SZ-Serie: Bayern erlesen:Leben wider alle Konventionen

Lesezeit: 3 min

War seiner Heimatstadt Würzburg sein Leben lang in Hassliebe verbunden: der Schrifsteller Leonhard Frank (1882-1961). (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Leonhard Franks Erstlingsroman "Die Räuberbande" über eine Jugend im Würzburg des frühen 20. Jahrhunderts.

Von Florian Welle, Würzburg

Würzburg an der Wende zum 20. Jahrhundert. Ein Dutzend Lehrlinge hat sich zu einer "Räuberbande" zusammengeschlossen. Sie nennen sich "Winnetou", "Oldshatterhand" und "Rote Wolke". Die Vierzehnjährigen "halten's nimmer aus", nicht die Verhältnisse bei ihren Eltern im Kleine-Leute-Viertel jenseits des Mains, nicht den Drill und Sadismus von Schule, Kirche und Meistern.

Nachts schleichen sie sich davon. In den Gräben der Festung Marienberg tanzen sie ums Lagerfeuer und malen sich aus, die vermuffte Stadt in Brand zu setzen. "Es ist eine dunkle Nacht, und ehe du dich versiehst, schlägt eine kirchturmhohe Flamme in den Himmel hinauf ... Die erfasst gleich das Rathaus und den Platz ... derweil wir schon längst in unserm Schiff den Main hinunterfahren. Ha!"

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Von Karl May inspirierte Jungenträume, großspurig und hochfliegend. Leonhard Franks 1914 erschienener Roman "Die Räuberbande" erschöpft sich jedoch nicht in Lagerfeuerromantik. Aus ihm spricht eine sozialkritische Grundhaltung, die dem 1882 im Mainviertel als viertes Kind eines Schreinergesellen geborenen Schriftstellers eine Herzensangelegenheit war.

Max Brod bejubelt Franks Erstlingsbuch

Für sein autobiografisch grundiertes Debüt wurde Frank sogleich mit dem Fontane-Preis geehrt und schlagartig berühmt. Max Brod jubilierte: "In der Tat, dieses Erstlingsbuch zeigt einen fertigen, ganz eigenwüchsigen Dichter, dem so ziemlich alles gerät, was er mit seiner sehr gegliederten Prosa anpackt." Der Autodidakt braucht nur wenige Worte, um seine Heimatstadt, der er sein Leben lang in Hassliebe verbunden ist, vor den Augen der Leser erstehen zu lassen. Die ersten Sätze lauten: "Luft und Häuser zitterten, denn die dreißig Kirchturmglocken von Würzburg läuteten dröhnend zusammen zum Samstagabendgottesdienst. Und aus allen heraus tönte gewaltig und weittragend die große Glocke des Domes, behauptete sich bis zuletzt und verklang."

Die Allgegenwart von Würzburgs Kirchen: Hier der St.-Kilians-Dom um das Jahr 1926, der in Franks Roman erwähnt wird. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Franks schlichter, aber bildkräftiger Stil ist das Ergebnis akribischen Feilens. In seinem autobiografischen Erinnerungsbuch "Links wo das Herz ist" von 1952 beschreibt sein Alter Ego Michael Vierkant nur leicht verfremdet das Leben des Schriftstellers und erzählt, dass er allein an der ersten halben Seite der "Räuberbande" drei Monate gearbeitet habe.

Michael Vierkant: Der Name ist Lesern der "Räuberbande" wohlvertraut. So heißt dort "Oldshatterhand" mit richtigem Namen, der wie Frank aus einer armen Schreinerfamilie stammt. Im Romanverlauf macht er als einziger Ernst mit einem Leben wider die Konventionen. Während sich die anderen nach ihren Rebellenjahren brav in die Gesellschaft einfügen, schlägt Michael alias "Oldshatterhand" den Weg eines Künstlers ein. Er geht nach München an die Akademie der Bildenden Künste, treibt sich in der Bohème herum. Schließlich wählt er den Freitod, der hier vor allem symbolisch zu verstehen ist: "Es gibt nur zweierlei - lügen wie die anderen: sein wie sie; oder ihre Verachtung verachten: einsam sein."

Leonhard Frank selbst absolvierte eine Mechaniker-Lehre, ehe er nach verschiedenen Jobs im Jahr 1904 nach München zog, um Malerei und Grafik zu studieren. Sechs Jahre später siedelte er nach Berlin über und begann zu schreiben. Er war arm, erst der Erfolg der "Räuberbande" machte ihn finanziell unabhängig. Auch wenn er fortan das Leben genoss, blieb er stets seinen humanistischen Idealen treu.

Flucht vor den Nazis in die USA

Als einer von wenigen Künstlern war er 1914 Kriegsgegner der ersten Stunde. Ein Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs emigrierte er in die Schweiz und veröffentlichte dort "Der Mensch ist gut", einen Band mit Antikriegsnovellen, der auf abenteuerliche Weise den Weg in die Heimat fand. Sich selbst nannte er einen "Gefühlssozialisten". Die erste und bislang einzige Biografie von Katharina Rudolph von 2020 trägt den Titel "Rebell im Maßanzug". Ein Mensch mit Widersprüchen, über den schon Zeitgenossen spöttelten: "Der Mensch isst gut."

Nach dem Krieg kehrte er nach Berlin zurück und wurde einer der populärsten Schriftsteller; Lion Feuchtwanger und Thomas Mann zählten zu seinen Freunden. Als die Nazis die Macht ergriffen, floh er in die Schweiz und nach Frankreich, über Spanien und Portugal gelang ihm schließlich 1940 die Flucht in die USA. Fünf Jahre nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück. Während er im Westen zunehmend in Vergessenheit geriet, wurde er in der DDR gefeiert. 1961 starb er in München.

Seine Heimatstadt Würzburg tat sich jahrzehntelang schwer mit ihrem berühmten Sohn. Man nahm ihm das 1949 erschienene Buch "Die Jünger Jesu" übel, das unter anderem das Fortleben der NS-Ideologie in Würzburg thematisiert. 1952, zu seinem 70. Geburtstag, weigerte man sich eine offizielle Feier auszurichten, nach seinem Tod eine Straße nach ihm zu benennen. Erst im Jahr 1991 brachte der Würzburger Verschönerungsverein in der Nähe von Franks schon lange nicht mehr existierendem Geburtshaus eine Gedenktafel an. Danach beginnt man allmählich, Leben und Werk des Verschmähten wertzuschätzen. Dazu hat sicher auch die Arbeit der 1982 gegründeten Leonhard-Frank-Gesellschaft beigetragen. Standen doch schon in der "Räuberbande" so schöne Sätze wie: "Der Main, der die Stadt in zwei Teile trennt, glänzte. Jeder Stern stand klar und scharf am grünlichen Himmel. Die ganze alte Stadt war aus purem Silber."

Leonhard Frank, "Die Räuberbande", mit einem Nachwort von Michael Henke, Milena Verlag, Wien 2016, 291 Seiten, 23 Euro

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Serie: Bayern erlesen
:Eine Geschichte, die an vielen Fäden schwebt

Thomas Hettches Roman "Herzfaden" erzählt von der Augsburger Puppenkiste - eine bestens geeignete Lektüre, um die verwickelten Anfänge Marionettenbühne zu verstehen.

Von Antje Weber

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: