Gut hundert Lungenärzte, die den Nutzen von Grenzwerten für Feinstaub und Stickoxide anzweifeln, haben deutschlandweit eine emotionale Debatte ausgelöst. Schließlich sind die Grenzwerte die Grundlage für Dieselfahrverbote in einigen deutschen Städten. Wie gefährlich sind die Abgase wirklich? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie gefährlich ist Stickstoffdioxid?
NO₂ wird oft als Reizgas bezeichnet, das in großen Mengen giftig ist. Es kann Menschen mit Atemwegserkrankungen zusätzlich belasten, doch die Gefährlichkeit für Gesunde ist schwieriger abzuschätzen. Die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA fasst den Kenntnisstand in etwa so zusammen: Langfristig könne NO₂ bei Kindern Asthma hervorrufen, zu den kurzfristigen Effekten zählen Schäden am Herz-Kreislauf-System und erhöhte Sterblichkeit. Andauernde NO₂-Exposition könne zu Diabetes, Krebs und vermehrten Fehlgeburten führen, wobei diese Effekte nicht klar von der Wirkung anderer Luftschadstoffe aus dem Verkehr zu trennen seien. Es gibt also noch offene Fragen zu den gesundheitlichen Gefahren. Sicher ist jedoch, dass aus Stickoxiden gesundheitsschädlicher Feinstaub und aggressives Ozon entsteht. Die Gesundheitsgefahren durch diese beiden Schadstoffe gehen also auch auf Stickoxide zurück.
Wie gefährlich ist Feinstaub?
Feinstaub ist nach Ansicht vieler Experten ein deutlich größeres Problem als die Stickoxide. Je nach Größe der Partikel wirkt Feinstaub unterschiedlich auf den menschlichen Körper. Besonders gefährlich sind kleine Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer (PM2,5). Diese gelangen beim Einatmen tief in die Lungenbläschen und sogar in den Blutkreislauf. Die Effekte reichen laut Umweltbundesamt von Schleimhautreizungen und lokalen Entzündungen in Rachen, Luftröhre und Bronchien bis zu verstärkter Plaquebildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten Thromboseneigung und Veränderungen der Regulierungsfunktion des vegetativen Nervensystems. Der Grenzwert für diese Partikel liegt in der EU bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel, was nach Ansicht vieler Experten zu lax ist. In den USA gilt ein Grenzwert von zehn Mikrogramm, den auch die WHO empfiehlt. Gäbe es diesen Grenzwert in Deutschland, würde man hier über Fahrverbote wegen Feinstaub diskutieren.
Wie werden Grenzwerte festgelegt?
Grenzwerte sind keine Naturkonstanten, die man einfach messen kann. Man kann daher nicht Angaben machen wie: Inhaliert ein Mensch fünf Milligramm Feinstaub, fällt er tot um. Grenzwerte sind vielmehr das Ergebnis eines politischen Entscheidungsprozesses, der sich auf möglichst viele, mit wissenschaftlichen Methoden belegbare Fakten stützen sollte.
Worauf beruht der derzeit gültige Grenzwert für Stickstoffdioxid?
Der aktuell in der EU zulässige Jahresmittelwert für NO₂ liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und wurde 1999 von den Mitgliedsstaaten beschlossen. Seit 2008 ist er in Kraft. Seither gilt auch, dass höchstens 18-mal pro Jahr an einer Messstation der Stundenmittelwert von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten werden darf. Wie auch bei vielen anderen Grenzwerten stützte sich die EU-Kommission bei ihrem Vorschlag damals auf die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO. Der maximale Stundenmittelwert basiert auf der Beobachtung, dass Asthmatiker bei höheren Konzentrationen schnell gesundheitliche Probleme bekommen. Was den Jahresmittelwert angeht, ist die Studienlage nicht so eindeutig. Die ursprüngliche Empfehlung der WHO basierte im Wesentlichen auf einer Untersuchung aus den 1990er-Jahren an Kindern, die in Wohnungen mit Gasöfen lebten. Die Forscher beobachteten damals deutlich mehr Atemwegserkrankungen unter Kindern, die über zwei Wochen hinweg mehr als 30 Mikrogramm NO₂ ausgesetzt waren. Im Jahr 2005 bekräftigte die WHO nochmals die Empfehlungen, betonte jedoch auch, dass es schwierig sei, die Wirkungen des NO₂ von denen anderer Luftschadstoffe zu trennen. Die WHO-Experten halten die 40 Mikrogramm dennoch für richtig, weil der Wert geeignet sei, auch empfindliche Bevölkerungsgruppen wie Kranke und Kinder zu schützen. Zudem sei NO₂ ein Indikator für weitere Schadstoffe, die nicht überwacht werden.
Sind Schadstoffmengen unterhalb des Grenzwertes unbedenklich?
Nein, die negativen Effekte setzen wahrscheinlich nicht erst oberhalb der gesetzlich festgelegten Schwelle ein.
Lässt sich die Beeinträchtigung der Bevölkerung messen?
Das versuchen sogenannte epidemiologische Studien. Diese können jedoch nur statistische Zusammenhänge zwischen Schadstoffmengen und Krankheitsbildern beobachten und keine individuellen Wirkungsmechanismen aufklären. Die Wirkung von Luftschadstoffen auf den menschlichen Körper ist generell nicht so eindeutig wie etwa Verletzungen bei einem Verkehrsunfall. Man kann sie daher nicht messen, man muss sie berechnen. Damit das nicht schiefgeht, ist große Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit der Forscher notwendig - und außerdem Daten von sehr vielen Menschen. Weil diese Art von Studien äußerst komplex ist, gilt die Faustregel, dass ein Befund zunächst durch weitere Studien, die die Fragestellung anders bearbeiten, bestätigt werden muss, bevor man ihn anerkennt und an einen ursächlichen Zusammenhang glaubt.
Wie sinnvoll ist der Vergleich mit Kerzen oder Zigarettenrauch?
Kerzen wie Zigaretten sind NO₂- und Feinstaubquellen, die in geschlossenen Räumen weitaus höhere Schadstoffmengen erzeugen, als es die Grenzwerte gestatten. Dass Raucher und Kerzenliebhaber trotzdem nicht nach wenigen Monaten sterben, wird mitunter als Beleg dafür herangezogen, dass diese Schadstoffe nicht so gefährlich sein können. In vielerlei Hinsicht sind dies Vergleiche jedoch nutzlos und irreführend. Kerzen können in einem geschlossenen Raum die NO₂-Konzentration kurzzeitig weit über den für Außenluft zulässigen Jahresdurchschnittswert steigern, und Ärzte können tatsächlich messen, wie der Körper darauf reagiert. Doch der Kerze, dem Gasherd oder der laufenden Gastherme in der Wohnung ist man immer nur kurzfristig ausgesetzt und nicht dauerhaft. Und ein Raucher trifft für sich die Entscheidung, wann er Schadstoffe einatmet. Schmutzige Luft hingegen atmen alle ein, auch jene, die besonders empfindlich sind: Alte, Schwangere, Neugeborene, Kinder und Kranke - rund um die Uhr, jeden Tag.
Wie und wo wird gemessen?
Wie an "verkehrsnahen" Stationen gemessen werden soll, legt die Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) fest: Nicht höher als vier Meter, nicht niedriger als 1,50 Meter, höchstens zehn Meter vom Fahrbahnrand entfernt, aber nicht näher als 25 Meter an einer verkehrsreichen Kreuzung, und vieles mehr. Das ist allerdings nicht überall möglich. Manche Messstationen, etwa jene am Münchner Stachus, wurden schon vor Jahrzehnten aufgestellt, lange vor dieser Regelung, und werden nicht umplatziert, damit die Werte mit früheren Messungen vergleichbar bleiben. An anderen Orten findet sich kein perfekter Standort, schließlich soll der Verkehr nicht behindert werden. Aber selbst bei BImSchV-konformen Messungen sind beträchtliche Schwankungen möglich. Das gilt vor allem für Stickstoffdioxid: So lag das Jahresmittel der NO₂-Konzentration an der Berliner Karl-Marx-Straße 2010 laut Daten des Umweltbundesamtes teils bei rund 60 Mikrogramm pro Kubikmeter - und nur wenige Meter entfernt fiel die Konzentration auf 40 Mikrogramm. Darum sind einzelne Stationen teils schlecht vergleichbar. Trotzdem zeigt das in Deutschland vergleichsweise dichte Messnetz relativ gut, wo die größten Probleme liegen - und vor allem, wie sich die Werte mit der Zeit entwickeln.
Aus welchen Quellen stammen die Schadstoffe?
Wo die Schadstoffe herkommen, hängt logischerweise davon ab, wo man misst. Das gilt vor allem für Stickstoffdioxid, das sich relativ schlecht in der Luft verteilt. Am notorischen Stuttgarter Neckartor etwa kommen nach Angaben der Landesanstalt für Umwelt rund 70 Prozent der Belastung aus Kfz-Abgasen - großteils lokal erzeugt. Nur rund ein Viertel davon schwappt aus anderen Straßen herüber. 13 Prozent NO₂ kommen am Neckartor aus Heizungen und Öfen, der Rest entfällt auf Industrie und kleinere Quellen. Auch Feinstaub kommt an stark befahrenen Straßen größtenteils vom Verkehr. Autos und Laster verursachen etwa an der Frankfurter Allee in Berlin rund die Hälfte der PM10-Belastung, jeweils etwa zu gleichen Teilen durch ihre Abgase sowie durch Aufwirbelung und Reifenabrieb. Ein weiteres Viertel des Feinstaubs stammt von Industrie und Kraftwerken, rund zehn Prozent aus Schwedenöfen und ähnlichen Anlagen, der Rest verteilt sich auf Landwirtschaft und weitere, kleinere Quellen. Beim Feinstaub der kleineren Kategorie (PM2,5) ist die Verteilung ähnlich, wobei der Anteil des Verkehrs etwas geringer und jener der privaten Öfen etwas größer ist. Allerdings ist Feinstaub ein weniger lokales Problem als Stickoxide: Selbst in Großstädten stammt - je nach Messstelle - mindestens die Hälfte der Belastung aus dem Umland, nur rund ein Viertel ist rein lokal erzeugt.
Stimmt es, dass die Luft früher viel schlechter war?
Ja. Das gilt vor allem für Schadstoffe wie Schwefeldioxid, womit die neuen Bundesländer 1990 teils extrem stark belastet waren; inzwischen ist die Konzentration von SO₂ minimal und bleibt unter den Grenzwerten. Auch die Feinstaub-Konzentration in der Luft ist stark rückläufig: Noch in den 1990er-Jahren lagen die städtischen PM10-Konzentrationen im Jahresmittel bei bis zu 50 Mikrogramm pro Kubikmeter, heute sind es - immerhin - weniger als 25 Mikrogramm. Der maximal erlaubte Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter wird seit 2012 überall eingehalten. Beim Stickstoffdioxid ging das Jahresmittel weniger stark zurück, an verkehrsnahen Stellen waren es in den 1990erJahren im Schnitt rund 50 Mikrogramm pro Kubikmeter, heute liegt die mittlere Belastung knapp unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm - allerdings wird dieser Wert an fast der Hälfte aller Messstationen überschritten.