Lehrer im Gefängnis:"Die Schlauen können die Schlimmsten sein"

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Gefängnislehrer müssen spezielle Qualitäten mitbringen. (Foto: dpa)

Gefängnislehrer unterrichten Diebe, Schläger, Vergewaltiger, manchmal Mörder. Trotzdem müssen sie versuchen, den Schüler zu sehen - und nicht den Täter.

Von Johann Osel

Dennis ist ein fröhlicher Typ. Wenn er lächelt, und das tut er oft, ziehen sich Grübchen um die Mundwinkel seines Jungengesichts. Er redet auch viel, wählt aber die Worte, keine Gossensprache. Richtig sympathisch. Dennis hat mit einem Komplizen zehn Tankstellen überfallen. Mit Sturmhaube und Pistole stand er an den Kassen, während manche Verkäufer vor Todesangst "winselten". So hatte es die Staatsanwaltschaft damals im Prozess geschildert. Gesamtbeute der Raubzüge: 12 000 Euro. Das Geld ging drauf für teure Klamotten und Koks, sagt Dennis, "überall den dicken Max markieren". Die Verbrechen wurden immer ausgefeilter, mit Karten für den Fluchtweg, mit Verstecken im Wald, einmal hätten sie sich mit der Polizei eine "Verfolgungsjagd wie im Actionfilm" geliefert.

Einen Beruf mit Organisation oder Logistik könne er sich gut vorstellen, sagt Dennis, Anfang 20, allen Ernstes. "Das kann ich." Er will eine Ausbildung machen - nach der Entlassung, nach den fünf Jahren und drei Monaten, die er absitzen muss. Dafür braucht er einen Realschulabschluss. Den macht er jetzt hinter Gittern.

Der Klassenraum einer Justizvollzugsanstalt, irgendwo in der Mitte Deutschlands. Wenig dekorativ ist das Zimmer, Tafel, Stühle und Tische. Keine Bilder, nichts Schmückendes, wie man es oft aus Schulen kennt. An der Tafel ein Stichwort des Unterrichts vom Vormittag, Fach Geschichte: "Inflation 1923". Dennis verlässt den Raum gerade. War spannend, sagt er und lächelt wieder.

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Als Herr Schmidt, der Lehrer, den Raum verlässt, lächelt er nicht. Er schnauft. "Kriminell und intelligent", wird er später sagen, "die Schlauen können die Schlimmsten sein, die suchen bei Lehrern nach Schwächen und piksen rein, die starten ewige Debatten." Dazu kommen die "Babos" und "Kings", die harten Jungs, denen man das auch ansieht, etwa wenn sie vor der Knastschule beim Rauchen stehen. Oft zutätowiert, dicker Bizeps und - wenn man sie anspricht -, wortkarg. Herr Schmidt und Dennis heißen in Wirklichkeit anders. Man ahnt bei den Szenen, notiert bei einem JVA-Pressetermin vor einiger Zeit: den Job des Knastlehrers muss man aushalten. Pädagogen, die sich dem stellen, dürften nicht leicht zu finden sein.

Genau das treibt die Zunft um. Fast 500 Lehrer arbeiten in den deutschen Gefängnissen. Exakte Statistiken gibt es nicht, da 16 Länder zuständig und dort jeweils Schul- und Justizministerium beteiligt sind. Es gibt zudem verschiedene Modelle: angestellte Lehrer der Justiz und Abordnungen von regulären Schulen.

Was man weiß: Viele dieser Lehrer werden in den kommenden Jahren in Pension gehen. An allgemeinbildenden Schulen waren zuletzt bundesweit gut 40 Prozent der Lehrer 50 Jahre und älter. Wie eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung zeigt, sind JVA-Lehrer eher älter. Mehrere Länder melden 60 Prozent und mehr über 50 und deutliche Anteile über 60. Nicht wenige Knastlehrer sind im Zuge der großen Lehrerarbeitslosigkeit in den Achtzigerjahren zu der Aufgabe gekommen - im normalen Schuldienst gab es damals praktisch keine Chancen.

Im April 1982 hatte Klaus-Dieter Vogel den ersten Arbeitstag im Gefängnis. "Ich habe die Entscheidung für diesen Berufsweg nie bereut - ich habe diesen Weg aber auch nie geplant", erzählt er. Beim Angebot der JVA Berlin-Moabit sei in ihm "nicht sofort Begeisterung entflammt". Dann aber "der Reiz der Herausforderung". Heute leitet Vogel die Schule der Jugendstrafanstalt Berlin, außerdem ist er Chef der Bundesarbeitsgemeinschaft der Lehrerinnen und Lehrer im Justizvollzug. Bei deren jüngster Tagung ging es um Dauerfragen wie Sicherheit im Dienst oder Kooperation mit externen Partnern - aber auch um künftigen Nachwuchs. Vogel sagt: "Zwar wachsen junge Kollegen nach. Aber es wird dünner." Oft sei das Berufsbild, auch weil es so wenige Knastlehrer gibt, völlig unbekannt bei Absolventen und Referendaren - und werde so gar nicht in Erwägung gezogen.

Folgt man Herrn Schmidt, der schnaufend die Klasse verlassen hat, zum Lehrerzimmer, vorbei an den Zellen der Lehrer (in denen haben sie Arbeitsplätze eingerichtet), sieht man da: viel graue Haare. Auch hier spielte die Lehrerarbeitslosigkeit der Achtziger eine Rolle. Aber in Gesprächen merkt man das Herzblut, mit dem die Pädagogen engagiert sind: "Die Beziehung mit den Schülern ist viel enger als draußen", sagt Schmidt, der auch in Schulen ohne Gitterstäbe unterrichtet hat. Das Ziel: Ein Strafvollzug, der die Schüler erzieht und ihnen hilft, sich später draußen zurechtzufinden. Das sei "aktive Verhinderung weiterer Straftaten". Oft kommen junge Gefangene zum ersten Mal überhaupt zu einem Abschluss. "Allerdings können wir nicht kitten, was vorher 20 Jahre falsch gelaufen ist", so Schmidt.

Bei Dennis war das: Verwahrlosung bei den Eltern, Heimaufenthalte, Drogen, Schule bis 14, später doch ein nachgeholter Hauptschulabschluss, drei Azubi-Stellen, alle abgebrochen. Dann die fatale Idee mit den Tankstellen. Bildung und Abschlüsse sind eine Chance, wichtiger Teil der Resozialisierung; ebenso Ausbildungen hinter Gittern, in Lehrwerkstätten: Konditor, Elektriker, Schlosser. Viele frühere Schüler sehen die Knastlehrer dennoch bald wieder. Zumindest sind die JVA so aber keine Schlechterungsanstalten.

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In einer Klasse können Diebe, Betrüger, Schläger, Dealer, Räuber, mitunter Vergewaltiger, Mörder sitzen. Im Amtsdeutsch, so die Stellenbeschreibung eines Justizministeriums, nennt sich das: "Einfühlungsvermögen im Umgang mit teils schwierigen Persönlichkeiten", "Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit". In Schmidts Worten heißt das: "Keine Spur Unsicherheit zeigen. Sonst hat man verloren." Hackordnungen sind im Unterricht tabu - dass keiner zum "Picco" gemacht wird, "da muss man gleich dazwischengrätschen". Picco, so bezeichnet man die Opfer in der Hierarchie. In einer Zweckgemeinschaft, in der oft das Recht des Stärkeren zählt.

Im Unterricht gibt es auch interkulturelle Konflikte angesichts vieler Nationen, manchmal kurz vor der Prügelei. Respektvollen Umgang miteinander kennen viele nicht. "Hurensohn" hört man fast in jeder Stunde, sagt Dennis. Der Lehrer ist eine "Art Dompteur", wie es Vogel beschreibt; notfalls kann per Knopfdruck ein Wachtmeister alarmiert werden. Nicht jeder sei wohl geeignet für eine solche Aufgabe, so Schmidt. Berufsanfängern sei der Knast "nicht unbedingt zu empfehlen". In der Regel sei es schwer, Lehrer zu finden, die sich das vorstellen können.

In der SZ-Umfrage unter ausgewählten Justizministerien - Ost, West, Flächenländer, Stadtstaaten - zeigt sich: Vielerorts hat man den möglichen Mangel erkannt. "Derzeit wird eine Intensivierung der Werbemaßnahmen konzipiert", heißt es etwa in Nordrhein-Westfalen. "In der zunehmenden Konkurrenz um die zurückgehende Zahl geeigneter Nachwuchskräfte ist starke Medienpräsenz ebenso unverzichtbar wie die Bereitstellung leicht recherchierbarer Informationen über das Berufsbild." In Niedersachsen: Es werde "geprüft, ob die Attraktivität des Berufs insbesondere durch Kooperationen mit Hochschulen noch besser kommuniziert werden kann".

Interessierte könnten sich bei Schulleiter Vogel einlesen. Er hat ein Buch geschrieben: "Lebenslänglich Knastlehrer". Darin stehen Schnurren aus Jahrzehnten. Wenn etwa in Mathe geometrische Körper zu berechnen sind, Häftlinge sich aber für "geile Körper" erwärmen. Darin findet sich aber auch, was genau mitzubringen ist für den Job. Eben keine Angst, dafür Bereitschaft, sich auf schwierigste Leute "professionell einzulassen", den Schüler zu sehen, nicht den Täter. "Man muss die Überzeugung haben, dass jeder eine Chance verdient, sich durch Bildung zu integrieren. Unser Auftrag lautet Bildung, nicht Verurteilung."

© SZ vom 06.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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