Integration:"Und jedes Mal hat jemand gesagt: Das schaffst du nicht"

Integration: In Afghanistan besuchten Zahra (li.) und Nezhada Lalzad eine Privatschule, die Noten waren immer gut. In Deutschland stellt das Bildungssystem ihnen viele Hindernisse in den Weg.

In Afghanistan besuchten Zahra (li.) und Nezhada Lalzad eine Privatschule, die Noten waren immer gut. In Deutschland stellt das Bildungssystem ihnen viele Hindernisse in den Weg.

(Foto: Marco Einfeldt)

Nezhada und Zahra Lalzad kamen 2011 aus Afghanistan. Ihre Geschichte zeigt, wie abweisend das Bildungssystem gegenüber Flüchtlingen ist.

Von Veronika Wulf

Eigentlich ist die Geschichte von Nezhada und Zahra Lalzad eine Vorzeigegeschichte. Vor sechs Jahren sind sie aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Heute geht Nezhada Lalzad, 16, aufs Gymnasium, Zahra Lalzad, 22, studiert Jura. Sie haben Ziele im Leben, sind fleißig und sprechen fließend Deutsch. Man denkt an Fälle wie ihren, wenn Regierungspolitiker immer wieder betonen: "Bildung ist der Schlüssel zur Integration." Die Lalzad-Schwestern scheinen der lebende Beweis zu sein. Doch wie sehr werden Flüchtlinge gefördert, wenn sie sich um diesen Schlüssel bemühen?

Dieselben Schwestern - und zahlreiche Asylhelfer - berichten von bürokratischen und organisatorischen Hürden, die Flüchtlingen den Weg ins deutsche Bildungssystem versperren. Mehr als die Hälfte der Asylbewerber, die nach Deutschland kommen, ist jünger als 25 Jahre alt und somit genau im Ausbildungsalter. Etwa 40 000 Flüchtlinge werden in drei Jahren an deutschen Hochschulen eingeschrieben sein, schätzen der Stifterverband der Deutschen Wirtschaft und die Unternehmensberatung McKinsey. Einer gemeinsamen Studie zufolge könnten es allerdings mehr als doppelt so viele sein, gäbe es mehr Hilfe bei sprachlichen, gesundheitlichen und finanziellen Problemen, die dabei im Weg stehen. "Die Motivation vieler Flüchtlinge in den ersten Monaten nach ihrer Ankunft in Deutschland ist besonders hoch", heißt es dort. Deshalb sollten sie früh durch Beratungen und Kurse gefördert werden.

Nezhada Lalzad war zehn Jahre alt, ihre Schwester Zahra 16, als ihr neues, deutsches Leben begann. Mit den Eltern zogen sie in eine abgelegene Flüchtlingsunterkunft in der oberbayerischen Gemeinde Wang. Schon bald nach ihrer Ankunft trafen sie Reinhard Kastorff, einen heute 69-jährigen Pensionär mit weißem Bart und gutem Willen. Zahra Lalzad lernte ihn kennen als "jemand, der manchmal in der Unterkunft auftaucht, und wenn man Probleme hat, dann kann man ihm Bescheid sagen". Kastorff selbst bezeichnet sich als ehrenamtlichen "Einzelkämpfer". Mit 40 Jahren Erfahrung als Beamter, Kontakt zu Bürgermeistern und Schulleitern und viel Zeit lotste er die Schwestern durchs deutsche Bildungssystem. Zu dritt sitzen sie nun an einem Tisch bei "Tante Emma" im Nachbarort Moosburg, Flüchtlingstreffpunkt und Second-Hand-Laden in einem, vollgestopft mit Büchern, Jacken, Krimskrams.

Für die jüngere Nezhada war es relativ einfach: Weil sie noch schulpflichtig war, bekam sie einen Platz an der Grundschule, das Busticket wurde bezahlt. Nach weniger als einem Schuljahr schaffte sie es aufs Gymnasium. Dort bekam sie, aus Rücksicht, im ersten Jahr keine Deutschnote, vom zweiten Jahr an wurde sie bewertet wie alle anderen Schüler.

Zahra Lalzad dagegen war lediglich berufsschulpflichtig, wollte aber eine weiterführende Schule besuchen. Ihr Vater war ein angesehener Apotheker in ihrer Heimatstadt Kabul, die Mutter leitete vier Mädchenschulen. "Für mich war klar, ich will auch mal auf die Uni gehen", sagt sie. Sie sprach flüssig Englisch, war in Afghanistan acht Jahre zur Schule gegangen. Trotzdem war die Leitung der nächstgelegenen Realschule erst skeptisch. Bei einer Art Aufnahmegespräch bemängelte eine Lehrerin, dass Zahra Lalzad kein Deutsch sprach und dass sie eine Matheaufgabe auf einem anderen Weg lösen wollte als dem vorgegebenen - obwohl das Ergebnis stimmte. So erzählen es Zahra Lalzad und Reinhard Kastorff.

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