Weiden in der Oberpfalz:Freunde lassen Kumpel in Flutkanal ertrinken

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Ein Prozess muss klären, ob drei Leute einen jungen Mann einfach sterben ließen - dabei hätte ihn ein Handgriff gerettet.

Von Matthias Köpf, Weiden

Die Rettung wäre so nah gewesen, so leicht. Ein paar Schritte höchstens, dann die Hand ausstrecken und den Freund herausziehen aus dem flachen Wasser. Sie alle drei haben es wohl nicht getan. Eine von ihnen soll stattdessen noch ein bisschen mit dem Handy weitergefilmt haben und so einen Teil dessen dokumentiert, was die Staatsanwaltschaft nun Totschlag durch Unterlassen nennt. Denn der Freund, der an jenem Abend im vergangenen September im Weidener Flutkanal lag, war bald darauf tot, ertrunken mit 22 Jahren in einem seichten, langsam dahinfließenden Gewässer am Rande der Altstadt. Direkt neben denen, die doch seine Freunde waren oder hätten sein sollen.

So stellen sich die Geschehnisse an diesem Abend jedenfalls den Weidener Staatsanwälten dar, die den Fall nun vor das Schwurgericht im Landgericht Weiden gebracht haben. Der Prozess beginnt an diesem Dienstag, elf Verhandlungstage hat die Kammer angesetzt. Der Fall hatte viele in der Region erschüttert und auch darüber hinaus Aufsehen erregt. Polizei und Rettungsorganisationen hatten unter anderem mit Hubschraubern, Booten und Wärmebildkameras nach dem jungen Mann gesucht, nachdem dieser am nächsten Tag von seinen vermeintlichen Freunden als vermisst gemeldet worden war. Am Abend zuvor, so die Überzeugung der Staatsanwälte, hatten sie ihn selbst liegen lassen im Flutkanal, hilflos, schwer betrunken und zudem zugedröhnt mit einer künstlich hergestellten cannabisartigen Droge.

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Denn es hatte nach Darstellung der Staatsanwälte ganz offenbar ein berauschender Abend werden sollen. Die vier Freunde - drei junge Männer und eine junge Frau - waren demnach schon eine Woche zuvor miteinander unterwegs gewesen, damals soll das spätere Opfer als Fahrer nüchtern geblieben sein. Dieses Mal war offenbar ein anderer dran, die drei Männer sollen aus ihrer Kleinstadt mit dem Auto nach Weiden gefahren sein, dort die junge Frau abgeholt und den am Ende tödlichen Abend in einer Shisha-Bar begonnen haben. Das spätere Opfer soll schon im Auto eine Flasche Weißwein geleert haben, obwohl der junge Mann Diabetiker war und deswegen nicht allzu viel vertrug. Seine Begleiter hätten das gewusst, glauben die Ermittler, und doch hätten sie ihn in der Bar weiter zum Trinken animiert, fleißig nachgeschenkt von dem Mischgetränk aus Wodka und Orangensaft.

Die Rechtsmediziner haben für das Opfer im Nachhinein einen Wert von mindestens 2,39 Promille Alkohol im Blut rekonstruiert, als die vier gegen 22 Uhr die Bar verließen. Während er womöglich ziemlich orientierungslos war, sollen seine Begleiter zumindest weit weniger betrunken gewesen sein. Auf dem Weg über die Treppe von der Bar hinaus und dann weiter zum Parkhaus, in dem das Auto stand, sollen sie ihn gestützt und geführt haben. Dort am Parkhaus aber soll sich das spätere Opfer plötzlich von der Gruppe entfernt haben und irgendwann hinter dem Gebäude die Böschung des Flutkanals hinuntergestürzt sein. Dort sollen ihn die Freunde schließlich wieder gefunden haben - hilflos auf dem Bauch liegend, im Dunkeln und am Rande des Wassers, aber noch im Trockenen und vor allem noch am Leben.

Spätestens jetzt wäre es nach Ansicht der Ankläger Zeit für eine helfende Hand, einen rettenden Griff gewesen. Stattdessen griff die junge Frau demnach zum Handy eines der anderen, aber nicht um Hilfe zu holen, sondern um zu filmen. Der junge Mann soll sich dann noch einmal selbst aufgerichtet haben und dann rücklings ins Wasser gestürzt sein, was aus seiner elenden Lage endgültig eine tödliche Situation gemacht haben muss. Warum ihm wohl auch jetzt niemand die Hand reichte, warum es den schnellen, rettenden Griff nicht gegeben hat, das wird eine der vielen Fragen sein, die das Gericht den drei Angeklagten in den kommenden Wochen stellen wird. Ein Urteil wird nach jetzigem Stand für den 8. Juli erwartet.

© SZ vom 15.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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