Karrierechance Energiewende:Techniker in Nadelstreifen

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Früher trugen sie weiße Kittel, dann Jeans und Karohemden, heute schicke Anzüge: Ingenieure sind längst nicht mehr nur Tüftler, sondern müssen systemisch denken und ihre Produkte an den Mann bringen können.

André Boße

Die "Formula Student" ist ein weltweiter Wettstreit der Hochschulen um die besten selbstgebauten Rennwagen. Ein Uni-Jux? Von wegen: Jedes große deutsche Technik-Unternehmen, das etwas auf sich hält, gehört zu den Unterstützern des Wettbewerbs. Und zwar aus purem Eigennutz, denn Karriereexperten sind sicher: Jeder, der bei der "Formula Student" mitmacht, lernt im Laufe des Projekts genau die Dinge, auf die es in den vielen neuen Jobs ankommen wird, die heute für Ingenieure entstehen.

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Dabei ist vor allem die Energiewende ein Job-Motor. "Wir benötigen in Deutschland mehr technische Innovationen - und damit auch mehr Ingenieure, vor allem auf den Feldern der Erzeugung und der Verteilung von Energie", sagt Lars Funk, Bereichsleiter Beruf und Gesellschaft beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Dabei geht es um Großprojekte, um echte Abenteuer. Zum Beispiel um den Versuch, die ungeheure Kraft der Wüstensonne dorthin zu transportieren, wo selbst im Hochsommer häufig Nieselregen fällt.

Desertec heißt das Unternehmen Wüstenstrom, und für Funk ist dieses internationale Konzept ein gutes Beispiel für die vielen Projekte, die dafür sorgen sollen, dass die Energiewende in Deutschland und Europa auch tatsächlich funktioniert. "Desertec vereint alle technischen Fachrichtungen von Photovoltaik über Maschinenbau bis hin zu Aufgaben für Bauingenieure wie der Errichtung von Land- und Wasserleitungen", sagt der Karriereexperte.

Es ist nicht nur Technik

Doch das ist nur die technische Seite. Hinzu kommen Aspekte, die man nicht vernachlässigen darf, wenn man ein solches Projekt eben nicht auf der Schwäbischen Alb, sondern in der Sahara verwirklichen möchte. Man trifft auf ungewohnte und zum Teil schwierige politische und kulturelle Situationen und möchte das Projekt auch sozialverträglich voranbringen. "Es ist daher nötig, dass die Ingenieure mit Kollegen aus ganz anderen Denkrichtungen zusammenarbeiten", sagt Funk, "mit Juristen oder Soziologen, Politikwissenschaftlern und Kommunikationsexperten".

Das Problem: Wie man mit anderen kooperiert, lernt man nur selten an der Hochschule, denn dort sind die Ingenieure zumeist unter sich; im Fokus steht die Technik. Daher sind Erfahrungen in kommunikativen Gruppen abseits der Vorlesungen so wichtig. In Teams wie eben bei der "Formula Student". "Hier ist man als Ingenieur von A bis Z in das Projekt involviert", sagt Funk. Man lernt, das ganze System zu betrachten: Wie man Geld anwirbt und Investoren überzeugt; wie man Konzepte erstellt und später wieder über den Haufen wirft; wie man seinen Kurs korrigiert und trotz aller Widrigkeiten durchhält. Funk: "Ingenieure, die diese Erfahrungen gemacht haben, werden gerade von den Unternehmen, die den Energiewandel vorantreiben, händeringend gesucht."

Zum Beispiel von Amprion, einem der vier deutschen Stromnetzbetreiber. Drei Milliarden Euro investiert das Unternehmen mit Sitz in Dortmund derzeit in neue Leitungen und Anlagen. Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz sollte Zug in die Sache bringen, "aber die erforderliche Beschleunigung ist im Alltagsgeschäft nicht immer sichtbar", kritisiert Christoph Dörnemann, leitender Netzwerkplaner des Unternehmens.

Die Anforderungen sind hoch

Derzeit herrsche noch Ruhe vor dem Sturm, meint Dörnemann. Um für den Ernstfall gewappnet zu sein, müsse sich der Netzwerkbetreiber schon jetzt mit guten Leuten eindecken. "Gebraucht werden weiterhin klassische Elektrotechnik-Ingenieure, die alle technischen Anforderungen an das zukünftige Energieversorgungssystem theoretisch und praktisch beherrschen", sagt er. Diese Anforderungen sind nicht ohne: Industrie und Haushalte benötigen enorme Mengen Strom, der in Zukunft aus einer Vielzahl von erneuerbaren Energiequellen sowie neuen konventionellen Kraftwerken gewonnen wird und über größere Distanzen übertragen werden muss.

Das Stromnetz wird also deutlich komplizierter. Nicht von ungefähr fokussieren sich die Unternehmen auf die Entwicklung von Smart Grids, also Netzen, die dank IT selber mitdenken. "Um all das zu beherrschen, sind systemtechnische Ansätze und Lösungen erforderlich, die es in dieser Kombination noch nicht gegeben hat", sagt Dörnemann. Die besondere Herausforderung für Ingenieure liege dabei darin, drei Forderungen zu kombinieren: die Energiewende technisch möglich zu machen, dabei die Versorgungssicherheit zu garantieren und zugleich unbedingt die Kosten im Griff zu haben. Als wäre dieses Dreieck nicht genug, gehört auch der Blick über die Landesgrenzen zum Ingenieursgeschäft: "Das Energieversorgungssystem ist europaweit verbunden, sodass die Herausforderungen nur in enger Zusammenarbeit mit europäischen Partnern erfolgreich gelöst werden können", sagt Dörnemann.

Daher gehöre es zum A und O des Energiewende-Ingenieurs, die eigene Arbeit in die politischen Entwicklungen in Deutschland und Europa einzuordnen. Er muss nicht nur die Regeln und Gesetze verstehen, er muss auch die komplexen Sachverhalte Politikern, Behörden und Bürgern verständlich darstellen können. Schon für Einsteiger kommt es daher darauf an, technisches Wissen und Innovationskraft mit einem sensiblen Gespür für gesellschaftliche Trends und Meinungen zu kombinieren.

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Für Christoph Dörnemann zeigen Vorhaben wie Stuttgart 21, wie problematisch es sein kann, eine Beschleunigung von Großprojekten an der Öffentlichkeit vorbeizuplanen. "Das Vertrauen der Bürger in den Netzausbau kann nur gewonnen werden, wenn eine transparente und sachorientierte Kommunikation von allen Beteiligten erfolgt", sagt der Planer. Zu den Aufgaben der Ingenieure gehöre es, diese Kommunikation zu gewährleisten. "Ein Einsteiger muss Freude daran haben, anderen seine Erkenntnisse zu erklären, und zwar so, dass es der andere auch versteht."

Kommunikationsfähigkeit wird noch in einem zweiten Bereich zur Kernkompetenz der Energiewende-Ingenieure: "Die Bedeutung von Jobs im Service-Bereich wird weiter steigen", kündigt Michael Deimel, Experte für Hochschul-Personalmarketing beim Energie- und Technikkonzern ABB, an. Denn nur durch einen ausgezeichneten Service sei sichergestellt, dass die energiesparenden Produkte und Systeme auch schnell und wirkungsvoll eingesetzt werden. Der Ingenieur ist also häufiger bei seinen Kunden, berät sie und optimiert Prozesse.

Verbindung zwischen Theorie und Praxis

Weitere neue Jobs durch die Energiewende entstehen bei ABB im Bereich Forschung & Entwicklung, dort, wo die grünen Innovationen entwickelt werden. Gefragt sind hier Verbindungsleute zwischen Forschung und Praxis, die den Austausch zwischen den operativen Einheiten und den Forschungs- und Entwicklungsbereichen organisieren. "Alle neuen Technologien werden in enger Abstimmung mit den Geschäftsbereichen entwickelt, die später für Verkauf, Vertrieb und Marketing der Produkte zuständig sind", erläutert Deimel.

Ingenieure seien längst nicht nur mehr nur Tüftler, sondern Leiter eines Business im Business. VDI-Mann Lars Funk bringt diesen Rollenwandel des Ingenieurberufs im Zeichen des Energiewandels auf den Punkt: "Bis in die siebziger Jahre trugen die Ingenieure weiße Kittel. Dann sah man sie mit Jeans und Karohemden. Jetzt tragen sie auch Business-Anzüge."

Laut dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ist ihr durchschnittliches Gehalt 2011 im Vergleich zum Vorjahr sogar noch um 4,2 Prozent gestiegen. Das Jahresgehalt für Einsteiger liegt bei 42.000 Euro, Ingenieure mit Berufserfahrung verdienen im Durchschnitt 57.000 Euro. Während sich die Einstiegsgehälter von Diplom- und Master-Absolventen mittlerweile komplett angenähert haben, verdienen Bachelor-Abgänger zunächst zwar nur geringfügig weniger. Doch laut VDI sind ihre Aufstiegschancen begrenzt.

© SZ vom 28.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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