Gesundheit:Experte gegen Öffnungen im Saarland zum jetzigen Zeitpunkt

Corona
Thorsten Lehr, Saarbrücker Pharmazie-Professor steht vor einem Bildschirm mit einer von ihm entwickelten Simulation der Corona-Entwicklung. Foto: Iris Maria Maurer/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Saarbrücken (dpa/lrs) - Vom Start des geplanten Öffnungsmodells im Saarland zum Zeitpunkt ab dem 6. April hat der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr abgeraten. "Ich halte das momentan für das falsche Signal, in Zeiten des Wachstums, auf massive Öffnungen zu setzen", sagte der Experte für Corona-Prognosen am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Saarbrücken. Auch wenn die Zahlen im Saarland im bundesweiten Vergleich niedriger seien: "Wir sehen auch hier einen kontinuierlichen Anstieg."

Nach seinen Berechnungen erwartet er, "dass wir im Saarland Anfang April, rund um den geplanten Starttermin, die Inzidenz von 100 erreichen könnten." Er halte "Lockerungen und Pilotprojekte, wenn sie auf einer solch hohen Flughöhe starten, für sehr schwierig". Vor dem Start des Modellprojekts im Saarland, das auf Lockerungen durch massenhaftes Testen setzt, müsse man das Infektionsgeschehen "erst einmal wieder besser in den Griff bekommen".

Derzeit liege die Sieben-Tage-Inzidenz in dem Land mit knapp einer Million Einwohnern bei knapp über 80. Tendenz steigend. "Das ist einfach zu hoch. Da würden wir den guten Gedanken des Modells riskieren." Von daher wäre es sinnvoller: "Jetzt zu warten." Seiner Ansicht nach seien solche Modellprojekte ab einer stabilen Inzidenz von knapp über 50 richtig. Der R-Wert dürfe maximal 1,0 sein.

Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) hatte vergangenen Donnerstag den Start des "Saarland-Modells" ab dem 6. April angekündigt - sofern die 7-Tage-Inzidenz stabil bei unter 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern liegt. Am Montagabend teilte er über Twitter mit, dass sich der Starttermin "wegen exponentiellem Wachstum einer 3. Welle" verschieben könnte. Das Modell werde aber auf jeden Fall kommen.

Das Saarland will bislang vom 6. April an Kinos, Theater, Fitnessstudios und die Außengastronomie wieder öffnen. Voraussetzung für Gäste und Nutzer ist ein tagesaktueller negativer Schnelltest. Zudem dürfen dann im Freien maximal zehn Personen zusammenkommen, wenn sie negativ getestet worden sind.

Lehr sagte, wenn man das Projekt zum 6. April starte, sei es wahrscheinlich, dass es dann "relativ schnell" wieder angehalten werden müsse. "Ich glaube, der Zeitraum, den das Projekt unbeschwert laufen könnte, könnte relativ kurz sein."

Er sieht zudem die Größe des "Saarland-Modells" kritisch: "Ich finde ein ganzes Bundesland als Modellprojekt sehr umfangreich." Zudem plädiere er bei den Projekten für ein deutschlandweit koordiniertes Aufmachen von jeweils wenigen Bereichen: "Dass nicht alle das Gleiche machen und man daraus lernen kann."

Der Trend der Neuinfektionen gehe derzeit in allen Bundesländern "relativ steil nach oben", sagte Lehr nach Analyse der jüngsten Zahlen des "Covid-Simulators" an der Universität des Saarlandes. Bundesweit rechne er im Laufe der nächsten Woche mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 200. Mitte bis Ende April könne der Wert dann bei 300 liegen - falls es keine Maßnahmen gebe.

Mit Sorge betrachte er den Anstieg der Zahlen auf den Intensivstationen in den deutschen Krankenhäusern. "Wenn jetzt nichts passieren wird, dann wären wir Mitte April bei 6000 belegten Betten. Das ist das, was wir in Peak-Zeiten hatten."

Angesichts der Zahlen ging Lehr davon aus, dass es einen erneuten Lockdown geben wird. "Die Politik wird einschreiten. Niemand wird letztlich die Inzidenz so frei laufen lassen." Es müsse aber "flott" etwas passieren. "Selbst wenn ich sofort einen Lockdown mache, dann dauert es zwei bis vier Wochen, bis er in der Klinik ankommt."

Der Professor für Klinische Pharmazie an der Uni des Saarlandes hat mit seinem Forscherteam einen "Covid-Simulator" entwickelt, der das Infektionsgeschehen in Deutschland berechnet und Prognosen liefert: für ganz Deutschland, die einzelnen Bundesländer bis hin auf Landkreisebene. Er kann auch online genutzt werden.

© dpa-infocom, dpa:210330-99-26140/3

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: