Medizin:Süßstoff unter Verdacht

Lesezeit: 3 min

Der Süßstoff Aspartam ist weit verbreitet - und in vielen Produkten enthalten. (Foto: imago stock&people)

Wird der populäre Zuckerersatz Aspartam bald als "möglicherweise krebserregend" eingestuft? Die Beweislage ist heikel

Von Werner Bartens

Die Nachrichtenlage erinnert an die Gerüchte, die hochkochen, bevor ein Fußballstar den Verein wechselt. Gesichert ist nichts, aber die Anzeichen verdichten sich. Im aktuellen Fall geht es nicht um Ronaldo, Messi oder Mbappé, sondern um den Süßstoff Aspartam, der Diätlimonaden und zahlreichen anderen Lebensmitteln zugesetzt wird. Agenturberichten zufolge soll die International Agency for Research on Cancer (IARC), ein Krebsforschungsinstitut in Lyon, das der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugeordnet ist, Aspartam Mitte Juli als "möglicherweise krebserregend für Menschen" einstufen.

Die Bewertungen des IARC legen allerdings nicht fest, welche Dosis einer Substanz bedenkenlos konsumiert werden kann und wann die Gesundheitsgefahr einsetzt. Die IARC-Forscher ziehen vielmehr Rückschlüsse aus dem publizierten Forschungsstand. Die Bewertungen des IARC haben in der Vergangenheit immer wieder Kritik ausgelöst. Hauptvorwurf: Konsumenten würden dadurch nur verwirrt. So wurden auch Nachtarbeit und der Konsum von rotem Fleisch vom IARC als "potenziell krebserregend" eingestuft, obwohl das Risiko nur minimal erhöht oder die Studienlage unklar war.

Die Diskussion begleitet den Stoff seit 1965

Am 14. Juli soll der Beschluss des IARC verkündet werden. Seit 1981 gilt Aspartam innerhalb gewisser Grenzen als sicher. Ein 60 Kilogramm schwerer Erwachsener müsste schon jeden Tag je nach zugesetzter Aspartam-Menge zwischen 12 und 36 Dosen Diätlimo trinken, um die Grenzwerte zu überschreiten. Die Diskussion, ob Aspartam krebserregend ist, begleitet den Stoff, seit er 1965 entdeckt wurde. Doch die meisten Studien waren zu klein, lediglich Tierversuche oder der beobachtete Effekt fiel zu gering aus, um die Substanz zu verbieten. In etlichen Studien konnte schlicht keine Krebsgefahr nachgewiesen werden.

SZ PlusInsektengift Acetamiprid
:Insektizid häufiger in Lebensmitteln gefunden

Nach dem Verbot einer Gruppe von Pflanzenschutzmitteln warnt die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch davor, dass andere Insektizide nun häufiger eingesetzt werden. Die Folgen für Umwelt und Mensch sind unklar.

Von Hanno Charisius

"Wir müssen erst auf die vollständige Evaluation warten", sagt der Chemiker Oliver Jones von der Universität Melbourne. "Von den bisherigen IARC-Bewertungen wissen wir, dass es bei Hinweisen auf Krebsgefahr das Etikett ,möglicherweise kanzerogen' gibt, auch wenn die Datenlage noch nicht schlüssig ist." Zudem müsse man wissen, dass die Einstufung als "möglicherweise kanzerogen" nicht bedeutet, dass man bei einer Exposition automatisch Krebs bekommt. Die Dosis macht das Gift. "UV-Licht ist schließlich auch krebserregend, trotzdem benutzen wir im Winter kaum Sonnencreme, weil die Dosis geringer ist", so Jones.

Für Tom Sanders, der am King's College in London eine Professur für Ernährungswissenschaften innehatte, ist die Datenlage ebenfalls unklar. "In Großbritannien wurde Aspartam als Süßungsmittel für mehr als 30 Jahre benutzt", so Sanders. "Es gab zwar Hinweise darauf, dass Tiere im Labor Krebs bekamen, wenn sie mit großen Mengen Aspartam gefüttert wurden, aber die Ergebnisse ließen sich nicht auf Menschen übertragen." In anderen Tierversuchen sei der Zusammenhang hingegen gar nicht entdeckt worden - zudem schätze die amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA Aspartam weiterhin als sicher ein.

Was sagt die Einstufung über das reale Risiko aus?

Aspartam leitet sich von den beiden Aminosäuren Asparaginsäure und Phenylalanin ab. Wenn es im Organismus aufgespalten wird, entstehen geringe Mengen Methanol, dessen Abbauprodukte potenziell krebserregend sind - allerdings entsteht dabei nur ein Bruchteil der Menge, die in Fruchtsäften oder Wein enthalten ist. "Nach meiner Kenntnis gibt es keine Beweise dafür, dass Aspartam bei Menschen Krebs auslöst", so Sanders. "Die toxikologischen Daten wurden ausführlich von Kontrollbehörden untersucht und Aspartam ist von vielen Behörden als unbedenklich eingestuft worden."

Noch deutlicher wird der Statistiker Kevin McConway von der Open University: "Eine Einstufung des IARC als ,möglicherweise krebserregend' bedeutet nicht automatisch, dass die Substanz für Menschen unter normalen Umständen eine Gefahr darstellt - auch wenn die Wortwahl das nahelegt." In der Arbeit des IARC gehe es nicht um tatsächliche Gesundheitsrisiken, sondern darum, ob eine Substanz jemals zum Risiko werden könnte, auch wenn das sehr unwahrscheinlich sei. McConway vergleicht die Einstufung mit der von Meteoriten - klar können sie zu einem Risiko für Menschen werden, aber die reale Gefahr ist dann doch vergleichsweise gering.

Angesichts dieser Gemengelage wird die Diskussion wohl auch nach der Veröffentlichung des Berichts Mitte Juli weitergehen. Über die tatsächlichen Risiken durch Aspartam - und über die leicht falsch zu verstehende Rolle des IARC.

Mit Material vom Science Media Center

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPrävention
:So lässt sich das Krebsrisiko senken

Von Vollkornbrot bis Lüften: Etwa 40 Prozent aller Krebsfälle in Deutschland könnten vermieden werden. Die wichtigsten Möglichkeiten, sich zu schützen.

Von Berit Uhlmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: