Berufseinstieg:"Geisteswissenschaftler haben bessere Chancen denn je"

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Konzerne brauchen heute Menschen, die sich mit Ethik, Philosophie, Geschichte und Soziologie auskennen - aber Programmieren sollen sie bitte auch können. (Symbolbild) (Foto: Clay Banks/Unsplash.com)

Denn Ingenieure brauchen bei der Vermarktung heute ihre Hilfe. Für eine Konzernkarriere müssten sie aber mehr bieten als Wörterexpertise, sagt eine Romanistin.

Interview von Tim Kummert

Cornelia Soetbeer ist promovierte Romanistin und leitet das Team "Herausforderungen - für Wissenschaft und Gesellschaft" bei der Volkswagenstiftung. Die größte private wissenschaftsfördernde Stiftung in Deutschland vergibt jedes Jahr insgesamt 100 Millionen Euro für Forschungsvorhaben.

SZ: Geistes- und Kulturwissenschaftler haben derzeit bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als früher. Trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, mit einem Abschluss in Geschichte in den Vorstand eines Pharma-Konzerns zu wechseln, oder?

Cornelia Soetbeer: Natürlich. Aber ein reines Geschichtsstudium würde auch für Positionen im mittleren Management voraussichtlich nicht ausreichen. Da bedarf es schon zusätzlicher Qualifikationen. Man sollte beispielsweise programmieren können, Statistiken lesen und interpretieren können oder eine andere Art von Qualifikation mitbringen. Wenn das dann später zum Unternehmen gut passt und man sich im Studium nicht ausschließlich mit Wörtern beschäftigt hat, dann kann man es auch in Führungspositionen schaffen.

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Warum vermittelt man solche Inhalte dann nicht schon im Studium?

Das deutsche System ist noch von Säulen geprägt, das heißt: Die einzelnen Fächer stehen für sich allein. In den USA wird schon länger interdisziplinär gearbeitet, an manchen deutschen Hochschulen sind die Fachbereiche sogar räumlich extrem klar voneinander getrennt. Es verändert sich aber etwas, der Ruf der Wirtschaft nach zusätzlichen Qualifikationen erreicht die Ohren der Verantwortlichen in den Hochschulen. Es ist trotzdem nicht leicht, das bestehende System aufzubrechen.

Seit wann beobachten Sie, dass sich die Chancen von Geisteswissenschaftlern verbessern?

Seit etwa fünf bis zehn Jahren. Das liegt an verschiedenen Aspekten. Zum einen an der Digitalisierung, die über manche Unternehmen geradezu hereinbricht. Zum anderen verändert sich der Markt in einer schnelleren Geschwindigkeit als jemals zuvor. Was technisch machbar ist und was gesellschaftlich gewollt ist, liegt zuweilen meilenweit auseinander. Und um in dieser Grauzone Orientierung zu geben, sind die Geisteswissenschaftler und auch die Gesellschaftswissenschaftler genau richtig, weil sie vernetzt denken können und in der Lage sind, Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Daher haben sie gerade bessere Chancen denn je.

Die Geistes- und Kulturwissenschaften werden also als Bereicherung empfunden. Warum denken die Unternehmen erst jetzt um?

In den USA hat das monetäre Gründe, da geht es erst mal um den Umsatz. Dort merken die Unternehmen: Wir haben einfach mehr Gewinn, wenn unser Produkt nicht von der Planung bis zur Markteinführung nur von Ingenieuren betreut wird. Aber auch deutsche Firmen merken das zunehmend. Für sie zählt außerdem: Wie wir ethisch wahrgenommen werden, ist wichtig. Ob wir ökologisch arbeiten, spielt für den Verbraucher eine Rolle. Bei solchen gesellschaftlichen Fragen helfen die Geistes- und Kulturwissenschaftler, die sich oftmals schon im Studium intensiv mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigt haben.

Gibt es neben Banken und Technologieunternehmen weitere Bereiche, in die Geistes- und Kulturwissenschaftler vordringen können?

Absolut. Der Bedarf an Politikberatung in einer immer komplexeren Welt steigt, es braucht Leute, die historisch fundiert und aktuell die Entscheidungsträger beraten können. Die Migration ist ein weiterer Aspekt. Wo zunehmend Fremdheit und Nichtverstehen zu Alltagserfahrungen werden, da braucht es Sprachwissenschaftler, Philologen, Kulturwissenschaftler. Es gibt aber auch klassische geisteswissenschaftliche Bereiche, die sich verändern und erweitern - die Planung und Realisierung von virtuellen Umgebungen in Museen ist so ein Beispiel.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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