Datenhandel:Plötzlich nackt im Netz

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Datenhandel: Unternehmen verkaufen die Browser-Verläufe von Internetnutzern (Symbolbild).

Unternehmen verkaufen die Browser-Verläufe von Internetnutzern (Symbolbild).

(Foto: imago stock&people)

Alle Suchwörter, alle Webseiten, der Browser-Verlauf eines ganzen Monats steht zum Verkauf. Unser Autor erlebte, wie das ist, wenn die eigenen Daten zur Ware werden.

Von Dirk von Gehlen

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Im Rahmen einer Recherche gelangten Reporter des NDR an Datensätze von drei Millionen Deutschen, die gewerbsmäßig verkauft werden. Mit dabei auch der Internet-Fußabdruck unseres Autors, der sich auf einmal #nacktimnetz wiederfand - so der Titel der NDR-Recherche.

Es geht in diesem Text nicht um mich. Dass es ausgerechnet meine gesamte Internet-Historie aus dem August 2016 war, die verkauft wurde, ist Zufall. In diesen verkauften Daten kann ich nun nachlesen, welche Webseiten ich ansurfte, welche Begriffe ich suchte und sogar minutengenau, welche Reiseverbindungen mich interessierten (dank einer Nachlässigkeit der Deutschen Bahn). Man sieht darin, was mich beschäftigte, wann ich zur Arbeit ging und wohin ich reiste. Diese Daten stammen aus dem Webbrowser, den ich nutze, sie fügen sich zu einem Bild, das mich digital nackt dastehen lässt - und all das kann man kaufen.

Die Informationen finden sich in einem Datensatz, der als Produktprobe verschickt wurde. Reporter des NDR haben diese angefordert - getarnt als Scheinfirma, die mit Internet-Profilen Geschäfte machen will. Sie bekamen Internet-Spuren von drei Millionen Menschen, die im August von deutschen IP-Adressen aus im World Wide Web surften. Das entspricht etwa einem Prozent des deutschen Internet-Verkehrs. Und dort, wo diese Probe abgeschickt wurde, gibt es mehr: Noch mehr Daten über noch mehr Menschen, die diesem Treiben vermutlich niemals zustimmen würden.

Formaljuristisch gesehen sind diese Daten pseudoanonym. Man kann also in den verkauften Daten zunächst nicht nach einem Klarnamen suchen, sondern nur nach einer Nummer, hinter der sich das Profil eines bestimmten Browsers verbirgt. Wenn man nun zum Beispiel die Seite analytics.twitter.com/user/dvg/home in den Daten findet, kann man sicher sein, dass es sich um jemanden handelt, der Zugang zu meinem Account @dvg hatte, denn man kann die Seite nur mit Passwort aufrufen.

In anderen Netzwerken sind diese Seiten ein wenig besser geschützt als bei Twitter, aber auch hier gilt: Wenn man eine solche Seite in den Daten gefunden hat, hat man ziemlich sicher auch den Besitzer des Accounts, der vermutlich auch seinen Klarnamen auf der Seite eingetragen hat. Von diesem Moment an sind die Daten mit einer konkreten Person verbunden - und alles andere als anonym.

Glaubt man den Händlern, die die Datenproben verschickt haben, ist es nur ein Zufall, dass auch Ihre Daten nicht dabei waren bzw. dass Sie nicht davon erfahren haben, dass auch Ihre Daten gehandelt werden. Denn es spricht einiges dafür, dass auch diese irgendwo da draußen liegen - und verkauft werden.

Nichts gelernt von Edward Snowden?

Mitte Oktober fand ich mich also plötzlich in folgender Situation wieder: Eine Reporterin vom NDR schrieb mir, dass ihr ein Datensatz vorliege, den sie mit meinem Namen in Verbindung bringen kann. Ob mich das interessiere?

Ich las die Mail zweimal, klickte sie weg und machte sie dann sofort wieder auf. Ob mich das interessiert? Die Frage ist berechtigt. Es ist gar nicht so lange her, da schickte Edward Snowden uns mit seinen Enthüllungen quasi allen eine solche Mail. Er wies uns darauf hin, dass sich die freien und demokratischen Regierungen von der Idee des Fernmeldegeheimnisses verabschiedet haben. Er machte uns klar, dass unverschlüsselte Mails maximal so sicher sind wie Postkarten und dass anlasslos und massenhaft Profile über uns angelegt werden, wenn wir uns im Netz bewegen.

Drei Jahre später kann man schon mal fragen, ob uns das überhaupt interessiert. Denn eine wirkliche Reaktion sind wir als Gesellschaft immer noch schuldig. Snowdens Enthüllungen stellten so etwas wie den größten anzunehmenden Unfall für das Internet dar. Doch ein wirkliches Aufbegehren vergleichbar der Umweltbewegung nach dem Super-GAU von Tschernobyl hat noch immer nicht stattgefunden.

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