Was ist das Dümmste am Älterwerden? Dass der Rücken wehtut, die Backen hängen, und man schmerzlich registrieren muss, dass auch der Körper zum Menschen gehört? Und was ist mit dem Graus, von anderen nur noch als betulicher Opa oder einfältige Oma empfunden zu werden? Und was mit der aufziehenden Eigenbrötelei, die einen in das Destruktive zu treiben scheint und den Betroffenen zum ewigen Nörgler und Besserwisser macht? Aktuelles Motto: Früher war mehr Lametta. Dabei erfährt man bald, dass nichts tödlicher ist, als sich im eigenen Denken zu langweilen. Und nichts ernüchternder als der Verlust von Wahlmöglichkeiten. Dann wird die Furcht vor dem Altwerden beinahe übermächtig. Dagegen helfen weder neue Jeans noch ein superschicker Bleistiftrock. Und schon gar nicht der Abschluss einer privaten Pflegeversicherung.
Das Einzige, was man den Leuten heute noch ernsthaft anlasten könne, sei das Älterwerden. Sagt Madonna: "Das ist das Einzige, womit dich die Leute noch diskriminieren." Schließlich sei alles inzwischen gesellschaftsfähig geworden, nur nicht der körperliche Verfall. Der Kampf dagegen ist bisweilen ungestüm und unbeholfen. Eine ganze Botox-Generation begehrt dagegen auf und verfällt bisweilen wie Madonna einem Fitnesswahn. Dagegen steht das Häuflein der Resignierten - mit grauen Steppjacken und Herzsport einmal die Woche. Beide Varianten werden von der Hipster-Generation oft hämisch belächelt. Dabei sind auch den jungen Überfliegern in ach so "fernen Tagen" Hängebusen und Tränensäcke garantiert.
Berufsausbildung:Senior Azubi
Viele Unternehmen haben Mühe, ihre Lehrstellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Daher suchen sie jetzt auch nach älteren Auszubildenden - drei Geschichten von Spätberufenen.
"Die Menschen fühlen sich zumeist zehn bis 15 Jahre jünger, als es im Personalausweis steht."
Aber ist das wirklich das Problem in Deutschland, wo kaum noch einer weiß, wann das Altwerden beginnt? In einer Gesellschaft, die immer älter wird, weil nicht genug geboren und immer später gestorben wird. Wo es gesellschaftlich längst legitimiert ist, dass Männer jenseits der 65 Kinder zeugen und Frauen in ähnlichem Alter anfangen, mithilfe der Medizin Kinder zu gebären. Wo die Begriffe Oma oder Opa nur noch in alten Kinderbüchern vorkommen, während die Senioren agiler und mobiler werden und ihr gefühltes Alter deutlich sinkt. "Die Menschen fühlen sich zumeist zehn bis 15 Jahre jünger, als es im Personalausweis steht", sagt Trendforscher Peter Wippermann von der Folkwang Universität in Essen. Das Alter komme später. Irgendwann.
Von wegen. Spätestens mit dem Rentenbescheid droht die Ära des Müßiggangs, wächst der Zweifel, ob man als "frisch gebackener" Senior noch praxistauglich oder längst von einer Welt überfordert ist, in der Youtuber mit 25 schon zu alt für den angesagten Videoklamauk sind und "Alte Meister" scheinbar nur noch für den Kunstmarkt taugen.
Der Gewinn an Lebenszeit ist sozial ungleich verteilt
Das Statistische Bundesamt aber beruhigt. Es gibt Anhaltspunkte, wie wir uns den typischen Rentner anno 2015 vorzustellen haben: gesundheitlich fit, am Computer günstige Reiseangebote suchend, wissbegierig auf dem Weg in die Volkshochschule oder gar an die Universität und auch immer mehr weiterarbeitend - im alten Unternehmen, als Ehrenamtlicher oder jetzt selbständig im Teilzeitjob, vielleicht sogar mit eigener Firma.
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"Was würdest du tun, wenn du morgen im Lotto gewinnst?" Die meisten Deutschen haben auf diese Frage eine ziemlich nüchterne Antwort.
Deutschlands Senioren können das leisten. Sie sind fitter denn je. Mit jedem Jahrzehnt nimmt die Lebenserwartung um zweieinhalb Jahre zu. Vor allem steigt die Zahl der Jahre, in denen die Senioren vergleichsweise gesund und selbständig leben. Nur ist dieser Gewinn an Lebenszeit sozial höchst ungleich verteilt. Die oberen zehn Prozent der hochqualifizierten Männer etwa haben eine um neun Jahre höhere Lebenserwartung als die unteren zehn Prozent. In einigen Ländern wie den USA oder England wird dieses Problem als soziale Klassenfrage diskutiert. In Deutschland ist das weitgehend tabu.
Tatsache ist, dass die Bevölkerung zunehmend vergreist, was für die Gesellschaft immer teuerer wird. Auch dafür liefern die Statistiker alarmierende Zahlen: War Ende 2013 jeder fünfte der 81 Millionen Bundesbürger älter als 65 Jahre, so dürfte es nach ihren Schätzungen 2060 schon jeder dritte sein. Dabei gibt es jetzt schon nirgends in Europa einen so hohen Anteil von Senioren an der Gesamtbevölkerung wie in Deutschland. Und das kostet die Deutschen immens viel Geld. Einem Bericht der EU-Kommission zufolge werden sich die jährlichen Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflege bis 2060 beinahe verdoppeln, mithin von 520 Milliarden Euro (2013) auf dann fast 1020 Milliarden Euro steigen. Und auch das nur, wenn es hierzulande keine weiteren Rentengeschenke gibt, die Geburtenrate wieder steigt und die Gesundheitsausgaben beherrschbar bleiben, weil Innovationen aus der Pharmazie nicht länger als Kostentreiber zu Buche schlagen.
Bereits eingepreist in dieser Prognose ist die Rente mit 67. Nicht dagegen die neue abschlagsfreie Rente ab 63, die sich nach ihrer Verabschiedung viele Ältere nicht entgehen lassen. Zwischen Sommer 2014 und Sommer 2015 waren das immerhin etwa 100 000 Beschäftigte mit einem sozialversicherungspflichtigen Job. Und auch die Folgen der gerade beschlossenen Flexi-Rente, die das Ausgleiten aus dem Job vor dem eigentlichen Rentenalter begünstigt, bleiben unberücksichtigt. Da reiht sich Fragezeichen an Fragezeichen. Die Verunsicherung ist groß. Eine Mehrheit der EU-Bürger sieht die Zukunft des Sozialstaates pessimistisch. 70 Prozent der Deutschen befürchten, dass der Staat die Renten schon im Jahr 2050 nicht mehr garantieren kann.
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Führungskraft in Teilzeit, Sparen für das Freizeit-Konto oder Rentnerin auf Abruf: Manche Firmen lassen ihre Beschäftigten arbeiten, wie sie wollen. Fünf Arbeitnehmer berichten.
Als Erfolgsgeschichte einer umsichtigen Arbeitsmarktpolitik aber wird gefeiert, dass die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren zugelegt hat. Allein in der Altersgruppe zwischen 65 und 70 Jahren hat sich der Anteil der Erwerbstätigen innerhalb eines Jahrzehnts von sechs Prozent auf 14 Prozent mehr als verdoppelt. Diese Wachstumstendenz werde sich verstärken, heißt es. Ohne dafür schon handfeste Belege anführen zu können. Nötig allerdings wäre das allemal. Schließlich steht der Abschied der Babyboomer-Generation aus der Arbeitswelt bevor. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat für die 140 wichtigsten Berufe ausgerechnet, dass von diesen gegenwärtig 6,7 Millionen Beschäftigten fast jeder dritte in den nächsten 15 Jahren in den Ruhestand gehen wird. Die Zahl der Nachrücker bleibt deutlich darunter. Doch schon jetzt ist das Lamento über die wachsende Facharbeiterlücke groß.
Tolle Perspektiven also für die Golden Ager. Die Gesellschaft, möchte man meinen, sieht sie in ihrer demografischen Not nicht mehr nur als Kostgänger, sondern mehr und mehr auch als Fortschrittsträger, ausgerüstet mit einem nachhaltigen, weil weitgehend erneuerbaren Tatendrang und versehen mit dem vermeintlichen Qualitätskriterium "Je älter, desto besser". Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede mehr sein. Die Erfahrung der Alten verbindet sich mit der Risikobereitschaft der Jugend und schafft damit einen bemerkenswerten Mehrwert für die gesamte Gesellschaft.
Wenn das so wäre, müsste die Politik in dieser schönen neuen Welt des Miteinanders der Generationen eigentlich Anreize schaffen, dass fitte Arbeitnehmer freiwillig bis 70 und länger arbeiten können. Bislang Fehlanzeige. Politiker kümmern sich noch immer lieber um das Schicksal des in die Jahre gekommenen Dachdeckers, dem man im reifen Alter nicht mehr zumuten möchte, hoch oben auf den Dächern herumzuturnen - siehe Rente mit 63. Auch die Gewerkschaften feiern eher stoisch ihre Siege im Kampf um einen möglichst frühen und finanziell erträglichen Ausstieg ihrer Mitglieder aus dem Berufsleben.
Und die Arbeitgeber? Die postulieren bei jeder Gelegenheit, ihrem verbissenen Jugendwahn abgeschworen zu haben, der beinah jeden Arbeitsuchenden von Ende 30 an zum alten Eisen machte. Doch wirklich geändert hat sich nicht viel - im Gegenteil: Zwischen 2010 und 2014 stieg die Zahl der über 55-jährigen Arbeitslosen um fast zehn Prozent auf knapp 600 000. Eine Tendenzwende zeichnet sich nicht ab. So ist die Chance für angehende Rentner, weiterbeschäftigt zu werden, eher gering.
Rahmenbedingungen für Weiterbeschäftigung im Alter sind schlecht
Jenseits einiger Vorzeigeprojekte - von Daimler Benz bis zur Deutschen Bahn - gibt es gerade unter den über fehlende Fachkräfte klagenden Mittelständlern kaum Konzepte dafür. Allenfalls Einzellösungen für langjährige Mitarbeiter, die ungern an die große Glocke gehängt werden. Zumal die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine Weiterbeschäftigung schlecht sind. So dürfen Arbeitgeber den arbeitswilligen Senioren keine befristeten Arbeitsverträge anbieten, sondern nur unbefristete. Dieses Risiko aber will kaum einer eingehen. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass durch Krankheiten längere Ausfälle bei den älteren Menschen drohen, immer noch deutlich höher als bei jungen Leuten. Das Gros der arbeitswilligen Alten kann nichts gegen dieses Prinzip der Risikovermeidung tun und bleibt ganz einfach zur Rente verdammt.
Es stimmt: Immer mehr Menschen, die 65 oder älter sind, brauchen zum Überleben Hilfe vom Staat oder begründen ihren anhaltenden Arbeitseifer mit drohender oder bereits jetzt erdrückender Altersarmut. Den wachsenden Unruhestand im letzten Drittel des Lebens aber begründet das nicht oder eben nur zum Teil. Hinzu kommt die Suche nach dem späten Lebenssinn, das Beharren auf dem Glücksanspruch, der Wille, in der digitalen Welt noch einmal durchzustarten. Oder einfach nur Spaß am Tätigsein im Alter.
Klar, der Beruf soll nicht alles sein im Leben. Aber das Leben ohne Beruf ist auch nicht alles. Dabei ist längst nicht verbürgt, dass mit 66 der Spaß am Job erst richtig anfängt. Aber weitgehend befreit von Karriere, Selbstoptimierung und Konkurrenz, können sich die aktiven Alten den Luxus erlauben, bei aller nötigen Wertschätzung von Arbeitgebern oder Kunden, niemandem als sich selbst zu gefallen. Wichtiger aber noch ist, dass ihr Leben Struktur behält und nicht ausfranst. "Wer sich totarbeitet, lebt länger und zufriedener", antwortete unlängst einer dieser weißhaarigen Workaholics auf die Frage: Was geht noch, Alter? Gegen die Krise, in die ihn das Ende seiner Berufstätigkeit gestürzt hätte, hat er ein Mittel: weiterarbeiten.