Arbeitsrecht:Dick im Geschäft

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Rund und fröhlich: Die US-Sängerin Beth Ditto. Im Job werden Dicke oft benachteiligt und zur Zielscheibe von Spöttern. Das könnte sich nun ändern. (Foto: dpa)
  • Bereits im Dezember 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Fettleibigkeit kein Kündigungsgrund sein darf.
  • Unternehmen sind durch das Urteil in vielen Bereichen zum Umdenken gezwungen.
  • Der Gerichtsentscheid wird sich auf Personalmaßnahmen und -gespräche sowie potenzielle Kündigungsprozesse auswirken.

Von Catrin Gesellensetter, München

Die Feiertage sind vorbei, die guten Vorsätze noch ziemlich frisch. Weniger Stress, vor allem aber mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung stehen wieder einmal ganz oben auf der Liste vieler Deutschen. Und trotzdem ist in diesem Jahr vieles anders als 2014.

Lange Zeit war der Wunsch, den Weihnachtsspeck wieder loszuwerden vor allem Ausdruck der persönlichen Eitelkeit. Neuerdings können unerwünschte Fettrollen aber auch juristische Bedeutung erlangen - zumindest, wenn sie auf den Hüften eines Arbeitnehmers lagern. Der Grund ist ein kürzlich ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg. Der entschied: Krankhafte Fettleibigkeit kann als Behinderung gelten, wenn sie zu deutlichen Einschränkungen bei der Teilhabe am Arbeitsleben führt (Az.: C-354/13). Beschäftigte mit Rubensfigur profitieren damit nicht nur von den gewöhnlichen Arbeitnehmerrechten, etwa im Bereich des Kündigungsschutzes. Im Fall eines Rauswurfs sind sie zusätzlich durch das Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geschützt. Das gebietet in Paragraf eins unter anderem, Arbeitnehmer mit Behinderungen im Berufsleben nicht zu benachteiligen.

Bisher waren deutsche Gerichte stets davon ausgegangen, dass selbst extreme Fettleibigkeit für sich allein betrachtet noch keine Behinderung im Sinne des Gesetzes darstellt (vgl. Arbeitsgericht Darmstadt, Az. 6 Ca 22/13). Erst, wenn die betreffende Person Folgekrankheiten wie etwa Diabetes entwickelte oder einen Bandscheibenvorfall erlitt, galt ein dicker Mensch auch als behindert.

"Einer der Effekte des Urteils wird ein gepflegterer Umgangston sein."

"Diese Beurteilung wird sich künftig nicht mehr halten lassen", sagt Cornelia Marquardt, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Norton Rose Fulbright in München. Laut EuGH kann das schiere Übergewicht, etwa bei einer krankhaften und langwierigen Adipositas, bereits eine Behinderung darstellen. Die Folgen dieser Auffassung sind weitreichend.

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"Einer der Effekte des Urteils wird zunächst ein gepflegterer Umgangston in den Unternehmen sein, in denen Dicke bislang Zielscheibe von Spott und Häme waren", glaubt Volker Rieble, Arbeitsrechtsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Der Grund: Der Arbeitgeber ist durch das AGG dazu verpflichtet, Behinderte vor "unerwünschten Verhaltensweisen" zu schützen, die in Zusammenhang mit seiner Behinderung (sprich: seinem Körpergewicht) stehen, und die "bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt" wird und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld" schaffen.

Umdenken ist auch bei Personalmaßnahmen nötig

Mit anderen Worten: Wird ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Körperfülle von (schlankeren) Kollegen schikaniert und bloßgestellt, muss der Chef das unterbinden - das kann im Extremfall sogar eine Kündigung des mobbenden Kollegen erforderlich machen. "Zusätzlich zum allgemeinen Schutz vor Mobbing können sich schwer adipöse Mitarbeiter künftig also auch auf das AGG stützen", sagt Fachanwältin Marquardt.

Umdenken müssen Arbeitgeber aber auch bei Personalmaßnahmen, die den Übergewichtigen selbst betreffen. "Luxemburg lässt eine klare Einstufung stark übergewichtiger Bewerber als behindert oder nicht behindert auf den ersten Blick nicht zu. Dies macht die Ablehnung eines schwergewichtigen Bewerbers für Unternehmen riskanter, wenn diese ebenso gut qualifiziert sind wie schlankere Bewerber", so die Juristin. "Auch bei Kündigungen werden Gerichte diesem Punkt Gewicht beimessen müssen."

Eine Restunsicherheit bleibt jedoch für alle Beteiligten. Denn auch wenn der EuGH das Schutzniveau für die Schwergewichte unter den Arbeitnehmern erhöht hat - einen absoluten Kündigungsschutz genießen sie auch weiterhin nicht. "Wenn ein Arbeitnehmer so dick ist, dass er seine Aufgaben rein massebedingt nicht mehr erfüllen kann, ist eine Kündigung auch weiterhin zulässig", sagt Rechtsprofessor Rieble. Für die Frage, ob ein gewichtsbedingter Rauswurf zulässig sei oder nicht, werde es daher auch auf die Frage ankommen, wofür der betreffende Mitarbeiter eingestellt wurde. "Ein fettleibiger Lkw-Fahrer wird seltener um seine Arbeitsstelle bangen müssen, als ein Sportlehrer, der 200 Kilo wiegt", erläutert Rieble. Wer überwiegend im Sitzen arbeite, könne die vertraglich geschuldete Leistung auch mit extremem Übergewicht meist noch erbringen. "Wenn ein Job eine gewisse Bewegungsfähigkeit erfordert, wird das hingegen schwierig", so der Jurist.

Mit einer ähnlichen Argumentation hat das Bundesarbeitsgericht bereits vor Jahren entschieden, dass ein übergewichtiger Bademeister, der nicht mehr in der Lage ist, Ertrinkende zu retten, trotz tariflicher Unkündbarkeit seinen Job verlieren kann (Az. 2 AZR 688/09). "Vergleichbare Urteile dürfte es auch in Zukunft noch geben", glaubt Stefan Lingemann, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei GleissLutz in Berlin. Insgesamt aber werde es für Arbeitgeber deutlich riskanter, einen fettleibigen Mitarbeiter vor die Tür zu setzen.

Übergewicht als Thema im Personalgespräch

"Der Behindertenbegriff des EuGH ist so unscharf, dass keiner der Beteiligten sicher sein kann, wer genau darunter fällt", kritisiert Anwalt Lingemann. Wenn jedoch ein Mitarbeiter aufgrund seiner Körperfülle und der damit verbundenen Beeinträchtigungen vom Gericht als behindert angesehen wird, hat er in einem Kündigungsschutzprozess einen Joker im Ärmel. Finden sich nämlich Indizien dafür, dass er wegen der Körperfülle gekündigt wurde, so muss der Arbeitgeber beweisen, dass das nicht der Fall war. "Dieser Beweis ist in der Praxis dann nur noch sehr schwer zu führen", so Lingemann.

Kopfzerbrechen bereitet Juristen auch die Frage, ob und wie das Thema Übergewicht zum Beispiel in einem Personalgespräch zu thematisieren ist. "Unter Umständen müssen Firmen besonders dicken Arbeitnehmern künftig zumindest Hilfe beim Abspecken anbieten - ähnlich wie sie heute schon Alkoholiker beim Entzug unterstützen sollen", so Rechtsanwältin Marquardt.

Andererseits kann der Arbeitgeber seine Beschäftigten wegen des Übergewichts aber weder abmahnen noch sie anderweitig zum Abnehmen zwingen. Unternehmen, die diesbezüglich zu offensiv vorgehen, müssen vielmehr damit rechnen, dass ihre Aussagen in einem späteren Kündigungsprozess gegen sie verwendet und als Beweis dafür gewertet werden, dass der Rauswurf aufgrund des Übergewichts erfolgte - und die anderen Kündigungsgründe nur vorgeschoben waren. Die betreffenden Arbeitnehmer hätten dann einen Anspruch auf Entschädigung, und wären weiterhin dick im Geschäft: In diesem Fall nämlich wäre die Kündigung des Chefs unwirksam.

© SZ vom 13.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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