Depressive Erkrankungen beeinträchtigen das Denken, das Fühlen, den Körper, die sozialen Beziehungen - ja das ganze Leben. Sie sind aber kein Schicksal, das man hinnehmen muss. Mit der richtigen Therapie sind Depressionen heute gut behandelbar. Ein Arzt und ein Psychologe erklären, welchen Stellenwert die Psychotherapie dabei hat. Dr. Samy Egli ist leitender Psychologe am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Prof. Dr. Dr. Martin E. Keck ist Chefarzt und Direktor der Klinik.
SZ: Herr Egli, auf dem Tisch hier neben uns steht nicht umsonst eine Box Papiertaschentücher. Sie behandeln täglich Menschen, die akut leiden. Was kann man mit einer Psychotherapie bei Depressiven erreichen?
Samy Egli: Viel! Im Idealfall - und das gelingt bei sehr vielen Menschen mit einer Depression - erreicht man eine völlige Remission. Das heißt, durch eine professionelle und ausreichende Behandlung kommt es zu einem völligen Verschwinden der Symptomatik und des Leidensdrucks und zu einem Wiedererreichen des Funktionsniveaus, das sie vor der Erkrankung hatten.
Professor Keck, die Psychotherapie ist ja nur ein Pfeiler der Therapie. Es gibt sicher Menschen, die lieber stimmungsaufhellende Medikamente schlucken würden, als wöchentlich zur Therapiesitzung zu gehen.
Martin E. Keck: Die Frage wofür ein Patient zugänglicher ist, ist durchaus ein wichtiges Kriterium. Denn die Therapie, zu der er sich mehr hingezogen fühlt, wird er auch machen, da wird er dabei bleiben und die wird auch wirken. Bei leichten depressiven Episoden ist das auch genau der Weg, den die Therapieleitlinien heute empfehlen: Man entscheidet gemeinsam mit dem Arzt, ob eine medikamentöse Therapie mehr Sinn macht oder eine Psychotherapie.
Grundsätzlich muss man aber sagen, die Auswahl der wirksamsten Therapie ist keine Entweder-oder-Entscheidung. Es ist die Kombination, die die Wirksamkeit ausmacht. Das gilt sowohl für die Anwendung verschiedener Elemente der Psychotherapie, als auch für Psychotherapie und Pharmakotherapie sowie ergänzende therapeutische Maßnahmen.
Was man sicher weiß: Wenn die Depression ein mittleres oder schweres Ausmaß erreicht hat, ist die Kombination von Pharmakotherapie und Psychotherapie am sinnvollsten. Das ist wissenschaftlich erwiesen.
Wie lange dauert es, bis man einen Effekt der Psychotherapie spürt?
Egli: Es braucht schon etwas Geduld. Erste positive Effekte der Behandlung merken viele bereits nach einigen Tagen. Bis die akute Phase allerdings überstanden ist, vergehen etwa sechs bis zwölf Wochen. Damit ist die Therapie aber noch nicht vorbei. Es macht auf jeden Fall Sinn, über diesen Zeitraum hinaus die Behandlung weiter zu führen. Das gilt übrigens für beides: Pharmakotherapie und Psychotherapie. Auch wenn die Symptome wieder abgeklungen sind, sollte man noch ein halbes bis ein Jahr weiterbehandeln. Das muss, was die Psychotherapie angeht, aber nicht in der gleichen Intensität sein wie am Anfang.
Warum ist diese Erhaltungstherapie wichtig?
Keck: Man muss sicher sein, dass wirklich alle Zeichen der Depression abgeklungen sind. Oft bestehen gerade kognitive Symptome wie Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen noch länger fort. Und wenn Restsymptome noch da sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Depression zurückkommt. Und mit jeder neuen Episode steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall, und zwar deutlich. Deshalb ist eine komplette Behandlung wichtig.
Wir sprechen nun schon eine ganze Weile über "die Psychotherapie", dabei gibt es ganz unterschiedliche Formen davon. Welche Methoden sind bei Depressionen wirklich wirksam?
Egli: Es kommt ein bisschen darauf an, welcher Fokus, welches Problem mich in die Therapie gebracht hat und wie der Verlauf der Depression ist. In der akuten Episode hat heute die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie den größten Stellenwert. Die Verhaltenstherapie hat man über Jahrzehnte in vielen Studien untersucht. Und es gibt keinen Zweifel, dass sie wirkt.
Eine andere Methode, die sich aus der Verhaltenstherapie ableitet, ist die interpersonelle Psychotherapie. Sie konzentriert sich auf das Arbeiten an Beziehungen im Hier und Jetzt. Wenn man klar herausarbeiten kann, dass ein Rollenwechsel die Depression ausgelöst hat, wie eine Pensionierung, eine Scheidung, ein neuer Beruf, oder Verlusterlebnisse, ist das eine Therapie mit sehr hoher Erfolgsquote. Bei chronischen Verlaufsformen der Depression gibt es sehr gute Erfahrungen mit Therapien, die auch Elemente der Psychoanalyse einbeziehen, wie zum Beispiel CBASP, die Abkürzung steht für "Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy". Wir machen seit einigen Jahren auch sehr gute Erfahrungen mit der Schematherapie, bei der es um die Veränderung problematischer Lebensmuster oder eben Schemata geht. Diese Therapie kommt bei vielen Patienten sehr gut an.
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Was ist das Ziel der kognitiven Verhaltenstherapie?
Keck: Es geht in der Therapie darum, das Verhalten und Denken, das oft beides in der Depression gestört ist, so positiv zu beeinflussen, dass die Symptome und der Leidensdruck abnehmen, und dass die Lebenszufriedenheit und die Funktionsfähigkeit wieder zunehmen.
Wie kann man sich das vorstellen?
Egli: Nehmen wir ein stark vereinfachtes Beispiel. Menschen mit Depressionen denken sehr negativ über sich selbst, ihre Umwelt und über ihre Zukunft. Sie haben Schuldgefühle, sie sind ohne Hoffnung und überzeugt: "Egal was ich mache, es ändert sich ja doch nichts." Dieses Denken kann das Verhalten beeinflussen. Wer so denkt, der macht auch nichts mehr; man nennt das erlernte Hilflosigkeit. Und weil man nichts mehr macht, verliert man auch alles, was Freude macht.
Hier kann man therapeutisch ansetzen. Man versucht zum Beispiel miteinander, positive Aktivitäten wieder aufzunehmen. Es ist natürlich nicht damit getan, zu sagen: "Jetzt mach doch wieder mal was Schönes!" Denn wenn das so einfach wäre, dann hätten die Leute das schon gemacht. Und das kriegen sie auch von den Angehörigen zu hören.
Im therapeutischen Prozess geht es darum, zu analysieren: Wo klappt es nicht? Wo gibt es Unterstützung? Wo kann man die Schritte unterteilen, um was zu erreichen? Wie kann man sich selber belohnen? Wie kann man das gut planen miteinander? Ein großer Schwerpunkt liegt auch auf dem Üben. Der Patient bekommt Aufgaben. Eine Psychotherapie ist immer ganz konkrete Kleinarbeit, die man individuell Schritt für Schritt gemeinsam angeht.
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Keck: Ist es auch. Ohne die eigene Mitarbeit kann die Psychotherapie nicht funktionieren. Hier unterscheiden sich die beiden Therapiepfeiler grundsätzlich. Unser übliches medizinisches Verständnis ist ja: Ich nehme ein Medikament ein und dann geht es mir besser. In der Psychotherapie ist es ein bisschen anders. Da muss ich sehr viel selbst dazu beitragen.
Wo stößt die Psychotherapie an ihre Grenzen?
Egli: Was sie nicht kann, ist belastende Umweltsituationen zu verändern. Manchmal kommen Menschen zur Psychotherapie und sagen: "Mein Chef ist schuld an der Depression!" Der Chef kann aber natürlich nicht behandelt werden. Aber man kann lernen, anders mit Konflikten oder Stress umzugehen. Man kann neue Verhaltensmuster erlernen. Das ist eine der Möglichkeiten in der Psychotherapie. Aber die anderen oder die Umwelt verändern, das kann sie nicht. Was aber möglich und sehr sinnvoll ist, ist die Partner, die Angehörigen oder auch den Chef zu gemeinsamen Therapiesitzungen einzuladen und in den psychotherapeutischen Veränderungsprozess einzubinden.