Hygiene:Sauber, nicht rein

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Schadet Putzen der Gesundheit? Nein, aber man sollte es nicht übertreiben, sagen Forscher. (Foto: maximbeykov via www.imago-images/imago images/maximbeykov)

Ist ein bisschen Dreck wichtig für das Immunsystem von Kindern? Warum Forscher für ein gesundes Mittelmaß beim Putzen plädieren.

Von dpa und Annett Stein

Das kindliche Immunsystem braucht den Kontakt zu Mikroben zum Trainieren und zur Verhinderung von Allergien - zu viel Hygiene und Sauberkeit schade Kindern daher, lautet eine gängige Annahme. Gründliche Reinigung im Haushalt und Maßnahmen gegen Krankheitserreger wie regelmäßiges Händewaschen stünden aber nicht prinzipiell im Widerspruch zum Kontakt mit nützlichen Organismen, schreiben nun zwei Forschende in einem Übersichtsartikel im Journal of Allergy and Clinical Immunology. Auf gezieltes Vorgehen komme es an.

Die Reaktionen vieler Menschen in der Corona-Pandemie zeigten, dass die Grenze zwischen sinnvoller Sauberkeit und übertriebenen Maßnahmen nicht jedem klar seien, schreiben Graham Rook vom University College London und Sally Bloomfield von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Statt sich auf Maßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen, nicht ins Gesicht fassen und Abstand halten zu konzentrieren, würde etwa eine besonders intensive Bodenreinigung praktiziert. Gerade für Kinder, aber auch für die Gesundheit von Erwachsenen könne das Folgen haben.

Für das verstärkte Auftreten chronisch entzündlicher Erkrankungen wie Allergien, Autoimmunitäts- und entzündlichen Darmerkrankungen in Gesellschaften mit westlichem Lebensstil sei zumindest teilweise eine gestörte Immunregulation die Ursache. Es gebe Vermutungen, dass das an einer "Verzerrung des mikrobiellen Inputs im frühen Leben durch häusliche Hygienepraktiken" liege. Zugleich sei Hygiene daheim und im täglichen Leben aber unerlässlich zum Schutz vor gefährlichen Erregern.

Bei den in Höhlen lebenden Frühmenschen und auch später noch in den einfachen, mit Erde, Lehm oder Tierdung verputzten Häusern aus Stroh, Holz, Lehm oder Stein hätten sich die darin lebenden Mikroben noch nicht wesentlich von denen der natürlichen Umgebung unterschieden, schreiben Rook und Bloomfield. Moderne Häuser beherbergten aber Mikroorganismen in ganz anderer Zusammenstellung als in der Natur. "Dieser Unterschied wird noch verstärkt, wenn das Haus in der Stadt und weit weg von der Natur liegt."

Wichtig ist der Kontakt zu natürlichen Mikroorganismen draußen, nicht im Haus

Es gebe inzwischen konkrete Hinweise darauf, dass Mikroorganismen der natürlichen grünen Umgebung besonders wichtig für die Gesundheit seien. Die Reinigung und Hygiene daheim habe auf den Kontakt zu diesen Mikroben draußen kaum Einfluss.

Ein Teil der immunregulatorischen Mechanismen wiederum gehe nicht auf bestimmte Arten von Mikroben, sondern verbreitete mikrobielle Komponenten wie sogenannte Muraminsäurederivate zurück. Laut einer Studie seien solche Verbindungen mit dem Schutz vor Allergien bei Kindern verbunden. Reinigung reduziere die Menge, der ein Kind daheim ausgesetzt ist, aber nicht auf ein unwirksames Maß. Weder Hygienemaßnahmen wie Händewaschen und Waschen von Handtüchern noch häusliche und persönliche Sauberkeit hätten in dieser Studie einen Einfluss auf die Entwicklung allergischer Erkrankungen gehabt.

Zudem nennen die Experten Forschungsergebnisse, denen zufolge der Zusammenhang zwischen Wohnungsreinigung und Gesundheitsproblemen wie Allergien wohl häufig auf den wiederholten Kontakt mit Reinigungsmitteln zurückgeht. Auch die regelmäßige Verwendung von Mitteln mit quartären Ammoniumverbindungen werde mit Problemen wie Asthma in Verbindung gebracht. Zudem enthielten viele Produkte potenzielle Allergene wie Enzyme. Sauberkeit daheim und persönliche Hygiene seien prinzipiell gut, es sei aber auf die richtige und gezielte Nutzung der Produkte zu achten, um die Exposition von Kindern gegenüber Reinigungsmitteln zu begrenzen.

Eine auf entscheidende Aspekte konzentrierte Reinigung und Hygiene steht demnach nicht im Widerspruch zu einer für die Gesundheit wichtigen Auseinandersetzung mit bestimmten Mikroben aus der natürlichen Umgebung oder von den Eltern und anderen Familienmitgliedern. Entscheidend sei etwa das Waschen von Obst und Gemüse sowie das Händewaschen nach dem Toilettengang oder vor dem Berühren von Lebensmitteln, um Darminfekten vorzubeugen. Auch Müll, Haustiere und von vielen Menschen berührte Oberflächen seien potenzielle Quellen für Krankheitserreger und damit Anlass zum Händewaschen.

Böden und allgemein Umgebungsflächen im häuslichen Bereich seien hingegen als risikoarm in Bezug auf Infektionsübertragungen anzusehen, sie seien selten mit schädlichen Mikroben kontaminiert und meist keine kritischen Kontaktpunkte. Es sei nicht sinnvoll oder sogar schädlich, solche Flächen zu sterilisieren oder gar Gelände im Freien und bestimmte Bereiche in Gebäuden - etwa U-Bahn-Stationen - mit Desinfektionsmitteln einzusprühen.

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