Guillain-Barré-Syndrom:Peru erklärt Gesundheitsnotstand

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César Vásquez Sanchez (Dritter von links), Gesundheitsminister von Peru, besucht das Nationale Institut für Neurologische Wissenschaften. (Foto: -/dpa)

In dem südamerikanischen Land gibt es eine mysteriöse Welle von Fällen des eigentlich seltenen Guillain-Barré-Syndroms. Ursache dürfte eine bislang unerkannte Infektion sein. Mit den Covid-Impfungen kann es hingegen kaum zu tun haben.

Von Christina Berndt

In Peru gibt es gerade außergewöhnlich viele Fälle einer eigentlich seltenen Erkrankung. Deshalb hat die Regierung des südamerikanischen Landes einen dreimonatigen Gesundheitsnotstand erklärt. Seit Januar seien in Peru 182 Fälle des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) erfasst worden, teilte das Gesundheitsministerium mit. Vier der Betroffenen seien gestorben. 31 Patienten seien noch im Krankenhaus, die restlichen 147 wieder entlassen worden. Bei GBS handelt es sich um eine Nervenerkrankung, bei der eigene Antikörper die Schutzhüllen der Nerven angreifen - ganz ähnlich wie bei der Multiplen Sklerose. Dadurch werden die Nerven geschädigt.

Die Antikörper bilden die Betroffenen in der Regel als Reaktion auf eine Infektion. "Sie sollen die Krankheitserreger bekämpfen, richten sich dann aber versehentlich auch gegen die eigenen Nerven", sagt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Auslöser können verschiedenste Viren und Bakterien sein. Häufig geht einem GBS eine Infektion des Magen-Darm-Trakts voraus, etwa mit Campylobacter-Bakterien, oder der oberen Atemwege, zum Beispiel mit Zytomegalieviren. Auch das Pandemie-Coronavirus Sars-CoV-2 kann zu einem GBS führen, bei bis zu acht von 100 000 Infizierten wurde es beschrieben, die Zahlen beziehen sich auf Europa und die USA. Deutlich seltener hat die Impfung gegen Covid-19 ein GBS zur Folge, wenn ein Vektorimpfstoff verwendet wurde. Normalerweise erleiden in der Bevölkerung ein bis zwei Personen auf 100 000 ein GBS, in zeitlichem Zusammenhang mit den Vektorimpfstoffen wurde ein Anstieg auf vier pro 100 000 Personen beobachtet. "Ein Risiko besteht aber nur für die Vektorimpfstoffe von Astra Zeneca und Johnson & Johnson", sagt Peter Berlit. "Bei den mRNA-Impfstoffen gibt es diese Komplikation nicht."

Ein Zusammenhang mit der Impfung gegen Coronaviren ist unwahrscheinlich

Meist bleibt es bei Einzelfällen, Ausbrüche von GBS sind selten. In Peru gab es allerdings auch schon im Sommer 2019 eine größere Welle, die Wissenschaftler der Gesundheitsbehörde in Lima gemeinsam mit US-Kollegen auf den Magen-Keim Campylobacter jejuni zurückführten, wie es in einer 2020 im Fachblatt Emerging Infectious Diseases vorgestellten Analyse heißt. Damals wurden 683 vermutete oder bestätigte GBS-Fälle erfasst. In Französisch-Polynesien folgte 2013/14 eine Häufung von GBS-Fällen auf eine Zika-Infektionswelle.

"Wir haben die Krankheit derzeit unter Kontrolle", sagte Perus Gesundheitsminister César Vásquez am vergangenen Samstag vor Journalisten. Da es in den vergangenen Wochen einen bedeutenden Anstieg von Fällen gegeben habe, sei es notwendig geworden, den Notstand auszurufen. Zu den Gründen für die Zunahme machte er zunächst keine Angaben. Mit der Notstandserklärung werde gewährleistet, dass ausreichend Medikamente zur Behandlung des Syndroms für die Krankenhäuser bereitgestellt würden, hieß es. Außerdem werden demnach die epidemiologische Überwachung intensiviert und die Referenzlabore zur Analyse von Proben verstärkt.

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Der Neurologe Peter Berlit hält einen Magen-Darm-Keim wie Campylobacter oder ein Virus für die wahrscheinlichste Ursache des neuen Ausbruchs. Um eine Folge der Covid-19-Impfungen, wie es aktuell in sozialen Medien vermutet wird, handele es sich "mit größter Wahrscheinlichkeit" nicht, so Berlit. "Wenn es infolge der Impfung zu einem GBS kommt, dann entwickelt sich dies typischerweise binnen zwei bis vier Wochen nach der Impfung." In Peru seien zwar häufig Vektorimpfstoffe und selten mRNA-Impfstoffe verwendet worden, "aber die Pandemie ist vorbei, die großen Impfkampagnen sind vorbei". Es sei daher sehr unwahrscheinlich, dass es einen Zusammenhang mit Covid-19 oder den Corona-Impfungen gebe.

Berlit zufolge gibt es einige Hinweise auf Campylobacter als Ursache, denn eine Infektion mit diesem Bakterium führt in der Regel zu relativ schweren Verläufen von GBS. "In Peru gibt es gerade recht schwere Verläufe, deshalb würde das gut passen", sagt er. "Da haben Patienten aufsteigende Lähmungen, häufig müssen sie beatmet werden, weil die Lähmung auch die Atmung betrifft." Nach anderen Infektionen entwickle sich hingegen nur selten ein so schwerwiegendes GBS - das gilt auch für Sars-CoV-2 und auch für die Covid-Impfungen. "Da waren die Verläufe eher mild. Es werden häufiger Gefühlsstörungen oder auch beidseitige Gesichtslähmungen beschrieben, aber keine Lähmungen der Extremitäten", so Berlit.

Gleichgültig, welche Ursache ein GBS hat, die Therapie ist immer dieselbe. Ärzte versuchen die aggressiven Antikörper der Patientinnen und Patienten aus dem Blut zu waschen oder durch die Gabe von Immunglobulinen unschädlich zu machen. Das sei in den allermeisten Fällen erfolgreich, wenn die Behandlung zeitnah begonnen werde, betont Berlit: "In der Regel heilt ein GBS dann folgenlos aus, nur selten bleibt etwas zurück."

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