Der gelbe Schein vom Arzt mag auf den ersten Blick eine simple Sache sein: Wer krankgeschrieben wird, schickt ein Kopie der Bescheinigung an seinen Arbeitgeber und eine zweite an die Krankenkasse. Das dauert 15 Minuten, Briefumschlag und Porto kosten zusammen vielleicht einen Euro. Doch das Bundeswirtschaftsministerium hat das mal hochgerechnet: Im Jahr 2017 haben Ärzte in Deutschland rund 77 Millionen Krankenscheine ausgestellt. Für die Bürger bedeutete das einen Zeitaufwand von insgesamt 19,25 Millionen Stunden und Gesamtausgaben von 77 Millionen Euro. So gesehen ist der gelbe Schein ein klarer Fall für Bürokratieabbau.
Die Bundesregierung will in den kommenden Jahren die Krankenscheine abschaffen. Stattdessen soll die Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters künftig nur noch elektronisch an die Arbeitgeber übermittelt werden. Nicht mehr der Patient, sondern der Arzt soll in Zukunft der Krankenkasse melden, dass einer ihrer Versicherten nicht arbeiten kann. Dessen Arbeitgeber soll die genauen Daten der Krankschreibung dann digital bei den Kassen abrufen können. Auf diese Weise, so heißt es im Entwurf eines Bürokratieentlastungsgesetzes aus dem Haus von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), sollen auch Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und ihren Vorgesetzten vermieden werden. Krankheitszeiten würden auf diese Weise lückenlos dokumentiert. Für die Wirtschaft würde sich der Aufwand um rund 550 Millionen Euro verringern, steht in dem Gesetz.
Viele Details zu dem neuen elektronischen Krankschreibungssystem sind allerdings noch offen. Beispielsweise ist unklar, ob jede einzelne Kasse künftig Krankenscheine zum Download bereitstellen muss oder ob es ein gemeinsames Portal geben wird, das alle Kassen und Arbeitgeber nutzen. Auch die konkreten Rechte der Patienten sind in dem Gesetzentwurf noch nicht definiert. Wenn ein Beschäftigter mehrere Jobs hat, kann er zwar "gegenüber der Krankenkasse die Sperrung des Abrufs für einen oder mehrere Arbeitgeber verlangen", heißt es in dem Entwurf. Doch inwiefern ein Arbeitnehmer selbst entscheiden kann, welche seiner Daten sein Chef über welchen Zeitraum abrufen kann, muss noch festgelegt werden.
Diagnosen werden nicht weitergegeben
Vom Krankenkassenverband heißt es, der Arbeitgeber habe mit dem neuen Gesetz lediglich den Anspruch, sich die Dauer der Krankschreibung übermitteln zu lassen. Diagnosen würden nach wie vor nicht weitergegeben.
Die Techniker Krankenkasse (TK) testet bereits seit einem Jahr die elektronische Krankschreibungen mit einem Pilotprojekt in Schleswig-Holstein und Hamburg. Dort können Beschäftigte der Uniklinik Schleswig-Holstein und der TK selbst digitale Krankenscheine nutzen. Der Spitzenverband der Kassen soll nun von Altmaier beauftragt werden, das neue System zu gestalten. Die Ministerien für Arbeit, Gesundheit, Landwirtschaft und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sollen anschließend entscheiden dürfen, ob sie mit der technischen Umsetzung einverstanden sind. Am Mittwoch kommender Woche will Altmaier den Entwurf dem Bundeskabinett vorlegen.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bereits in seinem Terminservicegesetz, das seit Mai in Kraft ist, festgelegt, dass Ärzte ab 2021 den Krankenkassen alle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über die neue, sichere Telematikinfrastruktur zuschicken sollen - also digital über ein verschlüsseltes Ärztenetz. Damit würde zumindest eine Aufgabe für die Patienten wegfallen. Zugleich haben Bürger bislang weiterhin das Recht auf einen gelben Schein in Papierform. Über diese neue Doppelarbeit beklagt sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung: "Digitalisierung soll Arbeitsabläufe vereinfachen, nicht zusätzliche Arbeit in den Praxen schaffen", sagt deren Sprecher.
Weniger Bürokratie, bessere Arbeitsbedingungen für Paketboten
Altmaier will mit seinem Gesetz nicht nur Ärzte und Patienten, sondern auch andere Teile der Wirtschaft von bürokratischen Vorgaben befreien. Die Koalition hatte sich darauf verständigt, vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen Entlastungen von mindestens einer Milliarde Euro zu liefern. Im Gegenzug sollen Paketboten künftig besser vor Ausbeutung geschützt werden.
Neben dem Krankenschein will Altmaier die Aufbewahrung von elektronisch gespeicherten Steuerunterlagen erleichtern. Dokumente sollen künftig statt bisher zehn nur noch fünf Jahre für die Finanzämter vorgehalten werden müssen. Auch Doppelmeldungen zur Berufsgenossenschaft sollen vermieden und Statistikpflichten verringert werden.
Den Wirtschaftsverbänden gehen Altmaiers Pläne allerdings nicht weit genug. Mittelstands-Präsident Mario Ohoven sagte, "bei jährlichen Bürokratiekosten von 50,2 Milliarden Euro" seien lediglich Einsparungen von 1,1 Milliarden Euro geplant. Auch der Hauptgeschäftsführer des Bundesverband der Deutschen Industrie, Holger Lösch, ist unzufrieden. Er nannte die Vorhaben "unzureichend" und forderte "größere Anstrengungen, um aus einer analogen in eine digitale Verwaltung zu gelangen".