Die Feiertage sind vorbei, die guten Vorsätze noch ziemlich frisch. Weniger Stress, vor allem aber mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung stehen wieder einmal ganz oben auf der Liste vieler Deutschen. Und trotzdem ist in diesem Jahr vieles anders als 2014.
Lange Zeit war der Wunsch, den Weihnachtsspeck wieder loszuwerden vor allem Ausdruck der persönlichen Eitelkeit. Neuerdings können unerwünschte Fettrollen aber auch juristische Bedeutung erlangen - zumindest, wenn sie auf den Hüften eines Arbeitnehmers lagern. Der Grund ist ein kürzlich ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg. Der entschied: Krankhafte Fettleibigkeit kann als Behinderung gelten, wenn sie zu deutlichen Einschränkungen bei der Teilhabe am Arbeitsleben führt (Az.: C-354/13). Beschäftigte mit Rubensfigur profitieren damit nicht nur von den gewöhnlichen Arbeitnehmerrechten, etwa im Bereich des Kündigungsschutzes. Im Fall eines Rauswurfs sind sie zusätzlich durch das Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geschützt. Das gebietet in Paragraf eins unter anderem, Arbeitnehmer mit Behinderungen im Berufsleben nicht zu benachteiligen.
Bisher waren deutsche Gerichte stets davon ausgegangen, dass selbst extreme Fettleibigkeit für sich allein betrachtet noch keine Behinderung im Sinne des Gesetzes darstellt (vgl. Arbeitsgericht Darmstadt, Az. 6 Ca 22/13). Erst, wenn die betreffende Person Folgekrankheiten wie etwa Diabetes entwickelte oder einen Bandscheibenvorfall erlitt, galt ein dicker Mensch auch als behindert.
"Einer der Effekte des Urteils wird ein gepflegterer Umgangston sein."
"Diese Beurteilung wird sich künftig nicht mehr halten lassen", sagt Cornelia Marquardt, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Norton Rose Fulbright in München. Laut EuGH kann das schiere Übergewicht, etwa bei einer krankhaften und langwierigen Adipositas, bereits eine Behinderung darstellen. Die Folgen dieser Auffassung sind weitreichend.
"Einer der Effekte des Urteils wird zunächst ein gepflegterer Umgangston in den Unternehmen sein, in denen Dicke bislang Zielscheibe von Spott und Häme waren", glaubt Volker Rieble, Arbeitsrechtsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Der Grund: Der Arbeitgeber ist durch das AGG dazu verpflichtet, Behinderte vor "unerwünschten Verhaltensweisen" zu schützen, die in Zusammenhang mit seiner Behinderung (sprich: seinem Körpergewicht) stehen, und die "bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt" wird und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld" schaffen.
Umdenken ist auch bei Personalmaßnahmen nötig
Mit anderen Worten: Wird ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Körperfülle von (schlankeren) Kollegen schikaniert und bloßgestellt, muss der Chef das unterbinden - das kann im Extremfall sogar eine Kündigung des mobbenden Kollegen erforderlich machen. "Zusätzlich zum allgemeinen Schutz vor Mobbing können sich schwer adipöse Mitarbeiter künftig also auch auf das AGG stützen", sagt Fachanwältin Marquardt.
Umdenken müssen Arbeitgeber aber auch bei Personalmaßnahmen, die den Übergewichtigen selbst betreffen. "Luxemburg lässt eine klare Einstufung stark übergewichtiger Bewerber als behindert oder nicht behindert auf den ersten Blick nicht zu. Dies macht die Ablehnung eines schwergewichtigen Bewerbers für Unternehmen riskanter, wenn diese ebenso gut qualifiziert sind wie schlankere Bewerber", so die Juristin. "Auch bei Kündigungen werden Gerichte diesem Punkt Gewicht beimessen müssen."