Faires Gehalt:Weil ich es wert bin

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Beim Gehalt geht es um mehr als nur um Geld. Wie Vergütungsexperten nach der perfekten Formel für motivierte Mitarbeiter suchen - und zu welchen Lösungen sie kommen.

Friederike Nagel

Wer einen Deutschen nach seinem Gehalt fragt, bekommt selten eine klare Antwort. Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben. Oder - seufzend - hhmm ja, könnte mehr sein, aber geht schon. Jeder kennt diese Situation, nicht zu wissen, was man antworten soll, ein Gefühl irgendwo zwischen diebischer Neugier und ängstlicher Erwartung. Denn wer zu viel über sein Einkommen verrät, der gibt zugleich preis, wie sehr oder wie wenig ihn sein Arbeitgeber wertschätzt.

Bewerber sollten sich nicht unter Wert verkaufen. (Foto: dpa)

In Norwegen dagegen tippt man einfach www.skattelister.no in den Computer ein und dann den Namen des Nachbarn oder der Freundin. Und schon kennt man die genaue Höhe des Einkommens. Angezeigt werden das aktuelle und die beiden vergangenen Jahre. In Europas Norden herrscht in Vergütungsfragen komplette Transparenz, jede Gehaltsbewegung nach oben oder unten wird akribisch dokumentiert.

Auch in Deutschland ist Bewegung in das Thema gekommen. Vergütungsexperten diskutieren leidenschaftlich über die richtigen Formen der Entlohnung. "Es ist heute absolut entscheidend zu verstehen, wie wichtig Geld im Vergleich zu anderen Formen der Wertschätzung ist", sagt Martin Tremmel, "und vor allem, dass es nur ein Faktor von vielen ist." Tremmel leitet die Vergütungsabteilung bei der BMW Group, wo man seit einem Jahr auf ein neues Modell setzt.

Als erstes großes Dax-Unternehmen koppelte der Autobauer den erfolgsabhängigen Teil der Bezüge von Topmanagern und Fließbandarbeitern an eine gemeinsame Grundformel. Nach dem Motto: Alle sitzen in einem Boot und sollen deshalb gleichermaßen an der Entwicklung des Konzerns partizipieren. Das Berechnungssystem des variablen Entgeltbetrags "wird von der Belegschaft als sehr fair empfunden", sagt Tremmel.

Dieses Gefühl von Fairness soll motivieren. "Bei uns geht es immer um das Prinzip Leistung und Gegenleistung", sagt Tremmel. Er nennt es bewusst nicht Anreizsystem, obwohl der Begriff derzeit in aller Munde ist. Wer eine herausragende Leistung zeigt, soll auch eine herausragende Gegenleistung bekommen. Anreizsysteme schafften zwar einen Ansporn, erhöhten aber auch die Gefahr von Fehlleistungen, findet man bei BMW. Noch steht man mit dieser kritischen Haltung unter den Dax-Unternehmen allein da.

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Tatsächlich aber zeigen Studien der Unternehmensberatung Towers Watson, dass eine faire Vergütung zwar ein Faktor zur Bindung von Mitarbeitern ist - aber für die langfristige Motivation alleine nicht ausreicht.

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Wenn allzu spezielle monetäre Versprechungen den Mitarbeiter in eine bestimmte Richtung locken, kann das zum sogenannten Verdrängungsphänomen (Crowding-out-Effekt) führen. Er sieht nur noch bestimmte Aufgaben als sinnvoll an, andere verliert er plötzlich völlig aus den Augen. Dieser Prozess sei irreversibel, sagen Wissenschaftler.Große Unternehmen seien viel zu komplex, als dass für jeden Arbeitsschritt eine Anleitung gegeben werden könne. "Ein motivierter Mitarbeiter kann nur gut arbeiten, wenn er mit seiner Gesamtsituation zufrieden ist", erklärt Helmuth Uder, Direktor bei Towers Watson in München.

Doch welche Kombination von Leistungselementen seitens des Arbeitgebers erzeugt beim Mitarbeiter die höchste Motivation? Allein die Formel "Pay for Performance", also Lohn für Leistung, funktioniert nicht. Vielmehr geht es auch um die Arbeitsplatzsicherheit, das Betriebsklima, den Spaß an der Aufgabe oder die Überzeugung vom Produkt oder die Entwicklungsmöglichkeiten. Die gefühlte Wertschätzung des Arbeitnehmers, so das Ergebnis verschiedener Studien, ist keinesfalls nur eine Frage des Gehalts.

Trotzdem weiß Uder aufgrund von jahrelanger Erfahrung, dass es in großen Industrieunternehmen oder Banken ohne variable Gehaltsanteile nicht geht. "Aber das richtige Beurteilungssystem, der Performance-Review-Prozess, all das muss mit viel Disziplin zum Leben erweckt werden", sagt er. Als knifflig erweise sich häufig schon die Definition der richtigen Kennzahlen, um ein faires Raster an Kriterien zu entwickeln. "Das sind keine einfachen Vorgänge für Personalabteilungen", gibt Uder zu bedenken. Ausgeklügelte Bewertungssysteme kosten viel Energie, die Entwicklung von exakten und individuellen Zielvereinbarungen ist aufwendig.

Bei BMW vertritt man die These, dass motivierte Mitarbeiter Menschen sind, denen man nicht ständig eine Karotte vor die Nase halten muss, damit sie sich bewegen. "Unsere Mitarbeiter sollen sich vielmehr darauf verlassen können, dass bei gezeigter Leistung die Gegenleistung stimmt. Und wer gerne Karotten isst, kann sich ja dann selbst welche kaufen", sagt Tremmel. Um den variablen Teil des Gehalts möglichst richtig festzulegen, gibt es einen umfassenden Bewertungsansatz. Darin fließt nicht nur ein, ob jemand gewisse Ziele erreicht hat, sondern auch wie.

Vergütungssysteme sind vielen Trends unterworfen. Demographie und Individualisierung der Arbeitswelt heißen derzeit die wichtigsten. Fragt man den Gehaltscoach Martin Wehrle aus Jork bei Hamburg, so kommt ein weiterer hinzu. "Viele Arbeitnehmer müssen heute Anwälte in eigener Sache sein", sagt er. Wurden noch bis vor zehn Jahren Gehaltserhöhungen mit der Gießkanne verteilt, so sei heute jeder seines Gehaltes Schmied geworden. "Die leidenschaftlichen Arbeiter, die ihre Aufgabe ganz und gar ausfüllt, sind die Verlierer", sagt Wehrle. Wer nicht mehr fordere, der bekomme auch nicht mehr. Unternehmen, die sich auf solche treuen Mitarbeiter verließen, lebten in Zeiten des Fachkräftemangels gefährlich. "In manchen Branchen kann man durch einen Firmenwechsel mit einem Zugewinn von 15 bis 20 Prozent rechnen", sagt Wehrle.

Um Mitarbeiter bei der Stange zu halten, müssen die Unternehmen gezielt interne Veränderungsmöglichkeiten anbieten. Weil nicht jeder Chef werden kann oder will, nimmt die Bandbreite an Gehältern auf ein und derselben Karrierestufe zu. Denn in die Entlohnung werden häufiger individuelle Komponenten eingerechnet. Uder bestätigt, dass diese verbesserten Chancen bei Seitwärtsbewegungen zunehmen. Wenn also beispielsweise ein Mitarbeiter innerhalb der Abteilung ein neues Aufgabengebiet übernimmt, steigt er zwar nicht in der Hierarchie auf, doch seine Bereitschaft, sich in etwas Neues einzuarbeiten, sollte trotzdem honoriert werden.

"Wir haben zwar eine gewisse Bandbreite bei der Einstufung des Fixanteils", erklärt Tremmel, aber viel Lärm ums eigene Gehalt bringe keine Vorteile. "Wer eine entsprechende Leistung zeigt, kann sich darauf verlassen, dass sie im internen Bewertungsprozess erkannt wird und man nicht um die entsprechende Gegenleistung kämpfen muss." Wehrle sieht in der Praxis vor allem immer dann Probleme auftreten, wo es keinen vorgesehenen Prozess gibt. "Dort gewinnen immer die Lautesten", sagt er.

Die Diskussion, unter welchen Bedingungen Gehälter steigen, führt in letzter Instanz zu der Frage, ob sie denn überhaupt immer steigen müssen. "Sehr viele Unternehmen basteln an Lösungen, wie man Gehaltsentwicklungen flexibler gestalten kann", sagt Uder von Towers Watson.

Bei BMW ist es ganz normal, dass mit einem Karrieresprung nicht sofort ein Gehaltssprung einhergeht. Der Mitarbeiter müsse ja erst in seine neue Rolle hineinwachsen und diese ausfüllen, heißt es intern. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Autobauer vermeiden will, an jemanden lebenslang höhere Bezüge zu zahlen, der sich nach einem Jahr als Fehlbesetzung entpuppt.

Viele Vergütungsabteilungen tüfteln derzeit an sogenannten Lebensphasenmodellen. Führungskräfte, die ihren Einsatz zeitweise oder gegen Ende ihrer Karriere reduzieren möchten, will man mehr Flexibilität anbieten können. Noch gibt es keine überzeugenden Lösungsansätze - ohne die eigene Karriere oder das Ansehen nachhaltig zu schädigen. Doch die Experten sind sich einig, dass auch andere Faktoren in Zukunft immer stärker im Wettbewerb um talentierte Mitarbeiter zählen werden.

Denkbar sind Leistungspunkte, die der Einzelne selbst aufteilen kann - etwa für Dienstwagen, betriebliche Altersvorsorge oder individuelle Versicherungsmodelle. Die Gewichtung fände dann innerhalb eines festen Punktekontos nach persönlichen Kriterien statt. Wenn jeder über seine individuellen Vorzüge berichten kann, könnte das vielleicht sogar die Gespräche übers Gehalt mit den Kollegen entspannen.

© SZ vom 16.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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