Gleichstellungsbeauftragte:Viel zu tun, wenig zu sagen

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Selbst der Gesetzgeber ist überzeugt, dass es in Sachen Gleichberechtigung in Deutschland Nachholbedarf gibt. (Foto: iStockphoto)

Vor dem Gesetz haben Frauen und Männer längst dieselben Chancen. Doch in Behörden und Unternehmen arbeiten Hunderte Gleichstellungsbeauftragten. Was bringt das?

Von Sigrid Rautenberg

Jessica Spingies arbeitet seit drei Jahren als Gleichstellungsbeauftragte im Jobcenter Berlin-Lichtenberg. Mit 28 Jahren ist sie für diesen Beruf vergleichsweise jung. Gleichstellungsbeauftragte sind in ihrem Job nicht an Weisungen gebunden, weil sie Maßnahmen im Zweifel auch gerichtlich gegen die eigene Geschäftsführung durchsetzen müssen. Da braucht es gestandene Persönlichkeiten.

Spingies hat einen Bachelor in Arbeitsmarktmanagement und absolvierte anschließend neben ihrer Arbeit im Jobcenter noch ihren Master in Personalmanagement. Über ihre neue Aufgabe wusste sie zunächst wenig. Aber sie war entschlossen, das Thema "aus der Emanzen-Ecke herauszuholen", wie sie sagt.

Ihre Freunde und Bekannten reagierten ganz unterschiedlich auf ihren neuen Job: "Diejenigen, die schon mal mit einer Gleichstellungsbeauftragten zu tun hatten, erlebten sie als engagiert und hatten ein positives Bild. Manche fordern einen Männerbeauftragten, andere fragen, ob wir so was überhaupt noch brauchen."

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Selbst der Gesetzgeber ist überzeugt, dass es in Sachen Gleichberechtigung in Deutschland Nachholbedarf gibt. In Artikel drei des Grundgesetzes steht: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."

Dafür sollen das Bundes- und die Landesgleichstellungsgesetze sorgen. Sie verpflichten Behörden, Verwaltungen und Unternehmen von Bund und Ländern, Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen oder wählen zu lassen. Eine bestimmte Qualifikation wird nicht vorausgesetzt. Zahlen darüber, wie viele haupt- oder nebenamtliche Gleichstellungsbeauftragte in Deutschland überhaupt tätig sind, gibt es nicht.

Im Unterschied dazu haben manche großen Privatunternehmen ein Diversity Management. Das aber ist nicht explizit auf den Abbau der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen gerichtet, sondern als Bestandteil der Personalstrategie auf den Nutzen der Vielfalt, um etwa ein attraktiver Arbeitgeber zu sein oder globale Herausforderungen besser meistern zu können.

Ein wichtiger Teil von Jessica Spingies täglicher Arbeit ist die Beratung. Mittlerweile hat sie etwa jeden vierten ihrer rund 600 Kolleginnen und Kollegen zu Teilzeit, Telearbeit, Wiedereingliederung, Karrierewegen oder Elternzeit beraten. Wie alle Gleichstellungsbeauftragten wirkt Spingies bei personellen Angelegenheiten wie Stellenausschreibungen und Auswahlverfahren mit. Außerdem unterstützt sie die Erstellung eines Gleichstellungsplans. Dieser legt verbindlich Ziele und Maßnahmen fest, etwa um Unterrepräsentanzen von Frauen abzubauen oder mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Auch die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehört zu den Aufgaben von Gleichstellungsbeauftragten. Dabei sollen auch Männer ermutigt werden, Familienaufgaben zu übernehmen.

Aktuell kümmert sich Spingies um strategische Themen. Denn bei einem Frauenanteil von 72 Prozent im Jobcenter Lichtenberg und 64 Prozent weiblichen Führungskräften sind die Fortschritte deutlich und der Abbau von Unterrepräsentanzen keine vordringliche Aufgabe mehr.

Das Ideal der Gleichstellungsarbeit ist Parität. Die ist erreicht, wenn sich der Gesamtanteil weiblicher Beschäftigter in sämtlichen Führungsebenen widerspiegelt. Davon sind sowohl der öffentliche Dienst und erst recht die Privatwirtschaft weit entfernt. Meistens gilt: Je höher die Hierarchieebene oder die Entgeltstufe, desto kleiner wird der Frauenanteil. Das gipfelt bei der verschwindend geringen Frauenquote unter den Vorständen großer börsennotierter Unternehmen.

Die Kernfrage der Gleichstellungsbeauftragten, die über Erfolg oder Misserfolg ihrer Arbeit entscheidet, lautet: Wie steht die Chefetage zu dem Thema? "Am Anfang müssen das vor allem die Entscheider - meistens Männer - wollen und offen sein für Veränderungen", sagt Petra Keck, seit 2003 Gleichstellungsbeauftragte der Sparkasse Hannover. Ist das nicht der Fall, wird der Job zum Kampf gegen Windmühlen.

In manchen Organisationen gibt es gar keinen Gleichstellungsplan. Mitunter berufen Chefs bewusst Frauen zur Gleichstellungsbeauftragten, die sie für wenig durchsetzungsfähig halten. Hinter den Kulissen berichten Frauen, dass sie zu hören bekamen: "Wegen Ihnen funktioniert hier gar nichts mehr, weil Sie alle Prozesse blockieren." Oder: "Als Mann habe ich ja sowieso keine Chance." Und nach wie vor hat es für einige einen Beigeschmack, wenn Frauen befördert werden.

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Keck findet es wichtig, auch die Bedenken der Männer ernst zu nehmen und nicht doktrinär zu sein. "Mein Rezept ist Kooperation statt Konfrontation", sagt sie. "Aber einige finden das Thema überflüssig - und mich dann gleich mit. Damit muss ich als Gleichstellungsbeauftragte leben können."

Ein dickes Fell gegen Anfeindungen hat sich auch Nicole Lassal zugelegt. Sie leitet die Gleichstellungsstelle für Frauen der Stadt München. Mit zehn Mitarbeiterinnen kümmert sie sich um die etwa 40 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landeshauptstadt, berät Bürgerinnen und Bürger und wirkt bei den Beschlüssen des Stadtrats mit. Schon seit 1985 existiert ihre Stelle. Anfangs lag der Schwerpunkt auf der Einrichtung einer frauenspezifischen Infrastruktur wie Frauenhäuser, Notrufe oder Qualifizierungsprojekte. Heute erarbeitet das Team Konzepte für Frauen in Führungspositionen oder Leitsätze für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Auch Lassal bekommt häufig die Frage zu hören, ob ihr Job nicht längst unnötig sei, oder wo denn Frauen überhaupt noch benachteiligt seien. "Vor dem Gesetz ist Gleichstellung erreicht, aber nicht eine tatsächliche", sagt sie. "In den Beratungen sehen wir, dass Frauen immer noch benachteiligt sind. So sind beispielsweise 90 Prozent der Alleinerziehenden in München Frauen." Deshalb setzt sie sich unter anderem dafür ein, die Kita-Gebühren zu senken. Denn wenn öffentliche Gelder gleichstellungsorientiert ausgegeben werden - der Oberbegriff dafür ist "Gender Budgeting" -, verbessern sich auch die Bedingungen für weibliche Berufstätigkeit.

Oft starten Frauen nach Studium oder Ausbildung durch - aber nur bis zur Familienphase, danach arbeiten viele in Teilzeit. Weil klassische Karrierewege aber auf den in Vollzeit tätigen Mann ausgerichtet waren, verzichten sie auf den Aufstieg.

Dass Frauen weniger wollen, lässt Petra Keck nicht gelten: "Der Wille zur Karriere ist bei Frauen und Männern sicher ähnlich - es wollen ja auch nicht alle Männer in Führung gehen. Aber das hängt natürlich von den Rahmenbedingungen ab. Wenn die nicht familienfreundlich sind, werden wir scheitern und die besten Frauen abhalten", sagt sie. "Chancengleichheit heißt eben nicht Gleichmacherei."

Vielfalt als Bestandteil der Unternehmenskultur

Viele Arbeitgeber haben das erkannt. Im traditionell männerlastigen Softwareunternehmen SAP beispielsweise strengt man sich an, Frauen zu gewinnen und ihnen eine Karriere schmackhaft zu machen. Cawa Younosi war fast drei Jahre lang Diversity Manager bei SAP. Seit 2015 ist er nun Personalchef der etwa 22 000 Mitarbeiter in Deutschland. Bei einem globalen Unternehmen wie SAP sei Vielfalt Bestandteil der Kultur, sagt Younosi, der afghanische Wurzeln hat. Vorbehalte gegen ihn oder seine Arbeit habe er nicht erlebt: "Chancengleichheit ist doch selbstverständlich, dagegen kann niemand was haben", sagt er. "Die Fragen sind immer dieselben: Welche Startschwierigkeiten haben die Minderheiten bei uns, und wie beheben wir die?"

Bei SAP Deutschland beträgt der Frauenanteil in der Belegschaft 30 Prozent. Im Management liegt er bei 15 Prozent. Da könne kein Mann sagen, er würde diskriminiert, sagt Younosi. Inzwischen werden alle Managementpositionen auch in Teilzeit ausgeschrieben. Außerdem müssen die Recruiter nun dokumentieren, wenn sie keine geeignete Frau für eine Führungsposition gefunden haben.

Wann, glaubt Younosi, wird in Deutschland Gleichstellung erreicht sein? "Ich bin nicht sicher, ob dies überhaupt das richtige Ziel ist. Wer will, muss können und dürfen. Egal, ob Mann oder Frau."

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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