Welt-Aids-Tag:Krieg in der Ukraine erschwert Kampf gegen HIV

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In einer Apotheke in Lwiw sorgt ein Kunde mit seinem Smartphone für ein wenig Licht. Die häufigen Stromausfälle sind für die Versorgung von Kranken katastrophal. (Foto: Gaelle Girbes/Getty Images)

Die Ukrainerin Olena Stryzhak engagiert sich für HIV-positive Frauen in ihrem Land, gegen viele Widrigkeiten. Nicht überall gelingt das: Der weltweite Kampf gegen Aids gerät immer weiter ins Stocken.

Von Berit Uhlmann

Denkt sie manchmal darüber nach, dieses gequälte Land zu verlassen? Olena Stryzhak schüttelt den Kopf, die Stimme versagt für einen Augenblick, bis sie antwortet: "Ich brauche mein Land." Und dann erzählt sie, welchen Tribut dieser Durchhaltewille fordert. Das größte Problem sind derzeit die Stromausfälle. Kein Strom, das heißt meist auch eingeschränkte Kommunikation, keine Heizung, keine Möglichkeiten zu kochen. Dann müssen Frauen bei Minusgraden auf die Straße laufen und über offenem Feuer die Milch für ihre Babys aufkochen. Solche Probleme hätte sich Olena Stryzhak nie vorstellen können, als sie vor 20 Jahren begann, sich für HIV-positive Frauen in der Ukraine zu engagieren - wozu eben auch gehört, dafür Sorge zu tragen, dass infizierte Mütter ihren Kindern Flaschennahrung geben, um das Risiko einer Virus-Übertragung beim Stillen zu umgehen.

Olena Stryzhak ist Anfang 40, sie leitet in ihrem Land die Hilfsorganisation "Positive Women". Mit ihr unterstützt sie Frauen, die wie sie selbst mit dem HI-Virus leben. Die Ukraine ist das Land mit der größten HIV-Epidemie in Europa. Fast die Hälfte der etwa 250 000 Infizierten ist weiblich. Die Organisation berät sie, versorgt sie mit Medikamenten und Milchpulver und neuerdings auch mit Dingen wie Powerbanks zum Aufladen der Handys oder mit einem Bett. Vier Notunterkünfte haben sie aufgebaut, für Frauen und Kinder, deren Zuhause weggebombt wurde. Das Milchpulver geben sie längst auch an nicht infizierte Mütter ab; die Not ist vielerorts groß.

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"Es ist hart, jeden Tag weiter zu arbeiten, zur Schule zu gehen, weiter zu leben", sagt Olena Stryzhak. Zweimal wurden Autos angegriffen, die Medikamente in das damals noch besetzte Cherson bringen sollten, ein Fahrer starb. Und doch machte sich schließlich ein drittes Fahrzeug auf den Weg nach Cherson - und kam heil mit den lebensrettenden Tabletten an, erzählt Stryzhak. Sie will damit sagen: Es geht doch irgendwie immer weiter. Doch die Frage ist: Wie lange noch?

Zur Versorgung von HIV-positiven Kindern fehlt häufig die Expertise

Über die Jahre gingen die HIV-Infektionszahlen in der Ukraine kontinuierlich zurück, vor allem dank des starken ukrainischen Engagements, auch in der Zivilgesellschaft, sagt Dumitru Laticevschi, Regionalmanager Osteuropa und Zentralasien beim Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Doch "inzwischen wächst die Sorge, dass die durch den Krieg verursachten Vertreibungen, Einschränkungen der Versorgung und Traumata zu einem sprunghaften Anstieg der Neuinfektionen führen werden".

Dabei richten Experten ihren Blick nicht nur auf das Land selbst. Mit den fliehenden Menschen gelangt auch das Virus ins Ausland. Die europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC schätzte im Sommer, dass 10 000 bis 30 000 HIV-positive Flüchtlinge in EU-Staaten kommen. Die Hochrechnung basierte auf der damaligen Flüchtlingszahl von weniger als sechs Millionen. Bald aber werden acht Millionen Ukrainer im EU-Raum sein. Ihre Versorgung ist, auch was HIV betrifft, eine Herausforderung.

Bislang, darauf deuten erste Daten hin, geht auch dies irgendwie. Eine Erhebung in osteuropäischen Staaten zeigte im Sommer, dass fast 90 Prozent der HIV-positiven Flüchtlinge sehr zügig mit antiviralen Medikamenten ausgestattet werden, zumindest für die ersten 30 Tage. Dennoch befürchteten die befragten HIV-Zentren, dass die Betreuung der geflüchteten Patienten auf Dauer zu Einschränkungen in der Versorgung der einheimischen Betroffenen führen könnte.

In Deutschland gelinge die Versorgung von HIV-positiven Flüchtlingen relativ gut, heißt es vonseiten der Deutschen Aidshilfe. Es gibt Herausforderungen, vor allem wenn Menschen kommen, die eine Drogen-Substitutionsbehandlung brauchen, die hierzulande nicht eben üppig angeboten wird. Oder wenn HIV-positive Kinder behandelt werden müssen. Die erfreuliche Tatsache, dass in Deutschland kaum Babys mit HIV geboren werden, bedeutet eben auch, dass es hier nicht überall Expertise für diese jungen Patienten gibt.

"Der weltweite Fortschritt verlangsamt sich."

Alles in allem erweisen sich, wie schon in der Corona-Pandemie zu sehen war, viele HIV-Hilfsprogramme als erstaunlich resilient. Aber trotz dem enormen Einsatz an vielen Stellen bräuchte es deutlich mehr, um die Ziele der Weltgemeinschaft zu erreichen.

1,5 Millionen Menschen weltweit haben sich des "Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/Aids" (Unaids) zufolge im vergangenen Jahr neu mit HIV infiziert. Das sind zwar weniger als im Vorjahr, aber das Minus fällt so klein aus wie seit 2016 nicht mehr. Die Zahl der Menschen, die neu in Behandlung kamen, legte nur minimal zu, das Plus war so winzig wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Das bedeutet: "Der weltweite Fortschritt verlangsamt sich", schreibt Unaids.

Damit werden die globalen Ziele einmal mehr deutlich verfehlt. Nach ihnen sollten längst 90 Prozent der HIV-Infizierten diagnostiziert sein, von ihnen wiederum 90 Prozent Medikamente bekommen, die in 90 Prozent der Fälle so gut wirken, dass das Virus nicht mehr weitergegeben werden kann. Bis zum Jahr 2025 lauten die Zielvorgaben 95-95-95. Die tatsächlichen Werte aber liegen nach der jüngsten Bilanz von Unaids bei 85-75-68. Weltweit leben derzeit 38,4 Millionen Menschen mit dem Virus. In Deutschland hat sich die Situation wenig verändert. Die Bilanz der Bundesrepublik lautet nach Angaben des Robert-Koch-Instituts 90-96-96 - und zeigt, dass die rasche Diagnostik nach wie vor ein Problem ist. Etwa 91 000 Menschen leben aktuell mit der Infektion.

Unaids macht in seinem Bericht zum Welt-Aids-Tag neben den aktuellen Krisen auch Ungleichbehandlung beim Zugang zu Prävention und Behandlung sowie fehlende finanzielle Unterstützung für den schleppenden Fortschritt verantwortlich. Derzeit kürzen viele reiche Länder ihre Zahlungen für die globale Gesundheit, hieß es. Bereits im vergangenen Jahr fehlten den HIV-Programmen in ärmeren Staaten acht Milliarden Dollar.

Auch Olena Stryzhak sorgt sich, dass die Unterstützung nachlässt. Sie reist bisweilen, um sich mit Aktivisten in anderen Ländern zu treffen. Im Laufe der Zeit hat sie beobachtet, dass das Interesse an der Lage in der Ukraine abgenommen hat. Aufgeben ist für sie dennoch keine Option. "Ich denke, das was ich tue, wird gebraucht."

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