Unterallgäu:Steuern eintreiben nach dem Zufallsprinzip

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Im Unterallgäu zeigt sich vieles noch traditionell. So womöglich auch die Arbeitsauffasung des zuständigen Steuerbeamten. (Foto: dpa)
  • Über Jahre hinweg hat ein erfahrener Steuerbeamter keine Gewerbesteuerbescheide ausgestellt.
  • Die betroffene Verwaltungsgemeinschaft Türkheim im Unterallgäu zeigt sich überrascht.
  • Dabei wurde sie wohl mehrfach auf die fehlenden Steuereinnahmen hingewiesen.

Von Stefan Mayr, Türkheim

Dass es berühmte Steueroasen auf karibischen Inseln und im benachbarten Ausland gibt, ist hinreichend bekannt. Dass man aber auch mitten in Bayern als Unternehmen nur sporadisch und nach dem Zufallsprinzip Gewerbesteuer bezahlen muss, ist neu. Genau das geschah in den Jahren 2001 bis 2013 im Gebiet der Verwaltungsgemeinschaft (VG) Türkheim im Unterallgäu - und keiner hat es gemerkt.

Dies bestätigen die Bürgermeister der Gemeinden Türkheim, Rammingen, Amberg und Wiedergeltingen. Die Fälle von vor 2010 sind inzwischen verjährt, den Gemeinden entgingen Steuern in Höhe von etwa einer Million Euro.

Der VG-Vorsitzende Sebastian Seemüller und seine drei Bürgermeister-Kollegen haben gemeinsam eine Erklärung formuliert, in der sie den Fall aus ihrer Sicht darstellen. "Bei rund 20 Prozent der Unternehmen wurden teilweise keine Bescheide erstellt", schreiben sie. Erst vom Jahr 2011 an könnten die ausstehenden Beträge noch nachgefordert werden.

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Auch die Grundsteuer wurde nach Angaben der Bürgermeister nur lückenhaft erhoben, hier sei das gesamte Ausmaß des Schadens noch nicht geklärt. Die finanziellen Auswirkungen seien hier aber "wesentlich geringer" als bei der Gewerbesteuer.

Er hatte eigenverantwortlich und allein das Steueramt geleitet

Verursacht wurde das Desaster von einem Mitarbeiter der Verwaltungsgemeinschaft, der über all die Jahre hinweg alleinverantwortlich und unkontrolliert für das Steuerwesen in den vier Kommunen zuständig war. Dieser Beamte - er ist inzwischen krank geschrieben - hatte Jahr für Jahr "zahlreiche Bescheide nicht erstellt", wie Seemüller und Kollegen einräumen.

Der Mitarbeiter habe das Steueramt eigenverantwortlich mehr als 25 Jahre lang geleitet. "Große Erfahrung war also vorhanden", betonen die Bürgermeister, "zudem wurde dem Mitarbeiter vollstes Vertrauen entgegengebracht."

Da etwa 80 Prozent der Unternehmen stets korrekt veranlagt worden seien, so rechtfertigen sich die Gemeinde-Oberhäupter, "waren für die Kämmerei und die Gemeinden keine Auffälligkeiten erkennbar". Hier widersprechen laut Medienberichten allerdings Unternehmer. Diese hätten die Verwaltung des Öfteren auf Unstimmigkeiten hingewiesen. Diese seien aber nie aufgegriffen worden.

Die Bürgermeister räumen immerhin ein, dass sie Ende 2014 im Steueramt "größere Rückstände und Altlasten" erkannten. Daraufhin wurde ein internes Controlling eingeführt und das Personal aufgestockt. Ein neuer Mitarbeiter habe schließlich offen gelegt "dass die Baustelle Steueramt deutlich größer ist als erwartet", wie es die Vertreter der VG formulieren.

Man beruft sich auf das Geld aus der EU

Genaue Zahlen zur Höhe des Schadens nennen die Bürgermeister nicht. Stattdessen versuchen sie wortreich, den Betrag kleinzurechnen. Es sei "zwischen entgangener Steuer und tatsächlichem finanziellen Schaden zu unterscheiden", schreiben sie. Ihre Rechnung geht so: Weil die vier Gemeinden jahrelang weniger Steuereinnahmen hatten, haben sie ja über den kommunalen Finanzausgleich entsprechend höhere Schlüsselzuweisungen kassiert.

"Umfangreiche Berechnungen" hätten ergeben, dass der "tatsächliche finanzielle Schaden" bei den vier VG-Gemeinden "wohl nur rund 50 000 Euro" betrage. Diese Schadenssumme werde bei der Kassenversicherung angemeldet. "Wir gehen von einer vollständigen Regulierung durch die Versicherung aus", stellen die Bürgermeister zufrieden fest.

Dass das Geld des Finanzausgleichs an anderer Stelle bei bedürftigeren Gemeinden fehlt, davon schreiben sie kein Wort. Immerhin hat die VG die Landesanwaltschaft in München eingeschaltet, um den Fall von unabhängiger Stelle aufklären zu lassen. Auch die Staatsanwaltschaft Memmingen beschäftigt sich bereits mit dem Fall. Die Anklagebehörde prüft durch sogenannte Vorermittlungen, ob sie wegen des Verdachts auf Untreue ein formelles Ermittlungsverfahren eröffnen soll oder nicht.

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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