In der deutschen Versicherungswirtschaft wächst die Sorge davor, dass die Schadensregulierungen oder die Leistungen der Versicherungen gegenüber ihren Kunden zum Politikum werden. Kunden erleben es immer wieder, und Verbraucherschützer klagen schon lange darüber, dass Versicherungen genau dann zaudern und zögern, wenn sie wirklich gebraucht werden: im Versicherungsfall. Neu ist, dass das Bundesjustizministerium sich der Sache annimmt.
FDP-Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat einen bisher unveröffentlichten Brief an die Landesjustizverwaltungen geschrieben, der nüchtern daher kommt, es aber in sich hat. Denn das Justizministerium greift in dem Schreiben vom 11. Februar, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ausdrücklich "immer wieder eingehende Beschwerden" auf, "Versicherer leisteten mit erheblicher Verzögerung, es gehe auch darum, die wirtschaftlich stärkere Position auszunutzen mit dem Ziel, den Anspruchsteller in zermürbenden Rechtsstreitigkeiten zur Aufgabe des Anspruchs oder zu einem für den Versicherer günstigen Vergleich zu bewegen".
Das Ministerium hat deshalb eine Umfrage in den Ländern gestartet zur Regulierungspraxis der Gesellschaften nach Schäden. Außerdem fragt es, ob nach Ansicht der Länderminister Gesetzesänderungen nötig sind - mit der Bitte um Antwort bis zum 30. Juni.
Versicherer arbeiten oft mit perfiden Tricks
Das Ministerium bezieht sich ausdrücklich auf einen damals viel beachteten Bericht im NDR-Magazin "Panorama" aus dem vergangenen Jahr. Unter dem Titel "Die Nein-Sager" war über Versicherungen berichtet worden, die "Jahr für Jahr ihre Prämien kassieren. Aber wenn sie gebraucht werden, arbeiten sie mit perfiden Tricks, um Ansprüche abzulehnen". Immer wieder aktivierten Versicherungen juristische Apparate und arbeiten mit allen zur Verfügung stehenden Tricks, um berechtigte Ansprüche von Geschädigten abzulehnen. Versicherungsrechtsexperte Hans-Peter Schwintowski schätzte, dass bis zu 60 Prozent aller Leistungsfälle in bestimmten Versicherungsarten abgelehnt werden.
Der Teaser des Reports, der Einzelschicksale schilderte, gab die Richtung des Beitrags vor: "Sie stürzen Tausende in finanzielle und seelische Nöte: Deutsche Versicherungen kassieren Jahr für Jahr, Monat für Monat ihre Prämien. Wenn sie aber gebraucht werden, können sie sich fast ohne Risiko verweigern." Das ist genau die Intonierung, die die Branche fürchtet. Sie antwortet zwar mit dem Verweis auf die niedrigen Beschwerdezahlen beim Versicherungs-Ombudsmann, sieht sich aber in der Defensive.
Die Assekuranz befürchtet nun, dass Leutheusser-Schnarrenberger die Ergebnisse dieser Umfrage zu einer Wahlkampf-Kampagne nutzen könnte - möglicherweise mit der Forderung nach einer Gesetzesänderung, die den Versicherern eine zügigere Regulierung vorschreiben könnte. Damit könnte sich die FDP im Wahlkampf als versicherungskritisch darstellen, ohne bei anderen, ihr wichtigen Themen einknicken zu müssen. So kämpft die FDP bei der Privaten Krankenversicherung (PKV) für den Erhalt der Vollversicherung oder bei den Lebens- und Krankenversicherung gegen weitere Obergrenzen bei der Provisionshöhe.
Wie Versicherer ihre Kunden mürbe machen, unterscheidet sich von Branche zu Branche. Auf den nächsten Seiten finden Sie einen Überblick.