Es ist ein neuer Rekord: Unternehmen in Deutschland hätten im Herbst weitere 496 200 Menschen mit naturwissenschaftlich-technischer Ausbildung einstellen wollen. Doch sie sind auf dem Arbeitsmarkt schwerer denn je zu finden. Wer in Mathematik, Informatik, einer Naturwissenschaft oder Technik qualifiziert ist, der hat in der Regel bereits einen gut bezahlten Job. Das vermeldet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln in seinem MINT-Herbstreport.
Arbeitgebernahe Institute wie das IW bewerben naturwissenschaftlich-technische Ausbildungen und Studiengänge seit Jahren. Die Absolventen werden unter anderem für die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen gesucht. Fehlen Menschen mit dieser Ausbildung, bringt die deutsche Wirtschaft also weniger Innovationen hervor und fällt im internationalen Wettbewerb zurück. Das allerdings kümmert viele Jugendliche nicht, wenn sie sich für Leistungskurse, Ausbildungswege oder Studiengänge entscheiden.
Experimentieren, dokumentieren, Fehler machen, nochmals versuchen - ob Schüler einen Forscherehrgeiz entwickeln, entscheidet sich in der Schule vor allem in Physik und Chemie. Doch MINT-Fächer machen keinen Spaß, sagt etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in einer Befragung durch das Beratungs- und Prüfungsunternehmen PwC - Mädchen noch häufiger als Jungen. Sehr viele Schüler (43 Prozent) und viele Schülerinnen (29 Prozent) geben an, dass sie sich für diese Fächer nicht interessieren. Die Wahl der Leistungskurse spiegelt das wider: Weniger als fünf Prozent der angehenden Abiturienten wählen Chemie oder Physik als Schwerpunkte, berechnet das MINT-Bildungsbarometer von Acatech und der Körber-Stiftung. Informatik steht an letzter Stelle der gewählten Fächer.
"In jede Chemiestunde gehört mindestens ein Experiment"
Axel Franke wundert das nicht. Speziell sein Fach habe ein Imageproblem: Mit Chemie würden die meisten Menschen erst mal schlechte Dinge verbinden, sagt der pensionierte Chemielehrer aus dem Harz. Ihm fallen unzählige Beispiele ein: "Treibhauseffekt, Smog, saure Niederschläge, Waldsterben, Mikroplastik, Monokulturen, Pestizide, Überdüngung, Grundwasserbelastung, Massentierhaltung, Artensterben, Contergan, Chemieunfälle...". All das sind ernstzunehmende Probleme. Aber ohne Chemie wäre das Leben auch viel beschwerlicher.
"Chemie macht das Leben in allen Bereichen angenehmer", sagt Franke. Im Alltag begegnet sie den Schülern ständig - in der atmungsaktiven Bettwäsche, in Zahnpasta und Duschgel, in Schminke und Parfums, in den Kunstfasern und Farben ihrer Kleidung, in Auto und Schulbus, in Smartphones und Flachbildschirmen, in Medikamenten, Feuerwerkskörpern und so fort.
Wenn Schüler Chemie langweilig finden, so folgert Franke, dann muss im Unterricht ganz schön viel schieflaufen. Der Pensionär darf das sagen: Die Gesellschaft Deutscher Chemiker hat ihn kürzlich mit dem Friedrich-Stromeyer-Preis ausgezeichnet, dem renommiertesten Preis für Chemielehrer in Deutschland. Wie also geht guter Chemieunterricht?
Zunächst mal mit dem Alltagsbezug. Warum ist denn überhaupt Mikroplastik im Haarshampoo? Und wie kriegen wir das hin mit dem Recycling? Das sind Fragen, die sich viele Jugendliche stellen und die Franke mit ihnen beantwortet hat: theoretisch und praktisch. Denn sein Credo ist: "In jede Chemiestunde gehört mindestens ein Experiment" - und zwar live, nicht im Video. Chemieunterricht soll alle Sinne ansprechen. In den Stunden bei Franke am Robert-Koch-Gymnasium in Clausthal-Zellerfeld hat es deshalb oft geknallt. Seine Schüler haben aus Mandarinenschalen ätherische Öle gemacht und selbst Joghurt und Käse hergestellt. Und wie man bengalische Feuer einfärbt, hat er ihnen auch gezeigt.