Auf den ersten Blick könnte der Twitter-Account @Paidlikes kaum trostloser wirken. In unregelmäßigen Abständen erscheinen dort Nachrichten wie "Wir gratulieren Dennis zu seiner 9. Auszahlung - diesmal in Höhe von 100,00 Euro!" Dennis erhielt sein Geld am 5. Dezember, im November galten die Glückwünsche Irina (30,60 Euro), und im September durfte sich ein gewisser Sergej über 33,80 Euro freuen.
Doch wer genauer hinsieht, dem ermöglicht das Twitter-Profil der Magdeburger Firma Paidlikes Einblick in eine Parallelwelt. Hier wird geklickt und getäuscht. Die Menschen, denen der Account mit maschineller Gleichförmigkeit gratuliert, mussten für ihre Auszahlungen stupide Arbeit verrichten. Sie klickten sich von Facebook-Seite zu Facebook-Seite, betrachteten Youtube-Videos oder verteilten gekaufte Herzchen auf Instagram. Paidlikes bildet die Spitze eines gewaltigen Fake-Like-Bergs. Unter der glänzenden Oberfläche aus blauen Daumen, gelben Sternen und roten Herzen verbirgt sich ein System, das die Glaubwürdigkeit der Währung des Netzes in Frage stellt.
Große Zahlen wirken vertrauenserweckend
SZ, NDR und WDR liegt eine Liste mit Links zu knapp 90 000 Social-Media-Präsenzen vor, für die Paidlikes mutmaßlich genau das lieferte, was der Firmenname verspricht: Likes gegen Geld. Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum haben SZ, NDR und WDR die Daten zugänglich gemacht. Sie konnten die Informationen über die Webseite des Unternehmens Paidlikes einsehen.
Auf Twitter postet die Firma Paidlikes manchmal die Summe, die Klick-Arbeiter ausgezahlt bekommen.
(Foto: Screenshot twitter.com)Paidlikes engagiert sogenannte Clickworker, die mit ihrer Auftragsarbeit Interesse und Zustimmung für bestimmte Personen, Firmen oder Organisationen vorgaukeln. Im Grunde manipulieren sie so die Algorithmen der Plattformen und lassen Inhalte relevant erscheinen, die sonst womöglich niemanden interessiert hätten. Im Netz sind soziale Metriken eine Ersatzwährung: Große Zahlen wirken vertrauenserweckend und helfen, sich von Konkurrenten abzuheben.
Seit mehr als sieben Jahren betreibt Paidlikes dieses Geschäft, ohne dass Facebook oder Youtube eingeschritten sind. Erst nach einer Anfrage von SZ, NDR und WDR reagierte Facebook. Das Unternehmen prüft die App, mit denen die Clickworker ihre Likes verteilten, vorübergehend kann sie nicht mehr auf die Daten von Facebook zugreifen. Auch für Instagram wurde die App offline genommen. "Wenn wir Anbieter und Accounts identifizieren, die anbieten, durch unechte Likes, Kommentare und Abonnenten die Popularität eines Accounts oder Profils zu vergrößern, entfernen wir diese", sagt ein Sprecher. Youtube gibt an, man habe klare Richtlinien gegen Spam und investiere in Technologien, "um die künstliche Inflation der Besucherzahlen eines Videos zu verhindern." Auf Youtube läuft das Paidlikes-Modell aber offenbar weiter: Suche Likes, biete Centbeträge.
Wer sich Likes und Abonnenten kauft, verstößt womöglich gegen Gesetze. Der Versuch, nicht vorhandene Beliebtheit und Qualität zu suggerieren, verstoße gegen das Wettbewerbsrecht, sagt Scarlett Lüning, Rechtsanwältin bei der Kanzlei Wilder, Beuger und Solmecke mit Schwerpunkt Online-Recht. Sie zitiert ein Urteil des Landgerichts Stuttgart: "Da wurde einem Start-up verboten, mit 14 000 Likes zu werben, wenn diese gekauft sind." Dadurch verschaffe sich das Unternehmen einen unfairen Vorteil und gewinne mehr Kunden. Die Rechtsbegriffe dafür: Irreführung und Wettbewerbsverzerrung.
Zu den mutmaßlichen Kunden von Paidlikes zählen Politiker und Parteien, Unternehmen und Influencer, Friseure und Fitnesstrainer. Das Wörtchen "mutmaßlich" ist in diesem Fall mehr als eine juristische Absicherung: Die Liste offenbart zwar rund 90 000 Links zu Facebook-Seiten, Instagram-Profilen und Youtube-Kanälen, die von Paidlikes beliefert wurden. Wer die Likes kaufte, geht daraus aber nicht hervor. SZ, NDR und WDR haben etwa 70 Personen und Unternehmen konfrontiert: Elf geben den Täuschungsversuch zu, der Rest hat keine Erklärung, streitet alles ab oder geht auf Tauchstation.