Unglückliche Mütter:"Es ist der Albtraum meines Lebens"

Wenn Donath in ihrer Studie von einem Druck spricht, der auf Frauen lastet, dann meint sie nicht den Druck, der die jungen, aufstrebenden Mittelstands-Mütter im urbanen Milieu umtreibt; deren Streben nach Perfektion in Familie, Karriere und Partnerschaft, die Sehnsucht nach Makellosigkeit. Donath meint den viel umfassenderen Druck, der alle Frauen einschließt und der durch die öffentliche Annahme entsteht, jede Frau wolle auch Mutter sein. "Für viele Frauen mag das stimmen", sagt Donath. "Aber eben nicht jede Frau wächst automatisch, einer linearen Entwicklung gleich, in einen Kinderwunsch hinein."

Zum Beispiel Tirtza aus Donaths Studie: geschieden, zweifache Mutter und mittlerweile auch Großmutter. "Seit den ersten Wochen nach der Geburt habe ich die Entscheidung bereut", sagt sie. "Eine Katastrophe. Ich habe sofort verstanden, dass das nichts für mich ist. Mehr noch: Es ist der Albtraum meines Lebens (. . .) Allein dieses Konzept, wenn ein Kind mich "Mama" nennt. Ich drehe mich um, schaue, welche Mutter gemeint ist. Bis zum heutigen Tag. Ich konnte keine Verbindung herstellen zu dem Konzept, der Rolle, den Konsequenzen dieser (. . .) Verantwortung und Verpflichtung."

Oder Danit: Nach der Geburt ihres ersten Kindes habe sie gedacht, mit ihr stimme etwas nicht, sagt sie. Vor der zweiten Geburt habe sie gemeint, es werde nun anders werden; sie sei reifer geworden, sie habe einen Ehemann, der sie unterstütze. Erst später habe sie verstanden: "Das ist nichts für mich."

Aber warum? Die eine, einfache Ursache, die dazu führt, dass Tirtza und die anderen Frauen so fühlen, gibt es Donath zufolge nicht. Auch die Geschlechterrollen spielen eher keine Rolle: Bei einigen der Frauen kümmerte sich hauptsächlich der Vater um Kinder und Haushalt, in anderen Fällen lebten die Kinder sogar beim Vater.

Aber Donath selbst fragt ohnehin nicht: Warum? - sondern: Warum nicht? "Wenn Reue in der Rückschau theoretisch jeden Lebensbereich, jede menschliche Beziehung und jede Entscheidung berühren kann, wieso dann nicht auch die Mutterschaft?"Die Antwort liefert sie gleich hinterher: "Es ist die Gesellschaft, die entscheidet, dass Frauen Kinder wollen, wollen sollen - oder irgendwann, früher oder später in ihrem Leben, wollen werden."

In Israel, dem Heimatland Donaths, erhält diese Annahme durch die politisch-religiöse Situation vor Ort besonderes Gewicht; kein anderes westliches Land verzeichnet eine höhere Kinderzahl pro Frau, Israel gilt als Vorreiter im Bereich der künstlichen Reproduktionstechnologien. Im Rahmen der zionistischen Idee werde von Frauen schlicht erwartet, sich zu vermehren, schreibt Donath.

Die gegensätzlichen Gefühle sollen sie anerkennen und in den Alltag integrieren

Ihre Studie zeigt aber auch: Frauen, die ungern Mütter sind, lieben ihre Kinder deshalb nicht weniger. So sagt eine der Befragten, Doreen, 38 Jahre: "Schauen Sie, es ist kompliziert zu erklären. Ich bereue es, Mutter geworden zu sein, aber ich bereue nicht meine Kinder. Ich liebe sie. Ich bereue es, Kinder bekommen zu haben - aber ich liebe die Kinder, die ich bekommen habe. Ich wünsche mir nicht, dass sie nicht hier wären, ich möchte einfach keine Mutter sein."

"Ambivalenz kennen wir doch auch aus dem alltäglichen Leben", sagt Brigitte Ramsauer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die Psychologin arbeitet in Gruppentherapien mit psychisch erkrankten Müttern und ihren Säuglingen. "Es geht um die Fähigkeit, diese gegensätzlichen Gefühle anzuerkennen, zu tolerieren, in sich und in den eigenen Alltag zu integrieren. Darin besteht der Reifeprozess. Die Ambivalenz bei Müttern ist ganz normal", sagt sie.

Die konträren Gefühle können sogar hilfreich sein, da sie eine intensivere Auseinandersetzung der Mutter mit ihrem Kind erfordere. Das stärkt letztlich die Bindung zum Kind. Schwierig werden die einander widersprechenden Gefühle der Mutter erst, wenn sie für das Kind jederzeit spürbar sind.

So absolut ist aber selbst die Reue nicht. Einige Frauen in Donaths Studie sagten, sie sähen durchaus positive Aspekte von Mutterschaft: schöne Momente, eine herausfordernde Aufgabe, die Akzeptanz durch die Gesellschaft. Doch für die Probandinnen wogen die Nachteile schlicht schwerer: Verantwortung, Sorgen, der emotionale Fokus auf Familie und Partnerschaft, Konflikte zwischen Familienleben, Beruf und persönlichen Bedürfnissen. Konflikte, die viele Mütter kennen, aber unterschiedlich bewerten - was den Zwiespalt von Reue trennt.

Dass es aber tatsächlich Mütter gibt, die Letzteres empfinden, so wie manche Frau ihre Heirat als falsche Entscheidung bereut, scheint für viele immer noch undenkbar. Soziologin Christina Mundlos sagt es so: "Eine Mutter spricht nicht über ihre Erschöpfung. Das ist gesellschaftlich nicht erwünscht."

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