Verantwortung für Mitarbeiter trugen. Alle sollten in einem Fragebogen angeben, wie stressig und belastend sie ihren Arbeitsalltag empfanden. Zusätzlich gaben sie Speichelproben ab, in denen die Forscher die Menge des Stresshormons Cortisol bestimmten.

Überraschenderweise lagen die Werte der Manager sowohl beim Cortisol als auch beim subjektiv empfundenen Stress unter denen der Vergleichsgruppe, wie die Auswertung ergab. Um diesen Effekt besser zu verstehen, schlossen die Wissenschaftler eine zweite Studie an, in der sie ausschließlich Führungskräfte erfassten - in diesem Fall jedoch aus unterschiedlichen Managementebenen. Registriert wurden die Gesamtzahl an Untergebenen, der Grad an Autorität der Führungskraft und die Anzahl der Mitarbeiter, die dem Manager direkt unterstellt waren.

Je höher der Rang einer Führungskraft, desto geringer waren der subjektive und der gemessene Stress. Ausnahmen gab es jedoch dann, wenn der Manager sehr vielen Mitarbeitern direkt Anweisungen geben musste, ohne die Aufgaben delegieren zu können. Das Forscherteam schlussfolgert aus diesen Ergebnissen, dass das Gefühl von Kontrolle dem Stress entgegenwirkt und ihn zumindest zum Teil abpuffern kann.

Allerdings lasse sich aus den vorliegenden Daten nicht ablesen, ob die geringere Stressbelastung der Führungskräfte tatsächlich dem Job geschuldet seien oder einfach eine bestimmte persönliche Veranlagung widerspiegelten, die erst dazu geführt hat, dass jemand eine Führungsposition erreichen konnte.

Die Befunde passen aber zu dem, was sich in früheren Studien bereits in Versuchen mit Affen gezeigt hat: Auch hier geht ein höherer Rang in der Gruppenhierarchie häufig mit einem eher niedrigen Cortisolspiegel einher. Das gelte vor allem dann, wenn es nur wenig Konkurrenz um die Führungsposition gebe, erläutern die Forscher.

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