Europäische Zentralbank:Stresstest für Präsidenten

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Die beiden Bewerber für das Präsidentenamt der Europäischen Zentralbank haben ein Problem. Sie werden gerade gemeinschaftlich unmöglich gemacht.

Carsten Matthäus

Das Amt hat Klasse. Man wird häufig mit "Mr. Euro" angesprochen, jedes Zucken im Gesicht bewegt international die Börsenkurse, jedes falsche Wort kann Panik auslösen. Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) zu werden, ist die höchste Weihe für Ökonomen, Banker und Wirtschaftspolitiker Europas. Für manche der Traum ihres Lebens.

Bewerber Draghi und Weber: Unweigerlich im Kreuzfeuer (Foto: Foto: afp, Reuters, Montage: sueddeutsche.de)

Der Weg zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) aber ist alles andere als ein Spaziergang. Wer dieses Amt anstrebt, gerät unweigerlich ins Kreuzfeuer nationaler Interessen, seltsamer Proporz-Logiken und gezielter Wutausbrüche von Regierungschefs.

Die Besetzung des Chefstuhls war schon 1998 ein Politikum, als Frankreich seinen eigenen Kandidaten Jean-Claude Trichet nicht durchsetzen konnte.

Der Niederländer Wim Duisenberg bekam den Posten nur gegen die Einwilligung, früher als nötig aus dem Amt zu scheiden. 2003 wurde dann Trichet EZB-Präsident - nach einer fünfjährigen Bewerbungsphase, in der er sich auch noch in einem Gerichtsprozess gegen den Vorwurf der Falschaussage zu wehren hatte.

Ende Oktober 2011 endet die Amtszeit des Franzosen und schon jetzt deutet sich eine Schlammschlacht an, die alle Kandidaten für das Amt beschädigen dürfte. Hier eine Liste der diplomatischen Probleme, die in den kommenden eineinhalb Jahren zu lösen sind.

Der eine Kandidat ist Axel Weber, Chef der Bundesbank, ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates und Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er hat eigentlich alle Voraussetzungen, die man für den EZB-Chefsessel mitbringen muss. Allerdings eben nur aus deutscher Sicht. Weber gilt als geldpolitischer Falke.

Bundesbankpräsident Weber: Empörung aus Luxemburg (Foto: Foto: Reuters)

Für ihn hat es - in der Tradition der Bundesbank - höchste Priorität, die Inflation zu bekämpfen. In anderen europäischen Ländern verstehen sich die Notenbanker dagegen mehr als Förderer des Wachstums und befürworten eine weniger rigide Geldpolitik bei Inflationsgefahr. Am besten ist es für einen Notenbanker, sich hier nicht klar zu positionieren. EZB-Präsident Trichet beispielsweise beherrscht dies meisterhaft, Weber wirkt bei öffentlichen Auftritten weniger gelenkig.

Hinzu kommt, dass das höchste Gut eines EZB-Präsidenten seine Unabhängigkeit von nationalen Interessen und Regierungen sein muss. Sollte ihm eine zu große Nähe zu Merkel nachgesagt werden können, ist dies schlecht für die Bewerbung. Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, ein altgedienter und in Brüssel höchst einflussreicher Regierungschef, hat sich bereits vorsorglich über die deutsche Einschätzung empört, das Rennen sei bereits für Weber gelaufen: "Ich werde nicht dafür plädieren, dass Deutschland den Posten des EZB-Präsidenten stellen wird."

Auch Italiens Finanzminister Giulio Tremonti macht sich bereits öffentlich für seinen Kandidaten stark: Italien stelle mit Mario Draghi, Chef der Notenbank Banca d'Italia, einen "ausgezeichneten Kandidaten".

Draghi wäre tatsächlich ein perfekter Kandidat. Er kann noch mehr internationale Erfahrung vorweisen, promovierte beispielsweise am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge und ist Vorsitzender des Financial Stability Forums, in dem sich die Finanzminister und Notenbankchefs der G-20-Gruppe, der größten Volkswirtschaften der Welt, abstimmen. Und er ist nicht so klar als geldpolitischer Falke profiliert wie sein Konkurrent Weber.

Eine seiner vielen internationalen Erfahrungen könnte ihn jedoch die Bewerbung kosten. Von Anfang 2002 bis 2005 war er Vice President bei der US-Investmentbank Goldman Sachs und dort unter anderem für die Beziehungen zu Staatsregierungen zuständig. Die Bank wird derzeit verdächtigt, mit undurchsichtigen Geschäften die Schuldenprobleme Griechenlands verschleiert zu haben.

Wenngleich von Seiten der Banca d'Italia sofort klargemacht wurde, dass hier noch nichts bewiesen sei und dass Draghi "nichts, aber auch gar nichts" mit diesen Transaktionen zu tun hatte, ist der Kandidat bereits in Erklärungsnot.

Simon Johnson, MIT-Professor und ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), hält Draghi sogar schon jetzt nicht mehr für vermittelbar, wie er in seinem Blog "Baseline Scenario" schreibt.

Er vermutet, dass die Förderer deutscher Interessen im Verlauf der nächsten Monate weitere peinliche Fragen aufwerfen werden, wie: "Wusste Draghi von den Griechenland-Geschäften (er war ja Mitglied des Top-Managements)? Hat er versucht, die Geschäfte zu stoppen? Befürwortet er solche Geschäfte heute? Hat er ähnliche Geschäfte als italienischer Finanzminister eingefädelt? Kennt er andere Goldman-Geschäfte, die nach dem Muster Griechenlands mit anderen europäischen Ländern gemacht wurden?" Johnsons Fazit: "Für einen, der ein hohes öffentliches Amt anstrebt, ist die Praxiserfahrung im Top-Management von Goldman ein vergifteter Karrierebaustein."

Da nun schon die beiden Kandidaten im Ring sind und die ersten Schlammschlachten begonnen haben, wäre Frankreich als Schiedsrichter gefragt. Angela Merkel kann ihren Kandidaten Weber nur durchsetzen, wenn sie sich der Unterstützung von Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy sicher ist. Das ist theoretisch auch der Fall, nachdem Frankreich nicht erneut den EZB-Präsidenten stellen kann. Möglich wäre auch, dass ein französischer Kandidat im EZB-Präsidium die Position des Chefökonomen zugesprochen bekommt, die momentan mit dem Deutschen Jürgen Stark besetzt ist. Doch Frankreich sind momentan die Hände gebunden, sich in das Kandidatenrennen einzumischen. Jede Parteinahme würde den amtierenden Präsidenten Trichet beschädigen. Wie bei jeder Präsidentenwahl ist der Vorgänger nämlich schon dann relativ machtlos, wenn sein Nachfolger feststeht.

Möglicherweise ist das Schweigen Frankreichs aber auch Taktik. Das zumindest berichtet die französische Zeitung Le Monde unter Berufung auf Regierungskreise. Man hoffe im Élysée-Palast, dass "noch ein dritter Mann auf der Bildfläche auftaucht". Käme er erst dann ins Spiel, wenn die Positionen Webers und Draghis schon deutlich geschwächt sind, könnte er der lachende Dritte sein.

Wie immer das Rennen um die EZB-Präsidentschaft ausgehen wird: Klar ist schon heute, das alle bisher benannten Kandidaten nur mit deutlichen Blessuren im Frankfurter EZB-Tower ankommen. Aber vielleicht hat der schmerzvolle Bewerbungsprozess auch ein Gutes: Wer es bis dorthin schafft, ist mit allen Wassern gewaschen.

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