Gehalt:Je mehr gezahlt wird, desto ungerechter

WC im Club "Salong" in München, 2014

Wie es auf der anderen Seite aussieht, erfahren die Gäste des Münchner "Salong" auf den Toiletten. Beim Entgelttransparenzgesetz geht es um Einblicke in die Gehälter anderer Mitarbeiter.

(Foto: Robert Haas)

Seit einem Jahr haben Beschäftigte das Recht zu erfahren, wie viel ihre Kollegen verdienen. Was hat das bisher bewirkt?

Von Martin Scheele

Zwei Personen arbeiten im selben Unternehmen, der Mann und die Frau machen den gleichen Job - und werden trotzdem unterschiedlich entlohnt. Ein Missstand, der durch das sogenannte "Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen" behoben werden soll. Seit gut einem Jahr ist das Gesetz in Kraft. Es sieht unter anderem vor, dass Mitarbeiter in Firmen mit mehr als 200 Beschäftigten von ihren Arbeitgebern Auskunft darüber verlangen können, wie viel Geld ihre Kollegen in vergleichbaren Positionen verdienen. Was hat sich seitdem geändert?

Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeichnet ein ernüchterndes Bild. In nur zwölf Prozent der Unternehmen mit Betriebsrat habe sich die Geschäftsführung bislang mit der Umsetzung des Gesetzes befasst, so ein Ergebnis der Umfrage, die das gewerkschaftsnahe Institut unter 3600 Betriebsräten gemacht hatte. Am höchsten ist der Anteil in Firmen mit bis zu 500 Beschäftigten: Hier hat knapp jede fünfte Firma Aktivitäten zur Umsetzung des Entgelttransparenzgesetzes gestartet. Die große Mehrheit blieb aber inaktiv.

Auch die meisten Arbeitnehmer waren zurückhaltend. In 13 Prozent der Firmen mit bis zu 500 Beschäftigten hat mindestens eine Person von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch gemacht, so die Studie. Bei Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten lag der Anteil bei 23 Prozent. Wenn es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt, ist dieser laut Gesetz die erste Station für Angestellte, die Auskünfte verlangen.

Eine Ifo-Umfrage unter Personalleitern kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Demnach nutzten insgesamt in neun Prozent der Unternehmen die Beschäftigten ihr Recht auf eine Auskunft über das Gehalt der Kollegen.

Die SZ hat die Hälfte der 30 Dax-Konzerne befragt, darunter Unternehmen wie die Deutsche Bank, Allianz, SAP, Daimler und Volkswagen. Alle Unternehmen bescheinigen sich selbst transparente und faire Vergütungssysteme, die keine geschlechtsspezifischen Unterschiede zeigen. Dennoch bestreitet kaum ein Vergütungsexperte die Existenz eines sogenannten Gender Pay Gaps, also einer Entgeltlücke in der Bezahlung von Männern und Frauen. Der Wert wird regelmäßig statistisch erhoben. Lässt man Ausbildung, Berufserfahrung oder Position unberücksichtigt, lag die Lücke 2017 bei 21 Prozent. Die bereinigte Lücke betrug 2014 - dieser Wert wird nur alle vier Jahre erhoben - bei sechs Prozent.

Was tun die großen Firmen gegen die Lücke?

Wie eine Analyse des Internetportals Stepstone ergab, wächst die Lohnlücke, je besser eine Branche vergütet und je höher die Hierarchiestufe ist. Im unteren Management betrage der Unterschied 21 Prozent, auf der Geschäftsführungsebene 42 Prozent, so ein Ergebnis der Studie. Besonders unfair bezahlt werde in Finanzberufen, im Vertrieb und im Marketing.

Was tun also Deutschlands größte Unternehmen, um die Lücke zu schließen? Wie die Umfrage der SZ zeigt, stellten nur sehr wenige Mitarbeiter bislang Anfragen. Beispiel Volkswagen: Beim Wolfsburger Konzern mit seinen 310 000 in Deutschland beschäftigten Mitarbeitern haben gerade mal zwei Beschäftigte ein entsprechende Auskunft verlangt. "Beide Anfragen sind zurzeit in Bearbeitung", erklärt eine Sprecherin des Konzerns.

Beim Autozulieferer Continental mit seinen 56 000 Beschäftigten in Deutschland sind bislang bundesweit 20 Anfragen eingegangen. "Da bei Continental Arbeitsplätze grundsätzlich geschlechterunabhängig bewertet werden und die Bezahlung unserer Mitarbeiter sich stets nach der Bewertung der jeweiligen Stelle richtet, bestand hier kein weiterer Handlungsbedarf", sagt eine Sprecherin.

Dann prüft man lieber nur heimlich

Dagegen hat Deutschlands größter Softwarekonzern SAP selbst eine kleine Ungerechtigkeitslücke erkannt. Die Analyse eines externen Beratungsunternehmens ergab, dass bei 143 Männern und 123 Frauen eine nicht nachvollziehbare Entgeltdifferenz existiert. Das entspricht 1,2 Prozent der rund 25 000 Beschäftigten in Deutschland. Diese Lücken seien im vergangenen Dezember ausgeglichen worden, erklärt ein Sprecher. Der Softwarekonzern unterliegt, wie viele IT-Firmen, nicht der Tarifbindung. Tarifverträge, wie sie beispielsweise bei Volkswagen, aber auch beim IT-Konzern IBM gelten, können helfen, solche Unterschiede von vorneherein zu verhindern. Denn das Tarifwerk gibt für weite Teile der Belegschaft vor, welcher Lohn für welchen Arbeitsplatz vorgesehen ist.

Ähnlich wie SAP hat auch die Deutsche Bank einzelne Gehälter aufgebessert. Laut einer Sprecherin trafen in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres 225 Anfragen ein, das entspricht bei etwa 30 000 Mitarbeitern in Deutschland 0,75 Prozent. Von den 225 Abfragen wurden 63 Prozent von Frauen und 37 Prozent von Männern gestellt. Die Bank hat keine "systematischen, eklatanten Diskrepanzen gefunden", sagt eine Sprecherin und verweist darauf, dass etwa die Hälfte der Mitarbeiter in Deutschland Tarifangestellte sind.

"Gleichzeitig sind wir uns klar darüber, dass das Empfinden von Gerechtigkeit bei der Entlohnung eine sehr individuelle Angelegenheit ist. Daher haben wir uns einige Auswertungen mit zu hohen Abweichungen auch ganz genau angeschaut", sagt die Sprecherin. Die meisten Abweichungen ließen sich aus der Berufsbiografie der einzelnen Person im Verhältnis zu ihrer Vergleichsgruppe erklären. "Die sehr wenigen Fälle, die sich den Mitarbeitern der Personalabteilung nicht erschlossen und nicht erklären ließen, wurden noch einmal eingehender analysiert. In Einzelfällen wurde das Gehalt von Mitarbeiterinnen angehoben", erklärt die Sprecherin.

Sollen Firmen verpflichtet werden, ihre Gehaltsstrukturen zu prüfen?

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fühlt sich durch die Ergebnisse bestätigt. "Ohne verbindliche Regeln und Berichtspflichten drücken sich die Arbeitgeber davor, ihre Entgeltstrukturen zu überprüfen", sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. "Dass es anders geht, zeigt uns das Beispiel Dänemark. Mit eindeutigen, verpflichtenden Regeln für Lohntransparenz - und zwar für alle Unternehmen mit mehr als 35 Beschäftigten - schrumpft die Lohnlücke."

Dänemark hatte bereits im Jahr 2007 ein Gesetz eingeführt, das Unternehmen mit mindestens 35 Beschäftigten zur Offenlegung von Löhnen verpflichtet. Schon im ersten Jahr nach der Einführung des Gesetzes hat sich die Geschlechter-Entgeltlücke in den so definierten Unternehmen um sieben Prozent verkleinert.

Kein gutes Haar lässt der Hamburger Arbeitsrechtler Markulf Behrendt an dem Entgelttransparenzgesetz. "Die wenigen Auskunftsersuchen waren fast zu erwarten", sagt der Rechtsanwalt aus der internationalen Kanzlei Allen & Overy. "Schließlich enthält das Gesetz keinerlei Sanktionen für die Nichteinhaltung." In der Beratungspraxis habe es zum Teil sogar dazu geführt, dass Bemühungen von Unternehmen, Ungleichbehandlung zu erkennen und zu beseitigen, erschwert würden.

Behrendt berichtet von internationalen Konzernen, die regelmäßig ihre Gehaltsstrukturen überprüfen, um Ungleichheiten aufzuspüren. "Nach deutschem Recht sind sie nun dazu verpflichtet, die Ergebnisse zu veröffentlichen", sagt er. "Jetzt sind sie besorgt, dass sie mit dieser Veröffentlichung mehr oder weniger schwarz auf weiß eine Diskriminierung eingestehen", sagt er und verweist darauf, dass vor allem in den USA Diskriminierungsklagen häufig sind. "Im Ergebnis bedeutet das: Man will gucken, ob man alles gut macht, ist aber gezwungen, das Ergebnis zu veröffentlichen.

Dann prüft man lieber nicht oder nur heimlich, um durch die Veröffentlichung nicht zu Handlungen gezwungen zu werden, die man gar nicht geplant hat." Während Behrendt dafür plädiert, dass Firmen betriebliche Prüfungsverfahren durchführen, ohne die Ergebnisse publik machen zu müssen, sind Gewerkschaften für eine härtere Gangart. So fordert der DGB eine verpflichtende Durchführung von zertifizierten, betrieblichen Prüfverfahren für alle Unternehmen und vor allem Sanktionsmöglichkeiten.

Damit hört die Kritik an dem Gesetz nicht auf. Die Industriegewerkschaft IG Metall, die für Unternehmen wie VW und Continental zuständig ist, hat von Tricksereien so mancher Arbeitgeber gehört. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Arbeitgeber die Anfrage damit beantworten, dass es zu wenige Vergleichspersonen gäbe", sagt ein IG-Metall-Sprecher. "Oft stellte sich allerdings heraus, dass dies falsch war. Es geht ausdrücklich um eine Vergleichbarkeit über den gesamten Betrieb hinweg. Wenn die Vergleichspersonen aber nur in derselben Abteilung oder in demselben Bereich gesucht werden, untergräbt das die gesetzlichen Rechte der Beschäftigten."

Zur SZ-Startseite
Group of business people discussing in meeting model released Symbolfoto property released PUBLICATI

Erfolg im Job
:Die erfolgreichsten Menschen sind nicht immer die klügsten

Wer talentiert ist, kann aus eigener Kraft viel erreichen. Manchmal aber hilft auch der Zufall nach. Und der lässt sich provozieren.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: