Gesundheit - Berlin:Gewalt gegen Kinder befürchtet: Ältere fühlen sich einsam

Berlin
Silbernetz-Initiatorin Elke Schilling telefoniert in ihrem Büro. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa/bb) - Die Berliner Gewaltschutzambulanz befürchtet durch die Coronakrise einen starken Anstieg von Kindesmisshandlungen. "Die soziale Kontrolle ist derzeit nicht da - der Bereich, wo sonst Verletzungen von Kinder auffallen, also in Schulen, Kitas oder bei Tagesmüttern, ist ja gerade weggefallen", sagte die Vizechefin der Ambulanz, Saskia Etzold, der Deutschen Presse-Agentur. Schulen und Kindereinrichtungen wurden geschlossen, um eine Ausbreitung des gefährlichen Virus einzudämmen.

Verletzungen von Kindern, die nun viel zu Hause sind und von ihren Eltern geschlagen oder getreten werden, würden derzeit von außen kaum bemerkt werden. "Sie sind jetzt da, wo es nicht auffällt, wenn sie verletzt sind", sagte Etzold. Die Oberärztin rechnete damit, dass erst nach dem Ende der Kontaktsperren das Ausmaß sichtbar werde und sich dann verstärkt betroffene Kinder meldeten oder gemeldet würden. Wichtig sei das, bevor Verletzungen wieder verheilten.

Unterdessen erhöht sich in der Corona-Krise die Nachfrage bei einer Berliner Hotline für einsame Senioren. Das Anrufaufkommen sei zuletzt stark angewachsen, sagte die Initiatorin des sogenannten Silbertelefons, Elke Schilling, der Deutschen Presse-Agentur. An einzelnen Tagen hätten fünfmal mehr Menschen angerufen als zuvor, mehr als 160 statt 36. Man sei dabei, die Kapazitäten aufzustocken.

Im Vergleich zur Zeit vor der Krise riefen nun etwas jüngere Menschen an, die noch keine lange Zeit der Einsamkeit hinter sich haben, so Schilling. Es handle sich um eigentlich noch fitte und bewegliche Senioren. Angesichts der Einschränkungen im öffentlichen Leben und der Aufrufe, soziale Kontakte einzuschränken, machten sie nun aber die Erfahrung, allein zu sein. Hinzu komme die Unberechenbarkeit der weiteren Entwicklung. Es gebe bei Anrufern auch Ängste, selbst mit dem Coronavirus infiziert zu sein, so Schilling.

Wie Etzold von der Gewaltschutzambulanz weiter erläuterte, ist die aktuelle Situation nach ihren Erfahrungen mit langen Ferien vergleichbar. "Nach dem Ende müssen wir uns jedes Mal um sprunghaft mehr Fälle von Kindesmisshandlung kümmern." 2019 wurden 70 solcher Fälle dokumentiert. Insgesamt wurden in der Ambulanz im vergangenen Jahr 1540 Gewalttaten, also auch von Gewalt unter Erwachsenen, erfasst.

In der jetzigen Situation müssten viele Menschen um ihren Job bangen, sie hätten Angst um ihre Zukunft, es gebe finanzielle Sorgen. "All das sind starke Risikofaktoren für Ausbrüche, von denen dann die Schwächsten getroffen werden", sagte Etzold. Große psychische Belastung könne Gewalt enorm verstärken. "Wir müssen wohl davon ausgehen, dasss die innerfamiliäre Gewalt in den nächsten Wochen deutlich ansteigen wird."

Nach Angaben von Polizeipräsidentin Barbara Slowik stiegen in Berlin vom 1. bis zum 24. März die registrierten Gewalttaten in Familien, oft von Männern gegen Frauen und Kinder gerichtet, gegenüber dem Vorjahreszeitraum um knapp elf Prozent.

Etzold betonte, es komme jetzt darauf an, Menschen auf Hilfen hinzuweisen, so dass sie schnell staatliche Unterstützung bekommen könnten. Die gerade angelaufenen Programme seien elementar wichtig, Betroffenen Angst und Sorge zu nehmen. "Wir müssen als Gesellschaft aufeinander achten."

Die Ambulanz mit elf Mitarbeitern, davon sieben Ärztinnen und Ärzten, arbeitet nach Angaben der Vizechefin uneingeschränkt weiter. "Unser Job funktioniert nicht im Homeoffice." Die Mitarbeiter tragen normalen Mundschutz und Handschuhe und es werde noch intensiver als sonst desinfiziert.

Die vor sechs Jahren gegründete Ambulanz gehört zur Berliner Charité. Opfer - sowohl Kinder als auch Erwachsene - können ihre Verletzungen dort von Rechtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen. Sie müssen nicht sofort entscheiden, ob sie die Täter anzeigen. Die Dokumentation zählt auch später vor Gericht.

Rund 6500 Gewaltfälle wurden in der Ambulanz bislang untersucht. Drei Viertel der erwachsenen Gewaltopfer sind Frauen, rund ein Fünftel aller Betroffenen Kinder. Gefördert wird die Ambulanz in diesem Jahr vom Land Berlin mit knapp 1,2 Millionen Euro. Auch im kommenden Jahr ist diese Summe vorgesehen, hieß es in der Justizverwaltung.

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