Medizin:Warum auf Masern eine Gehirnentzündung folgen kann

Medizin: Masernviren können nur dann das Gehirn infizieren, wenn unterschiedlich mutierte Varianten zusammenwirken.

Masernviren können nur dann das Gehirn infizieren, wenn unterschiedlich mutierte Varianten zusammenwirken.

(Foto: Hans R. Gelderblom; Hans R. Gelderblom, Freya Kaulbars. Kolorierung: Andrea Schnartendorff/RKI/Hans R. Gelderblom)

Masernviren führen meist nur zu Fieber und Hautausschlag. Forscher haben nun herausgefunden, warum es danach zu einer oft tödlichen Krankheit kommen kann. Besonders gefährdet sind Säuglinge.

Maserninfektionen haben eine gefürchtete Spätfolge: die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), eine meist tödlich verlaufende Schädigung des Gehirns. Um eine solche auszulösen, müssen die Erreger ins Gehirn vordringen. Und das gelingt ihnen offenbar nicht alleine: Der Wildtyp des Virus ist dazu nicht in der Lage, ebenso wenig wie einzelne Virustypen mit bestimmten Mutationen. Gemeinsam aber werden Viren mit verschiedenen Genvarianten gefährlich: Wie japanische Wissenschaftler um Yuta Shirogane von der Kyushu University in Fukuoka im Journal Science Advances berichten, können sich die Viren im Zusammenspiel im Hirn ausbreiten und die meist tödliche Krankheit auslösen.

SSPE ist in den USA und Westeuropa wegen der weitverbreiteten Masernimpfung äußerst selten. Allerdings kommt es immer wieder zur Infektion von Säuglingen, die noch nicht geimpft werden konnten - etwa, wenn sich in einer Praxis gleichzeitig oder Stunden zuvor ein nicht geimpfter, an Masern erkrankter Mensch aufhielt. Das Risiko, eine SSPE zu entwickeln, ist bei Menschen, die im Alter von unter zwei Jahren an Masern erkrankten, am höchsten.

Die neurodegenerative Erkrankung tritt meist erst mehrere Jahre nach einer akuten Maserninfektion auf. Bisher lässt sich die Krankheit nicht aufhalten. Auf erste Anzeichen wie Vergesslichkeit und Reizbarkeit folgen Symptome wie Halluzinationen und Krampfanfälle. Geistiger Verfall, Sprechstörungen, Muskelsteifigkeit und Schluckstörungen folgen. Der Tod tritt meist ein bis drei Jahre nach Ausbruch ein.

"Normalerweise infiziert das Masernvirus nur Immun- und Epithelzellen und verursacht Fieber und Hautausschlag", erklärte Yuta Shirogane. Um in Nervenzellen eindringen zu können, müsse das Virus mutieren. Zentral sind dabei Mutationen im sogenannten F-Protein. Dieses bewirkt, dass die Virushülle und die äußere Membran einer Körperzelle miteinander verschmelzen. Das F im Namen weist auf diese Fusion hin.

Forscher sprechen von "Sociovirology": Virusvarianten beeinflussen sich gegenseitig

Die Studienautoren verwendeten Daten über Genmutationen in den Masernviren von SSPE-Patienten. Sie fanden verschiedene Mutationen, deren Effekte sie bei Versuchen an Gehirnen von Mäuseembryonen testeten. Dabei stellten sie fest, dass eine bestimmte Mutation des F-Proteins für sich genommen dem Virus noch nicht das Eindringen in Hirnzellen ermöglicht. Das gelang erst durch eine sogenannte En-bloc-Übertragung. Das F-Protein kann nicht nur eine Fusion von Virenhülle und Zellmembran herbeiführen, sondern auch das Verschmelzen einer infizierten Zelle mit einer nicht infizierten Zelle. Bei den Nervenzellen geschieht dies an den Synapsen zwischen dem Fortsatz einer Nervenzelle und einer anderen. Bei dieser Fusion wird der synaptische Spalt überbrückt, und die Viren gelangen ungehindert in die nächste Nervenzelle. Dabei liegen oft verschiedene genetische Varianten des Virus gemeinsam in einer Zelle vor und werden zusammen ("en bloc") weitergegeben.

Shirogane und Kollegen stellten nun fest, dass die scheinbar sinnlose F-Protein-Mutation das Eindringen des Virus in Nervenzellen ermöglicht, wenn gleichzeitig der Wildtyp des F-Proteins anwesend ist. Bei den meisten anderen Mutationen des F-Proteins hingegen bewirkte der Wildtyp, dass das Eindringen in Nervenzellen kaum oder gar nicht gelang. Die verschiedenen Mutationen können sich also gegenseitig beim Infektionserfolg stören oder ihn erst ermöglichen. Dieses erst vor wenigen Jahren entdeckte Phänomen wird im Englischen "Sociovirology" genannt - die verschiedenen Virusvarianten beeinflussen sich gegenseitig wie eine soziale Gruppe.

Die Forscher geben die Inzidenz von SSPE mit vier bis elf pro 100 000 Masernerkrankungen an. Wegen der weltweiten Masernimpfungen sei die absolute Zahl der SSPE-Fälle in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen. Allerdings sorgen sich Wissenschaftler, dass die Zahl wieder steigen könnte. Die Corona-Pandemie habe Impfprogramme insbesondere im globalen Süden zurückgeworfen, sagte Shirogane. Häufig sei Geld, das für Impfungen gegen Masern vorgesehen war, für Impfungen gegen Sars-CoV-2 verwendet worden.

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