Bedürftige:Tafel-Organisatoren fühlen sich im Stich gelassen

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Die Lebensmittel-Tafeln für Bedürftige werden, wie hier in Nürnberg, vor allem von ehrenamtlichen Helfern organisiert. (Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • In Bayern gibt es 169 Tafeln, die mehr als 200 000 Bedürftige versorgen - die Zahl steigt.
  • Doch die ehrenamtlichen Organisatoren fühlen sich von der Staatsregierung allein gelassen.
  • Vor allem würden sich die Tafel-Aktivisten freuen, wenn sie der Freistaat beim Aufbau zentraler Logistikzentren unterstützen würde.

Von Dietrich Mittler, München

In Bayern müssen immer mehr Menschen auf das Angebot der Tafeln zurückgreifen, da sie sonst finanziell kaum mehr über die Runden kämen. Woche für Woche kommen weit mehr als 200 000 Bedürftige zu den Verteilungsstellen. "Mit steigender Tendenz", teilte die Staatsregierung am Donnerstag im Sozialausschuss des Landtags mit. In den 169 Tafeln in Bayern, so heißt es im Bericht der Staatsregierung, werde "mit großem ehrenamtlichen Engagement" gearbeitet, um die Not der Bedürftigen zu lindern. Längst aber erhoffen sich die Helfer mehr als ein bloßes "Vergelt's Gott" seitens der Politik. "Wir machen hier die Arbeit des Staates mit, die soziale Situation ist in die Schieflage gekommen", sagt Reiner Haupka, der Vorsitzende des Landesverbandes der Tafeln in Bayern.

Vergangenes Jahr bereits hatte Haupka die Initiative ergriffen, um mit Landespolitikern ins Gespräch zu kommen. Sein Tenor: Damit die Tafeln den wachsenden Aufgaben weiterhin gerecht werden können, sollte sich der Staat stärker engagieren, auch wenn rein rechtlich die Kommunen für die Tafeln zuständig sind. "Machen wir uns nichts vor", sagt Haupka, "wir sind zwar ehrenamtliche Helfer, aber ohne Geld geht nichts." Das habe er auch so in der Staatskanzlei vorgetragen, und er sei damit - so glaubt er zumindest - bei Ministerpräsident Markus Söder nicht auf verschlossene Ohren gestoßen.

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Beistand kommt von der Opposition. Doris Rauscher (SPD), die Vorsitzende des Sozialausschusses, fordert: "Der Staat steht in der Pflicht, die Tafeln besser finanziell auszustatten - aber auch und vor allem die Ursachen von Armut und Bedürftigkeit zu bekämpfen." Auch Kerstin Celina von den Grünen betont: "Wir unterstützen die Forderungen der Tafeln." Vor allem aber müsse sozial Benachteiligten geholfen werden, dass sie die Tafeln gar nicht erst brauchen.

Dass indessen nach dem runden Tisch im Mai vergangenen Jahres - einberufen von der damaligen Landtagspräsidentin Barbara Stamm - erst einmal nicht viel passierte, dafür macht Haupka die zurückliegende Landtagswahl verantwortlich: "Da hatten die Politiker hauptsächlich mit sich selbst zu tun." Nun aber kommt offenbar Bewegung in die Sache, wie aus dem im Landtag vorgetragenen Bericht hervorgeht. "Die Notwendigkeit von Schulungsmaßnahmen für Tafel-Ehrenamtliche wurde überzeugend begründet", heißt es da etwa. Sowohl seitens der bayerischen Ehrenamtsbeauftragten als auch seitens des Sozialministeriums sei zugesagt worden, "sich für den anstehenden Doppelhaushalt 2019/2020 um Haushaltsmittel zur Förderung der Tafeln zu bemühen".

Doch vor allem würden sich die Tafel-Aktivisten freuen, wenn sie der Freistaat beim Aufbau zentraler Logistikzentren unterstützen würde. Ohne solche Zentren, geplant sind diese derzeit laut Haupka in sechs Regierungsbezirken, könnten viele Lebensmittel-Großspenden gar nicht angenommen werden. "Wir kriegen immer wieder Anrufe, wo es heißt: Ich habe hier ein, zwei Lastzüge voller Lebensmittel oder Dinge des täglichen Bedarfs. Das sind immerhin 66 bis 130 vollgeladene Paletten, und diese Mengen kann keine Tafel einlagern", sagt Haupka.

"Das Geld reicht hinten und vorne nicht"

Schon jetzt werden an Bayerns Tafeln bis zu 45 000 Tonnen Lebensmittel jährlich verteilt - von rund 7000 ehrenamtlichen Kräften. Zumeist, so betont Haupka, seien das Frauen. Aber durchaus auch ältere Männer in Rente sind in der Tafel-Arbeit aktiv. Einer von ihnen ist Manfred Sellerer, der in der Nürnberger Innenstadt sicherstellt, dass dort an der Tafel die Lebensmittelausgabe funktioniert. Sellerer ist 72 Jahre alt, war früher Führungskraft bei Siemens und will nun der Gesellschaft "etwas zurückgeben", wie er sagt. Auch er kann bestätigen, was nun offiziell im Bericht der Staatsregierung steht: Der Bedarf wächst stetig.

Zu seinen regelmäßigen Kundinnen gehört Hedwig Thomalla ( Name geändert), 51 Jahre alt und Erwerbsminderungsrentnerin, der nach Abzug von Miete, Telefonkosten und anderen Fixausgaben gerade mal 250 Euro pro Monat zum Leben bleiben. "Ich habe psychische Probleme, Depressionen", sagt sie. Hinzu kämen die finanziellen Sorgen: "Das Geld reicht hinten und vorne nicht." Gut, dass es die Tafel gebe, so bleibe ihr wenigstens etwas Geld, um sich selbst Kleidung und Schuhe kaufen zu können.

Derzeit 5500 Kunden habe die Nürnberger Tafel, erklärt Leiterin Edeltraud Rager. Auch sie sagt: "Tendenz steigend." Meist seien die Kunden Menschen, die von geringer Rente, von Grundsicherung oder von Hartz-IV-Leistungen leben müssten. Um diesen mit Lebensmitteln beizustehen, brauche es engagierte Helfer. Und von denen, so betont es Haupka aus gesamtbayerischer Sicht, seien viele "um die 70 Jahre alt - jüngerer Nachwuchs dringend erwünscht".

Caritas-Abteilungsleiter Reinhold Url, verantwortlich für die Passauer Tafel, sagt: "Das ist knallharte Arbeit, längst kein Amateurbetrieb mehr." Klar, dass Haupka da auch anspricht, wie es denn mit gewissen Vergünstigungen für Ehrenamtliche aussieht: vielleicht sogar steuerlich? Das lehnt die Staatsregierung indes ab, verweist auf die Ehrenamtskarte, die gewisse Vergünstigungen ermöglicht - etwa in Bädern oder Einrichtungen wie Museen.

© SZ vom 08.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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