Fehltage im Job:Lass mal krankmachen

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Psychischer Druck, Überlastung, Frust: Der Stress in der Arbeit ist vielfältig. Millionen Arbeitnehmer nehmen das zum Anlass, sich einfach mal krankzumelden, fand ein Volkswirt heraus.

Jutta Pilgram

"Hand aufs Herz, glauben Sie, dass Sie im Spätherbst beziehungsweise Winter wegen psychischen Drucks oder Konflikten am Arbeitsplatz sich so beeinträchtigt fühlen, dass Sie sich krankschreiben lassen?" Die Frage, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid kürzlich 1000 Bundesbürgern stellte, war suggestiv formuliert. Die Antworten sind trotzdem bemerkenswert, findet Bernd Kielmann, Diplom-Volkswirt, Psychotherapeut und Leiter des Hamburger Systhema-Instituts, das die repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben hat.

Im Herbst fällt die Abwesenheit weniger auf: Viele Arbeitnehmer lassen sich krankschreiben, obwohl sie eigentlich gesund sind. (Foto: ddp)

SZ: Wie viele Berufstätige planen, demnächst ein paar Tage krankzufeiern?

Bernd Kielmann: Laut Umfrage wollen sich etwa fünf Prozent der Deutschen in der dunklen Jahreszeit krankschreiben lassen, auch wenn sie derzeit gesund sind. Rechnet man das auf die Gesamtzahl der abhängig Beschäftigten hoch, entspricht das etwa 1,7 Millionen Bundesbürgern. Krankfeiern ist dabei kein neues Phänomen - den "blauen Montag" gab es etwa unter Handwerkern auch früher schon. Trotzdem erschreckt die Zahl der Personen, die frank und frei zugeben, Blaumachen von langer Hand zu planen.

SZ: Wissen Sie auch, warum so viele Berufstätige zu Hause bleiben wollen?

Kielmann: Als Gründe werden Mobbing oder Konflikte am Arbeitsplatz angegeben. Mich erschüttert dabei besonders die hohe Zahl an Personen, die ganz offensichtlich glaubt, Konflikte durch Umgehungsmuster lösen zu können. Das ist ein typisches Verhalten von Menschen mit einer zu geringen Frustrationstoleranz. Dieses Verhalten nimmt seit einiger Zeit zu, es gibt immer mehr Menschen, die sich aus der Gesellschaft zurückziehen und bedient werden wollen.

SZ: Haben die Befragten beim Blaumachen denn kein schlechtes Gewissen?

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Kielmann: Offenbar nicht. Viele geben sogar an, mit der Krankschreibung ihrem Arbeitgeber eins auswischen zu wollen. Etwa ein Prozent der Befragten glaubt übrigens, dass Fehlzeiten im Herbst und Winter weniger auffallen.

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SZ: Welche Krankheiten werden am liebsten vorgeschoben?

Kielmann: Meist sind es Depressionen oder Rückenschmerzen, beides lässt sich schwer widerlegen. Die Arbeitnehmer gehen zum Arzt und klagen über Erschöpfungszustände und Ausgebranntheit. Da springen dann leicht ein paar Tage raus.

SZ: Wissen die Befragten auch schon, wie lange sie krankfeiern wollen?

Kielmann: Zwei Prozent wollen etwa drei Tage der Arbeit fernbleiben, weitere zwei Prozent etwa eine Woche. Ein Prozent der Befragten plant, sich mehr als drei Wochen krankschreiben zu lassen.

SZ: Was schlagen Sie vor? Härter durchgreifen und Atteste kontrollieren?

Kielmann: Nein, Arztschelte ist nicht sinnvoll. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen einerseits, wie unzufrieden viele Beschäftigte sind, andererseits, wie wenig ausgeprägt das Unrechtsbewusstsein gegenüber ihrer Firma ist. Einige empfinden jede Anweisung oder fordernde Bitte des Vorgesetzten als persönliche Kränkung. In der Macht des Arbeitgebers liegt es, eine möglichst offene Konfliktkultur in seinem Unternehmen aufzubauen: Probleme müssen auf den Tisch kommen, eine angstfreie Kommunikation muss möglich sein. Denn je ausgeprägter das Wir-Gefühl im Betrieb ist, desto niedriger ist der Krankenstand.

© SZ vom 23.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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