Gamergate:Tod und Spiele

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Nach Androhung eines Attentats muss die Spiele-Kritikerin Anita Sarkeesian ihren Vortrag absagen. Seit Monaten bekommt sie den Hass einer sehr aktiven Gamer-Gemeinde zu spüren.

Von Hakan Tanriverdi

Wenn Anita Sarkeesian ihr Smartphone in die Hand nimmt, rechnet sie mit einer Todesdrohung. Sie kommt per E-Mail, wird im Netz veröffentlicht, ist nachzulesen in sozialen Netzwerken. "Ich werde dich umbringen und es wie einen Suizid aussehen lassen", ist noch eine der sachlicheren Nachrichten. Wenn Sarkeesian einen Vortrag halten soll, ist bis zuletzt unklar, ob sie auftreten kann. Am vergangenen Dienstag musste sie absagen: Eine Universität in Utah hatte eine E-Mail erhalten, in der mit "dem tödlichsten Attentat" gedroht wurde, das je an einer amerikanischen Schule stattfinden werde. Die Veranstalter teilten ihr mit, dass es in Utah per Gesetz erlaubt sei, Waffen mit sich zu führen. Ein zu großes Risiko für Sarkeesian, also gab es keinen Auftritt.

Die Drohung reiht sich ein in unzählige Meldungen der vergangenen Wochen, in denen Spiele-Entwicklerinnen ähnliches zu berichten hatten. Drei von ihnen, unter anderem Sarkeesian, mussten ihre Wohnungen verlassen - teilweise unter Polizeischutz; das FBI ermittelt. Die Drohungen laufen im Netz unter dem Stichwort "Gamergate".

Was macht Sarkeesian, woher kommt dieser Hass? Nun ja: In einer Video-Reihe mit dem Namen " Tropes vs. Women" veröffentlicht sie Analysen, in denen sie zeigt, wie sexistisch Computerspiele sein können ( mehr dazu erfahren Sie in diesem Text...). Das Projekt finanzierte sich über die Plattform Kickstarter, auf der Menschen Ideen mit Geld unterstützen können - 150 000 US-Dollar sammelte Sarkeesian ein. Das war 2012.

Das Ende der Gamer-Identität

Sarkeesian zeigt Spiele, quer durch die Jahrzehnte, in denen die Rolle der Frau unverändert bleibt: Sie werden geschlagen, dienen nur Dekorations-Zwecken und fallen beim Sterben so auf den Boden, dass man ihnen unter Rock gucken kann. "Über Jahrzehnte hinweg hat sich die Spiele-Industrie ausschließlich an weiße, heterosexuelle Männer gerichtet", ist eine der Thesen von Sarkeesian.

Dan Golding wurde als "bester Spiele-Journalist" ausgezeichnet. Er schreibt, dass über die Jahrzehnte eine Gamer-Identität entstanden sei: "Videospieler haben für eine gewisse Zeit die selbstbezogene Haltung eingenommen, dass sie von der Umwelt als Andere abgestempelt werden". Der Gamer sieht sich selbst Golding zufolge als Randfigur und entwickelt eine starke Bindung zu seinen Gleichgesinnten. "Diese Gamer fühlen sich nun angegriffen, und das sollten sie auch", schreibt Golding; es sei ein kultureller Wandel zu beobachten.

Denn die Spiele-Industrie ist nicht länger ein Nischen-Phänomen mit pixeliger Grafik. Es ist ein Markt, der laut Analysten im Jahr 2013 mehr als 93 Milliarden US-Dollar umgesetzt hat. Computerspiel-Turniere füllen Stadien, in denen die Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Blockbuster-Spiele haben ein Budget im dreistelligen Millionen-Bereich und verkaufen sich am ersten Tag elf Millionen Mal. Ein zweites Hollywood ist entstanden.

Anita Sarkeesian reagiert auf diese Entwicklung und behandelt Spiele mit dem kulturellen Anspruch, der auch an Filme und Bücher gestellt wird. Damit adelt sie das Medium des Computerspiels und wird von Entwicklern ausgezeichnet. Die Gamer, wie sie Golding schildert, verstehen Sarkeesians Auseinandersetzung mit den Spiele-Inhalten nicht als Fortschritt, sondern als Angriff auf ihr Hobby. Sie bedrohen Sarkeesian deswegen, photoshoppen Bilder von ihr in Pornos; in einem Spiel geht es ausschließlich darum, Sarkeesian virtuell zu verprügeln. "Ich werde seit zwei Jahren terrorisiert, aber die vergangenen Monate waren die schlimmsten", sagte Sarkeesian kürzlich.

Die vergangenen Monate, das ist die Zeit von Gamergate. Auf Twitter wurden unter dem Hashtag in den vergangenen 30 Tagen mehr als 1, 4 Millionen Tweets abgesetzt. Die Gamergate-Geschichte beginnt mit einem wütenden Ex-Freund von Zoe Quinn, einer Spiele-Entwicklerin. Der Ex-Freund veröffentlichte intime Details über Quinn und beschuldigte sie, ihn mit einem Spiele-Journalisten betrogen zu haben. Quinn hatte zuvor ein Spiel veröffentlicht, in dem man nachfühlen sollte, wie es ist, eine Depression zu haben. "Depression Quest", so der Name, wurde größtenteils positiv aufgenommen.

Quinn weigerte sich, auf die Anschuldigungen einzugehen: "Es ist furchteinflößend, von mir zu verlangen, das Manifest eines mir böse gesinnten Ex-Freundes über mein Sexualleben öffentlich zu widerlegen, damit ich weiter in dieser Industrie mitspielen darf. Ich werde das nicht tun." Der Fall sei ein weiteres Beispiel für geschlechterbezogene Gewalt, es gehe ausschließlich darum, sie zum Aufhören zu bewegen.

Es geht nicht mehr um die Ethik-Debatte

Nach dem Beitrag des Ex-Freundes aber entstand in ebenjener Gamer-Community der Vorwurf, dass Spiele-Journalismus ethisch korrumpiert, das Lob unbegründet sei. Quinn habe mit dem Spiele-Journalisten geschlafen, damit dieser positiv über sie berichte. Der Vorwurf hat nur einen Haken: Besagter Journalist hat dieses Spiel nie besprochen.

Die eigentliche Diskussion geht schon längst nicht mehr um die Ethik-Debatte. Es ist ein Aufbäumen einer aktiven Gamer-Community, der jedes Mittel Recht ist, um den Wandel aufzuhalten. Von Hassmails über das Veröffentlichen von Nacktfotos bis hin zu Bombendrohungen. Dan Golding formuliert es so: "Die Gamer haben sehr gut erkannt, dass ihnen ihr Spielzeug weggenommen wird. Ihre Baumhäuser werden zugenagelt."

Seit Dienstag, also seit der Bombendrohung in Utah, kann man diesen Wandel förmlich greifen. Die Entertainment Software Association, die größte Spiele-Organisation in den USA, verurteilte jede Art von Belästigung und Gewaltandrohung. Das müsse aufhören. Zuvor hatte Sarkeesian genau das gefordert und ergänzt: "Ich werde meine Arbeit fortsetzen. Ich werde weiterhin meine Meinung sagen."

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