Xenotransplantation:Chirurgen verbinden Schweineniere mit Mensch

Lesezeit: 3 Min.

Chirurg Robert Montgomery während der Operation im September. (Foto: HANDOUT/via REUTERS)

54 Stunden lief das Experiment an einer hirntoten Frau, die Niere soll normal gearbeitet haben. Kommen bald massenhaft Ersatzorgane aus Tieren? 

Von Hanno Charisius

In einer gut zweistündigen Operation haben Chirurgen die Niere eines genetisch veränderten Schweins an den Blutkreislauf einer hirntoten Frau angeschlossen. Nahezu augenblicklich habe das Organ angefangen zu arbeiten, sagte Robert Montgomery von der New York University, der das Team geleitet hat. Die Operation fand bereits im September statt, zuerst hatte am Dienstag die amerikanische Tageszeitung USA Today darüber berichtet. Nach 54 Stunden beendete das Forscherteam den Versuch und schaltete die lebenserhaltenden Maschinen der Frau ab.

Angehörige der hirntoten Frau hatten dem Versuch zugestimmt. Das Schwein war eigens als Organspender gezüchtet worden. Durch einen genetischen Eingriff hatte das Unternehmen Revivicor, eine Tochter der US-Firma United Therapeutics, ein Gen im Erbgut des Tiers ausgeschaltet. Ohne diese Veränderung reagiert das menschliche Immunsystem nahezu umgehend und aggressiv auf das tierische Organ. Weltweit arbeiten zahlreiche Forschergruppen und Unternehmen an sogenannten Xenotransplantaten, Organen, die von Tieren in Menschen verpflanzt werden sollen, deren eigenes Gewebe durch Krankheit oder Verletzungen versagt. So soll der weltweite Mangel an Ersatzorganen behoben werden. Doch die Transplantation über Artgrenzen hinweg birgt nicht nur schwierige ethische Probleme, sondern ist auch medizinisch alles andere als einfach.

Die Urinproduktion habe praktisch sofort eingesetzt, heißt es

Die Operateure schlossen das Organ an Blutgefäße im Oberschenkel der Frau an und schoben einen Schlauch hinein, über den der gebildete Urin abfließen konnte. Laut Montgomery wurde das Organ nicht in, sondern an den Körper verpflanzt, um es beobachten zu können und regelmäßig Proben zu nehmen. Die Urinproduktion habe praktisch sofort eingesetzt, berichtete Montgomery amerikanischen Medien. Nach der Transplantation menschlicher Spendernieren auf nierenkranke Organempfänger setzt die Funktion mitunter erst Tage nach der Operation ein. Bislang ist die Arbeit von Montgomery noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht worden.

Robert Montgomery ist Direktor des Langone Transplant Institute an der New York University. (Foto: HANDOUT/via REUTERS)

Fachleute reagieren gemischt auf die Nachricht. Manche sehen darin einen wichtigen Fortschritt in Richtung klinischer Studien mit tierischen Organen an lebenden Patienten. Auf andere wirkt der Eingriff eher wie ein Publicity-Stunt. "Wenn auch die Beobachtung der funktionierenden Schweineniere nur 54 Stunden erfolgte, eine Zeit, die viel zu kurz ist, um Aussagen zur immunologischen Abstoßung zu treffen, ist dies doch ein weiterer Schritt der Xenotransplantation in die Klinik", sagt Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie an der Freien Universität Berlin. Auch zu einer möglichen Übertragung von Schweineviren auf die hirntote Patientin erlaube dieser Versuch wohl kaum Aussagen. Ins Schweineerbgut integrierte Viren, die viele Expertinnen und Experten als Problem für Xenotransplantationen betrachten, wurden nicht aus dem Erbgut des Spendertiers entfernt.

Der Herzchirurg Bruno Reichart, der 1981 die erste Herztransplantation in Deutschland vollführte, schätzt den wissenschaftlichen Wert des Versuchs in den USA als "nicht besonders hoch" ein. Handwerklich sei das Prozedere einfach, und der Erkenntnisgewinn durch die kurze Versuchsdauer gering. So bleibe durch den Anschluss außerhalb des Körpers unklar, ob die Niere auch tatsächlich die für den Organismus so wichtige Filterleistung erbringen kann. "Die Nieren der Toten funktionierten weiterhin, ob die Schweineniere wirklich die Funktion einer menschlichen Niere hätte ersetzen können, gibt diese Untersuchung nicht her", sagt Reichart, der selbst an Xenotransplantationen arbeitet. Er plant, Schweineherzen auf Menschen zu verpflanzen. Die Transplantation von Schweineherzen auf Paviane, die er vor drei Jahren mit seinem Team von der Universität München veröffentlichte, galt als wegweisend auf dem Gebiet. Diese gelang nur, indem das Immunsystem der Paviane durch Medikamente unterdrückt wurde, dann funktionierten die Schweineherzen jedoch viele Monate lang.

Durch zahlreiche Fortschritte im Bereich der Kontrolle des Immunsystems, aber auch bei der Züchtung der tierischen Spenderorgane halten viele Expertinnen und Experten mittlerweile die Grundlagen für solide genug, um erste klinische Versuche mit Tierorganen in Menschen zu starten. Herzklappen von Rindern oder Schweinen werden bereits seit Jahren verpflanzt, bald sollen ganze Organe folgen. Patienten mit schweren Nierenschäden und zu geringer Lebenserwartung, um auf ein menschliches Ersatzorgan zu warten, könnten bereits jetzt von einer Schweineniere profitieren, schrieben die Experten für Xenotransplantationen David Cooper und Hidetaka Hara von der University of Alabama kürzlich in einem Fachjournal. Die Patienten hätten ein Leben ohne maschinelle Blutreinigung per Dialyse, und "die gewonnene Erfahrung würde die Fortschritte weit schneller vorantreiben, als wenn wir weiter im Labor forschen".

Bruno Reichart warnt jedoch vor übereilter Aktion. "Xenotransplantation kann nur funktionieren, wenn die Gesellschaft dahintersteht." Er befürchtet, dass durch fragwürdige Experimente das ganze Forschungsfeld in Misskredit geraten könnte.

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