Pöbeleien auf Twitter:Zurücktrollen gegen die Sexisten

Lesezeit: 3 min

Jeder der 160 Bots hat ein eigenes Profilfoto, ein Hintergrundbild und eine kurze Biografie. (Foto: Peng Collective)

Drohungen und Beleidigungen sind auf Twitter Alltag, besonders oft trifft es Frauen und Feministen. Ein Berliner Künstler-Kollektiv will das ändern - und pöbelt zurück.

Von Simon Hurtz

Feminismus? Ja bitte! Sexismus? Nein danke! Ab sofort müssen frauenfeindliche Pöbler auf Twitter mit Konsequenzen rechnen. Die Aktivisten des Peng Collective antworten zunächst mit einer Warnung, Hashtag: #ZeroTroll. Aussage: Dein Tweet war sexistisch. Dann folgen, nach und nach, Links zu sechs selbstproduzierten Videos. Ein Selbsthilfe-Programm, das Trollen "auf dem Weg zu Selbstreflexion und ihrer feministischen Resozialisierung helfen" soll.

Trolle, also Menschen, die es darauf anlegen, andere Internetnutzer zu provozieren und zu bedrohen, fühlen sich vor allem in sozialen Netzwerken zuhause. Auf Plattformen wie Facebook oder Twitter herrsche ein "unvorstellbares Ausmaß an Gewaltandrohungen, Diffamierungen und Beleidigungen", sagt Lia Rea. Sie ist Mitglied beim Peng Collective, einer Berliner Künstler- und Aktivistengruppe, die in der Vergangenheit etwa eine PR-Kampagne von Shell ins Gegenteil verkehrte, den Esoterik-Sender Astro TV kaperte und mit fiktiven Google-Produkten für besseren Datenschutz warb. "Es ist großartig, dass jeder seine Meinung im Internet frei äußern kann. Aber das hat auch Schattenseiten, nämlich extrem aggressives Verhalten gegenüber Frauen, Transgender und Menschen mit feministischen Ansichten."

Ein Selbsthilfe-Programm namens "Zero Trollerance"

Gemeinsam mit mehr als 30 freiwilligen Helfern haben die Aktivisten deshalb in den vergangenen Wochen 160 Twitter-Bots programmiert. Hinter diesen Accounts stecken keine Menschen, sondern ein Algorithmus, der automatisiert Tweets absendet. "Mit Sprachanalysen identifizieren wir Tausende potenzielle Trolle", erklärt Rea. "Wer sich heute oder morgen auf Twitter als Sexist entlarvt, landet im Visier der Bot-Accounts und kommt sechs Tage lang in den Genuss unseres Selbsthilfe-Programms." Es heißt "Zero Trollerance" und beginnt am heutigen Nachmittag.

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Diese Studie des renommierten Pew Research Center beruht auf Selbstauskünften von Betroffenen, über die genauen Prozentangaben kann man diskutieren. Worüber man nicht diskutieren kann: Die Balkendiagramme und Tortengrafiken bilden ein sehr reales Problem ab. Hass und Sexismus gibt es auch in der analogen Welt, doch im Netz werden sie besonders offensichtlich.

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Dem will das Künstlerkollektiv etwas entgegensetzen. "Betroffene sollen sich nicht als passive Opfer fühlen, sondern mit einem Lächeln über den Angriffen stehen - und trotzdem reagieren können", sagt Rea, die für ihre Arbeit bei Peng diesen Namen als Pseudonym nutzt. "Dafür möchten wir ihnen ein Werkzeug in die Hand geben."

"Selbsthilfe-Programm", das klingt nach einem Versuch, Hassprediger im Netz zum Nachdenken anzuregen. Doch auch Rea gibt zu, dass der wahre Zweck ein anderer ist: "Wir freuen uns über jeden Troll, den wir bekehren können. Aber natürlich ist das eine Parodie. Wir wollen die Trolle mit ihren eigenen Waffen schlagen - also trollen wir zurück." Die satirischen Videos sollen die Betroffenen entlasten, die häufig nicht wissen, wie sie auf sexistische Pöbeleien reagieren können. Ignorieren? Mit ernsthaften Argumenten antworten? Im gleichen Tonfall zurückschießen? Diese Aufgabe übernehmen nun die Bots und geben den Opfern das Gefühl, den Anfeindungen nicht hilflos ausgesetzt zu sein.

Obwohl Rea von "Zurücktrollen" spricht, sieht sie einen Unterschied zwischen menschlichen Trollen und den trollenden Bots des Peng Collective: "Wir bombardieren die Opfer nicht mit Hunderten Tweets, sondern schicken nur eine Handvoll im Laufe einer Woche." Mehr wäre ohnehin nicht möglich gewesen, die Programmierung der Bots war auch so schon aufwändig genug. "Doch auch mit mehr Zeit und Geld hätten wir das nicht gemacht", sagt Rea. "Wir wollen uns ja schließlich nicht ganz auf das bodenlose Niveau derer begeben, die wir kritisieren. Auch nicht ironisch."

Zwei Aktivisten der Berliner Künstler-Gruppe Peng Collective. (Foto: Peng Collective)

Die Bot-Armee erweckt sich selbst zu neuem Leben

Trotzdem gehen die Aktivisten vom Peng Collective davon aus, dass Twitter für ihre Bots keine Ausnahme machen und sie ebenso sperren wird wie echte Trolle. Doch sie halten sich für gut vorbereitet: "Die Nachrichten werden von immer neuen Accounts geschickt. Wenn ein Bot stirbt, aktiviert er automatisch den nächsten." Die Bot-Armee ist also eine Art Hydra: Wer ihr einen Kopf abschlägt - sprich: einen der Accounts blockiert -, bekommt es sofort mit einem neuen zu tun.

Im Februar hatte auch Twitter-Chef Dick Costolo selbst ein härteres Durchgreifen gegen Rassisten und Sexisten angekündigt: " Wir versagen im Umgang mit Beleidigungen und Trollen", gab er zu und stellte kurz darauf neue Funktionen vor, um pöbelnde Nutzer zu melden und zu blockieren. Das seien richtige und wichtige Maßnahmen gewesen, sagt Rea, aber "Zero Trollerance" ziele in eine andere Richtung: "Twitter bietet eine technische Lösung, aber bloßes Blocken reicht nicht. Online-Sexismus ist ein Abbild des Alltagssexismus in der Gesellschaft. Damit muss man sich auch inhaltlich auseinandersetzen."

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Obwohl die Selbsthilfe-Videos durchaus konstruktive Botschaften vermitteln, glaubt Rea nicht, dass sie Twitter zu einem friedlicheren Ort machen. Echte Trolle würden sich davon kaum abschrecken lassen: "Menschen, die so viel Zeit ihres Lebens mit sexistischen Beschimpfungen verbringen, haben definitiv ein tieferliegendes Problem. Daran ändern auch ein paar lustige Videos nichts. Letztendlich hilft da nur eine Therapie."

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