Gymnasium:Das bayerische G 8 wird abgeschafft - endlich!

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Nach 15 Jahren quälender Reform ist das "Turboabitur" Vergangenheit. Die Gymnasien können sich jetzt auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.

Kommentar von Paul Munzinger

Die CSU kann endlich loslassen. Nach fast 15 quälenden Jahren hat sie sich vom G 8 verabschiedet. Von jener Reform, mit der sie das Gymnasium per Handstreich in eine Dauerbaustelle verwandelte und die sie seitdem so erbittert verteidigte, weil sie ihr Gesicht nicht verlieren wollte. Mit viel Wohlwollen lässt sich der CSU heute zumindest eines zugutehalten: Sie hat ihr Experiment nicht mit der gleichen blinden Hast beendet, mit der sie es 2003 begonnen hatte. Sie hat sich Zeit gelassen.

Das deutsche Bildungssystem, so begründete der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber die Umstellung auf G 8, raube den Jugendlichen "wertvolle Zeit, die sie für Familiengründung, Beruf und Aufbau ihrer Altersversorgung nutzen können". Fast wortgleich hatte es 1997 Bundespräsident Roman Herzog formuliert. In seiner Ruck-Rede sprach er von gestohlener Lebenszeit - und meinte die Jahre, die junge Menschen in der Schule und an der Uni verlören. Zeit, das war in einem wirtschaftlich tief verunsicherten Land eine Ressource, die es sparsam und effizient einzusetzen galt. Gerade in der Schule.

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Es ist nicht ohne Ironie, dass das Motiv der geraubten Zeit - das zentrale Argument der G-8-Befürworter - sich über die Jahre gegen die Reform gewandt hat. In praktisch allen westlichen Bundesländern macht es das verkürzte Gymnasium bis heute zum Dauerstreitthema. In Bayern, wie zuvor in Niedersachsen, hat es die Reform nun zu Fall gebracht. Das liegt weniger daran, dass in dem Ende der Wehrpflicht und dem per Bologna-Reform verkürzten Studium zwei weitere vermeintliche Bremsen für junge Menschen weggefallen sind. Es liegt vor allem daran, dass viele Eltern und Lehrer Zeit für Bildung heute mehr denn je als wertvolles Gut ansehen, das keiner Kosten-Nutzen-Rechnung unterworfen werden darf.

Dem achtjährigen Gymnasium ist in den letzten Jahren alles Mögliche vorgehalten worden. Nicht alles war gerecht. Insbesondere die Debatte über den angeblich unmenschlichen Stress, der schon Kindern zugemutet werde, war in Teilen hysterisch; die Wissenschaft hat einen Anstieg körperlicher und psychischer Belastungen nur in Ansätzen bestätigen können. Gerade in der Frage der Überforderung der Schüler wurde das G 8 häufig für Probleme haftbar gemacht, die hauptsächlich von anderen Großtrends in der Schule herrühren: von der Entwicklung des Gymnasiums von der Eliteschmiede zu einer Volks-Schule, die Hälfte der Schüler macht heute Abitur. Von einem insgesamt steigenden Leistungsdruck, der nicht selten von den Eltern herrührt, die diesen später am lautesten beklagen.

Das G 8 ist nicht so schlecht, wie es oft gemacht wurde. Das G 8 ist auch nicht schlechthin unmöglich in Deutschland, das beweisen die ostdeutschen Bundesländer, die mit dem System gut zurechtkommen (dabei ist allerdings nicht zu vernachlässigen, dass das achtjährige Gymnasium in der DDR Standard war). Doch was möglich ist, ist noch lange nicht richtig; was nicht schlecht ist, ist noch lange nicht gut. Gute Bildung braucht Zeit, die im achtjährigen Gymnasium mit seinem verkürzten Lehrplan und seinem Nachmittagsunterricht zu oft zu knapp ist. Vom Gymnasium wird heute nicht weniger erwartet, als dass es die Kinder reif für die Hochschule, aber auch reif fürs Leben macht. Beiden Zielen wird das G 8 zu häufig nicht gerecht.

Alle Nachbesserungsversuche änderten nichts

Dass es der CSU in Bayern nicht gelungen ist, das G 8 zum Erfolgsmodell zu machen, hat sie sich dennoch vor allem selbst zuzuschreiben. Die Gymnasialreform entsprang einer verhängnisvollen Mischung aus Panik und Hybris. Ausgestattet mit einer absoluten Mehrheit und in der Angst, den bundesweiten Trend zu verpassen, nahm Stoiber dem Gymnasium das neunte Jahr quasi über Nacht weg. Seiner Reform erlegte er damit eine schwere Hypothek auf, die sie nicht mehr loswurde. Daran konnten auch alle Nachbesserungsversuche nichts ändern.

Nun hat die CSU dem Druck nachgegeben, mit genügend Vorlauf zur Landtagswahl 2018. Zugutehalten muss man der Partei, dass sie der Versuchung widerstanden hat, das neue G 9 angesichts all der Debatten weichzuspülen. Der Lehrplan soll nicht gestreckt, sondern ausgebaut werden, unter anderem durch Informatik-Unterricht; der Nachmittagsunterricht soll nur in der Unter- und Mittelstufe so gut wie gestrichen werden. Und das Turbo-Abi bleibt eine Option, als "Überholspur".

Das Ende des G 8 eröffnet nun eine doppelte Chance: dass endlich das einkehrt, was im Gymnasium schon zu lange Zeit fehlt - nämlich Ruhe. Und dass die Debatte über die Zukunft des Gymnasiums sich nicht mehr länger nur um die Zahlen acht und neun dreht.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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