Coronavirus:Wenn das Immunsystem den Geruchssinn hemmt

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Der Weltdufttag ist ein Anlass, die Nase aufzusperren - allerdings macht man sie dann auch relativ schnell wieder zu. (Foto: imago stock/imago images/Andia)

Nach einer Corona-Infektion leiden manche noch monatelang unter Riechstörungen. Forscher sind jetzt auf eine verdächtige Immunreaktion gestoßen, die den Geruchsverlust erklären könnte.

Anhaltende Störungen des Geruchssinns nach einer Covid-19-Erkrankung gehen einer Studie zufolge auf Immunprozesse zurück und nicht auf das Coronavirus selbst. Hinweise darauf geben Proben aus der Riechschleimhaut von Betroffenen. Dort entdeckten US-Forscher Entzündungsprozesse, die auch in Abwesenheit des Erregers Sars-CoV-2 noch andauerten.

Riechstörungen zählten zu den häufigsten Symptomen einer Covid-19-Erkrankung, schreibt das Team um Bradley Goldstein von der Duke University. Dies werde allgemein darauf zurückgeführt, dass das Coronavirus die Riechschleimhaut direkt beeinflusst. Dieses drei bis fünf Quadratzentimeter kleine Areal liegt tief in der Nasenhöhle im oberen Nasengang zu beiden Seiten der Nasenscheidewand und enthält etwa zehn Millionen Riechzellen sowie auch Stütz- und Stammzellen.

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Von Nina Himmer

Frühere Studien hatten belegt, dass das Coronavirus in der Schleimhaut nicht die eigentlichen Riechzellen infiziert, sondern die benachbarten Stützzellen, welche die Riechzellen mit Nährstoffen versorgen. "Es wird angenommen, dass bei den meisten Patienten mit covidbedingtem Riechverlust nach dem Verschwinden des Virus die normalen Reparaturprozesse die Population der Stützzellen (und der zufällig beschädigten Nervenzellen) ersetzen und ihre Funktion wiederherstellen", schreibt die Gruppe um Goldstein im Fachblatt Science Translational Medicine.

Entzündungen der Riechschleimhaut halten oft noch an, wenn die Erkrankung längst abgeklungen ist

Offen war jedoch bisher, was bei jenen Menschen passiert, bei denen die Riechstörungen länger andauern - oft mehrere Monate, mitunter sogar Jahre. Vermutet wurde beispielsweise, dass eine Schädigung der Schleimhaut auch der Population von Stammzellen zusetzt, die als Ersatz der Zellen der Riechschleimhaut dienen.

Um die Frage zu klären, analysierte das Team Schleimhautproben von 24 Menschen, neun davon mit länger andauerndem Geruchsverlust nach einer Covid-Erkrankung. Bei der Untersuchung stießen die Forscher auf T-Zellen, die mit Entzündungsreaktionen einhergehen. Solche Entzündungsprozesse dauerten auch dann noch an, wenn der Erreger Sars-CoV-2 nicht mehr im Gewebe nachweisbar war. Zudem enthielt das Gewebe auffällig wenige Riechzellen - möglicherweise fiel ihre Zahl als Folge der andauernden Entzündungsreaktion.

Wechselwirkungen zwischen Immunzellen und der Schleimhaut könnten eventuell zu funktionellen Veränderungen der Stütz- und Riechzellen führen, schreiben die Forscher. Diese Reaktion unterscheide sich von jenem Immunprozess, der während einer akuten Corona-Infektion ablaufe.

"Diese gründliche Studie gibt Hinweise darauf, dass persistierende Riechstörungen mit Entzündungen der Riechschleimhaut einhergehen", sagt der HNO-Mediziner Thomas Hummel vom Universitätsklinikum Dresden, der nicht an der Arbeit beteiligt war. "Das wurde so bisher noch nicht gezeigt." Auch Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), spricht von einer "sehr wertvollen Erkenntnis".

Die Forschenden räumen jedoch ein, dass ihre Schlussfolgerungen nur auf einer kleinen Anzahl von Proben der Riechschleimhaut beruhen. Das bemängelt auch der Dresdener HNO-Mediziner Hummel. "Ich hätte mir eine größere Fallzahl gewünscht." Damit hätte man auch etwaige Einflüsse weiterer Faktoren prüfen können, etwa des Alters. Denn bei älteren Menschen dauerten Riechstörungen tendenziell länger an, so Hummel.

Die Autoren betonen, ihre Studie liefere Hinweise auf Behandlungsoptionen. So könne man etwa entzündungsfördernde Immunzellen in dem Areal gezielt hemmen. Da die Riechschleimhaut in der Nase von außen gut zugänglich sei, könne man Medikamente gezielt in dieses Areal einbringen.

Hummel merkt an, die Studie liefere Anhaltspunkte dafür, dass antientzündliche Medikamente wie etwa Steroide oder aber plättchenreiches Plasma Riechstörungen bessern könnten. Bisher sei die Erfolgsrate solcher Therapien zwar bescheiden, möglicherweise eigneten sie sich aber für bestimmte Gruppen von Patienten.

Berlit verweist auf eine kürzlich im Fachjournal BMC Medicine veröffentlichte Doppelblind-Studie aus den Niederlanden. Demnach brachten Tabletten mit dem Kortisonpräparat Prednisolon bei Menschen, die schon mehr als vier Wochen lang Riechstörungen hatten, keine Besserung. Angesichts der neuen Erkenntnisse hält Berlit es für sinnvoll, nun eine direkte Anwendung von Kortison auf der Riechschleimhaut zu überprüfen. Es gebe bislang keine medikamentöse Therapie mit nachgewiesener Wirksamkeit, helfen könne allerdings ein regelmäßiges Riechtraining.

Im Sommer 2021 hatten französische Forscher im Fachblatt Jama Open Network Zahlen veröffentlicht, wie lange Riechstörungen anhalten können. Demnach hatten rund 84 Prozent der von Geruchsverlust betroffenen 51 Teilnehmer ihren Geruchssinn nach vier Monaten vollständig zurück. Bis zum Ende der Studie nach zwölf Monaten war das Riechvermögen bei 96 Prozent der Probanden wieder hergestellt.

© SZ/dpa/Walter Willems - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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