Unter deutschen Professoren und Feuilleton-Redakteuren gehört es zum guten Ton, die Nase über "Bologna" zu rümpfen. Die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen gilt vielen als mutwilliger Oktroi mit negativen, wenn nicht gar desaströsen Wirkungen namentlich in den Geisteswissenschaften. Deutsche Hochschullehrer solidarisieren sich mit ihren demonstrierenden Studierenden, viele von ihnen sind in der vergangenen Woche buchstäblich auf die Straße gegangen.
Master of Desaster - oder doch sinnvolles Konzept? Studenten protestieren gegen die Bologna-Reform.
(Foto: Foto: dpa)Wenig Mühe wird darauf verwandt, die politische und fachliche Logik dieses Reformprozesses zu studieren. Wo liegen die Herausforderungen des "Bologna"-Prozesses für die Universitäten und welche Spielräume haben die Universitäten und damit die Professoren, ihnen gerecht zu werden? Die Frage kann man anhand der verbreiteten Bologna-Mythen durchdeklinieren. Sie lauten "Verschulung" des Studiums, ausbleibende Internationalisierung, Einschränkung der Mobilität, fehlender Praxisbezug und unsachgemäße Verwendung von Studiengebühren (oder überhaupt deren Erhebung).
Phantasielose Umsetzung
Was als "Verschulung" bezeichnet wird, ist oft nichts anderes als eine phantasielose Umsetzung der wesentlichen Ziele der am 19. Juni 1999 in Bologna verabschiedeten bildungspolitischen Erklärung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Diese Erklärung war die logische Konsequenz aus dem gemeinsamen Binnenmarkt. Die historisch gewachsene Vielfalt der europäischen Bildungslandschaft sollte mit der höheren Mobilität namentlich der hochqualifizierten Arbeitskräfte in Einklang gebracht werden. Daher das Ziel der Vergleichbarkeit und Kompatibilität der äußeren und inneren Strukturen der höheren Bildungsgänge in den Mitgliedstaaten der EU und die Einführung vergleichbarer Abschlüsse, also Bachelor und Master, und eines Leistungspunktesystems.
In Deutschland und in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten wurde dies ergänzt durch die Einrichtung übergreifender Lehreinheiten (Module), die ihrerseits die Struktur eines Studiengangs übersichtlicher und damit auch im internationalen Vergleich transparenter machen sollten. Soweit so gut.
Etiketten nach der Prüfungsordnung
In vielen Fächern wurden mit diesen Anforderungen offene Türen eingerannt. Gut strukturierte Studiengänge an Universitäten und Fakultäten, die auf sich hielten, haben ihren Studierenden bereits vor "Bologna" gegliederte Studien- und Prüfungsbedingungen geboten, die nicht in erster Linie den Studierenden, sondern vor allem den Lehrenden etwas abverlangen. Eine am internationalen Forschungsstand orientierte Lehre mit zusätzlicher Unterstützung durch Übungen, Tutorien, eine gut ausgestattete und leicht zugängliche Bibliothek einschließlich der neuesten elektronischen Recherchemöglichkeiten und natürlich einer durchgehenden Bewertung aller Lehrveranstaltungen durch die Studierenden.
Ein professioneller Studienbetrieb auf hohem wissenschaftlichen Niveau, in dem zunächst einmal die Lehrenden Mindeststandards von Organisation und Betreuung der Studierenden erfüllen müssen, ist fordernd. Er ist jedenfalls unbequemer als ein Pseudo-Curriculum, das die Professorinnen und Professoren nur pro forma erfüllen, indem sie ihren Lehrveranstaltungen Etiketten nach der Prüfungsordnung ankleben.
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