China:Künstliche Intelligenz für die totale Kontrolle der Untertanen

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Wer ist wer? Moderne Kameras identifizieren in China Menschen automatisch. Bis 2020 soll es in dem Land 600 Millionen Überwachungskameras geben. (Foto: Strittmater)

Die Pekinger Firma Sensetime sammelt 600 Millionen Dollar für den Ausbau künstlicher Intelligenz ein. Die Technologie spielt eine zentrale Rolle in der Strategie der Regierung.

Von Kai Strittmatter, Peking

Künstliche Intelligenz (KI), Gesichtserkennung: "Heiß, ganz heiß" seien die Geschäftsfelder der Firma Sensetime in China im Moment - das hatte die Unternehmenssprecherin Yuan Wei bei einem Besuch der SZ im Pekinger Firmensitz Ende vergangenen Jahres gesagt. Noch sei die Firma "ein Baby", verglichen mit Facebook und Google: "Aber wir wollen an die Weltspitze, klar." Einen weiteren Schritt dazu hat Sensetime nun getan: In einer neuen Investitionsrunde hat die Firma 600 Millionen Dollar an Land gezogen. Jetzt ist Sensetime mehr als drei Milliarden US-Dollar wert. "China hat nun das wertvollste KI-Start-up der Welt", meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg am Montag.

Die Firma Sensetime ist erst etwas mehr als drei Jahre alt, aber Firmengründer Tang Xiao'ou hatte schon bei der Gründung keinen Hehl daraus gemacht, wohin die Reise gehen sollte: nach ganz oben. Der chinesische Name der Firma ist Shang Tang, so benannt nach der ersten chinesischen Dynastie, Shang, und deren erstem Kaiser Tang. "China führte damals die Welt an", erklärte Tang Xiao'ou einmal die Namenswahl, "und wird das in Zukunft mit seinen technologischen Innovationen wieder tun."

Start-up-Fieber, mit viel Staatsgeld befeuert

Tatsächlich ist der Aufstieg von Sensetime - und vielen anderen Start-ups auf dem Feld der künstlichen Intelligenz - nicht denkbar ohne die Ambitionen der Regierung. "Wir werden ein starkes China bauen mit Big Data und künstlicher Intelligenz", sagte beim jüngsten Weltinternetgipfel im südchinesischen Wuzhen Wang Huning, der Chefideologe im Politbüro, einer der wichtigsten Berater von Xi Jinping. Parteichef Xi selbst saß bei seiner Neujahrsansprache in diesem Jahr vor einem Bücherregal, in dem vor allem zwei Titel herausstachen: beides Bestseller über die Versprechen der künstlichen Intelligenz.

Das Start-up-Fieber im Land wird auch mit viel Staatsgeldern befeuert. Die KP hat die Technologie als zentral für ihr eigenes Überleben und für die Perfektionierung ihrer Herrschaft identifiziert. Ein Schlüsseltag war der 15. März 2016. An jenem Dienstag fand in Seoul ein denkwürdiges Go-Spiel statt; das Brettspiel ist wesentlich komplexer als Schach. Bei der Partie schlug die Maschine AlphaGo des Londoner KI-Labors Google Deep Mind den besten Go-Spieler, den Südkoreaner Lee Sedol. Die Fachwelt war schockiert - und in Peking machte sich die Kommunistische Partei fieberhaft an die Arbeit.

"Der Sieg von Alpha Go hat unser Denken grundlegend geändert", sagt Zhang Bo, ein bekannter Mathematiker und KI-Experte von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Ein knappes Jahr später nur veröffentlichte Chinas Staatsrat einen außerordentlich ehrgeizigen KI-Entwicklungsplan.

Der Plan: Alle Industrien auf den Kopf stellen

KI werde alle Industrien auf den Kopf stellen, heißt es in dem Plan; die künstliche Intelligenz werde zum Motor der Wirtschaftsentwicklung. Bis 2020 soll China in der KI mit den führenden Forschungsnation - also mit den USA - gleichziehen. Im Jahr 2025 möchte China selbst "wichtige Durchbrüche" in der KI-Forschung und Anwendung erreichen, zu dem Zeitpunkt schon soll künstliche Intelligenz "die Haupttreibkraft für Chinas industrielle Erneuerung und wirtschaftlichen Wandel" sein. Fürs Jahr 2030 schließlich wünscht sich Peking dies: China steht alleine an der Spitze und ist "das wichtigste KI-Innovationszentrum der Welt".

KI aber birgt für die KP noch ein anderes Versprechen: die totale Kontrolle der Untertanen. Die "öffentliche Sicherheit", heißt es in dem Regierungsplan, könne dank "intelligenter Überwachungs-, Frühwarn- und Kontrollsysteme" so lückenlos wie nie zuvor werden. Auf dem Geschäftsfeld spielt Sensetime schon jetzt an vorderster Stelle mit. Die Gesichtserkennungskameras der Firma laufen auf Smartphones und in Handy-Apps, vor allem aber helfen sie der Polizei überall in China. Der Markt ist riesig. Im Jahr 2016 hatte China 176 Millionen Kameras, bis 2020 sollen es 600 Millionen sein. Schon jetzt gibt Sensetime an, über Regierungsstellen Zugang zu Datenbanken mit 500 Millionen Gesichtern zu haben. Sensetime will nun bis zum Jahresende auf 2000 Angestellte wachsen, und das frische Geld Bloomberg zufolge unter anderem in fünf Supercomputer und einen Dienst namens "Viper" investieren, der in der Lage ist, Netzwerke, die bis zu 100 000 Kameras umfassen, automatisch auszuwerten.

© SZ vom 10.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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