Medizin:Hoffnung für Millionen

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Für die Eltern kranker Kinder ist das Mittel, bei dem ein defektes Gen gegen ein funktionierendes ausgetauscht wird, wahlweise Wundermittel oder letzte Hoffnung. (Foto: Catherina Hess)

Die teuerste Arznei der Welt erfährt einen Rückschlag. Die Millionenspritze gegen tödlichen Muskelschwund zeigt bisher keinen Zusatznutzen.

Von Werner Bartens

Sie müssen beim Atmen husten. Selbständig sitzen gelingt kaum. Ob sie jemals laufen können, ist ungewiss. Wer kleine Kindern mit spinaler Muskelatrophie sieht, möchte sofort helfen. Von der seltenen Erbkrankheit sind in Deutschland jedes Jahr etwa 80 Kinder betroffen. Ohne Therapie sterben die meisten im Alter von zwei oder drei Jahren, manche früher. Ihre Muskeln werden schwächer. Da auch zum Atmen ein komplexes Zusammenspiel der Muskulatur notwendig ist, ersticken sie.

Seit 2019 wird manchen der Kinder eine einmalige Spritze gegeben. Sie kostet 2,3 Millionen Euro und ist das teuerste Medikament der Welt. Zolgensma heißt die Arznei des Schweizer Pharmakonzerns Novartis. Für die Eltern kranker Kinder ist das Mittel, bei dem ein defektes Gen gegen ein funktionierendes ausgetauscht wird, wahlweise Wundermittel oder letzte Hoffnung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das Gremium, das entscheidet, welche Untersuchungen und Therapien erstattet werden, hat vergangene Woche hingegen verkündet, dass für Zolgensma "kein Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie festgestellt" werden konnte.

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In Einzelfällen übernehmen Kassen die Kosten zwar trotzdem. Generell gilt aber, dass bei Umsätzen über 50 Millionen Euro ein Zusatznutzen belegt werden muss. Medikamente für seltene Krankheiten mit weniger Umsatz müssen den Nachweis nicht erbringen. Eine Vergleichstherapie gegen das seltene Muskelleiden ist seit 2017 auf dem Markt. Das Mittel heißt Spinraza, muss in einer unangenehmen Prozedur viermal im Jahr in den Rückenmarkskanal gespritzt werden und kostet 100 000 Euro pro Einzeldosis. Nach sechs Jahren, so das Argument von Novartis, wäre die Zwei-Millionen-Spritze günstiger. Wenn die Wirkung denn so lange anhält.

Für den G-BA war die Studienlage bisher nicht ausreichend, um Zolgensma einen Zusatznutzen zu attestieren. Es sind heikle Diskussionen, wenn es darum geht, wie teuer eine Therapie sein darf, um ein Leben zu retten, und wie viele Jahre damit womöglich gewonnen werden. Josef Hecken, der Vorsitzende des G-BA, betont, dass der "Beschluss zu Zolgensma mit großer Wahrscheinlichkeit nur vorläufig sein" wird. Man plane, "spätestens ab Sommer 2027" erneut über das teure Mittel zu beraten, dann seien "Aussagen zum langfristigen Zusatznutzen" möglich. Für die Eltern bleibt die Hoffnung auf eine wirksame Therapie. Der kleine Michael aus der Nähe von Ludwigsburg, für dessen Behandlung 2019 unter großer medialer Anteilnahme eine Spendenkampagne initiiert wurde, ist im August drei Jahre alt geworden. Vor zwei Jahren hat er die Millionenspritze bekommen, aktuelle Fotos zeigen, wie er an einem Gestell zu laufen versucht.

Dass die Therapie wirkt, ist allen Beteiligten zu wünschen. Hoffnung kann weit tragen. Den Kampf von Eltern gegen das Schicksal ihres Sohnes, der an der Nervenkrankheit Adrenoleukodystrophie (ALD) erkrankte, hat Hollywood 1993 verfilmt. Sie ließen nicht nach, bis eine Therapie gegen das tödliche Leiden entwickelt wurde. Auf Dauer erfüllte "Lorenzos Öl" die Erwartungen leider nicht, der junge Mann, dessen Leiden im Kino die Zuschauer gerührt hatte, starb 2008.

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