Lebensmittel:Das Angebot der Tafeln schrumpft

Münchner Tafel

Die Tafeln - hier in München - retten Essen vor der Mülltonne und verteilen es an Bedürftige.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Bei mehreren Tafeln im Landkreis Ebersberg ist das Angebot an Obst, Gemüse und Molkereiprodukten knapp.
  • Ein Grund: Die Supermärkte kalkulieren inzwischen besser - von ihnen beziehen die Tafeln die Lebensmittel, um sie dann an Bedürftige zu verteilen.
  • Zudem hat sich die Anzahl der Menschen mit Tafelausweis mehr als verdoppelt.

Von Anna Horst

Ganze 18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden laut einer Studie des WWF aus dem Jahr 2015 jährlich in Deutschland weggeschmissen. Das entspricht 225 Kilogramm Essen pro Person und Jahr - heruntergerechnet für den Landkreis Ebersberg mit seinen rund 140 000 Einwohnern wären das also rund 31 500 Tonnen im Jahr, etwas mehr als 86 Tonnen Nahrungsmittel pro Tag. Zwar ist dies nur ein theoretischer Wert, da auch bei Produktion und Transport schon einige Verluste zu verzeichnen sind, dennoch fällt laut Experten ein Großteil der Lebensmittelverschwendung im heimischen Haushalt und im Einzelhandel an. Werden die Produkte im Supermarkt nicht rechtzeitig verkauft, oder gehen sie kaputt, zum Beispiel aufgrund von falscher Lagerung, werden sie aussortiert. Doch was passiert dann damit?

"Die Produkte werden gesammelt und dann von den Bauern abgeholt und als Tierfutter verwendet", sagt ein Mitarbeiter des Rewe Gruber. Auch die Reste der Bäckerei Freundl in Ebersberg würden an Kleinviehhalter und Landwirte weitergegeben, sagt Geschäftsführer Martin Freundl. Manches könne allerdings nur noch in der Mülltonne entsorgt werden, zum Beispiel verdorbene oder verschmutzte Ware. Weil die Bäckerei sich aber in erster Linie aufs Beliefern von Händlern und Küchen konzentriere, sei meist nur unter vier Prozent überschüssig. Ähnlich verhält es sich beim inhabergeführten Supermarkt Edeka Peschel: "Wir geben Genießbares, wie Brot, an die Tafeln weiter. Aber Bio-Abfälle wie Gemüse oder Fleisch müssen leider oft weggeschmissen werden", sagt ein Angestellter. Der Supermarkt sortiere Waren, die bald ablaufen, schon frühzeitig aus und biete sie dann zu einem geringeren Preis an, so der Inhaber Friedrich Peschel.

Und wenn sie trotzdem nicht gekauft werden, freuen sich die Tafeln über jede Spende, die sie den Supermärkten kostenlos abnehmen können. "Eine Hand wäscht die andere", erklärt Hans Rombeck von der Grafinger Tafel. Schließlich sparen die Läden Entsorgungskosten, einen Service, den alle Grafinger Supermärkte gerne nutzen und mit der Lebensmittelausgabe kooperieren. Dennoch sei das Angebot an Obst, Gemüse und Molkereiprodukten bei der Tafel knapp. "Das liegt daran, dass die Supermärkte inzwischen besser kalkulieren", so Rombeck. Für die 40 bis 50 Grafinger Haushalte, die über Tafelausweise verfügten, bleibe immer weniger übrig.

Das selbe Problem haben die Vaterstettener Kollegen. Einerseits sei es natürlich eine positive Entwicklung, dass weniger Lebensmittel in den Supermärkten nicht verkauft würden, heißt es bei der Nachbarschaftshilfe, dem Träger der Vaterstettener Tafel. Doch das Angebot der Tafel schrumpfe dadurch eben, eigentlich gebe es nie genug Waren. Vor allem, weil die Anzahl der Menschen mit Tafelausweis sich von Ende 2015 auf momentan beinahe 240 Bedürftige mehr als verdoppelt habe. Zwar komme immer nur ein Bruchteil der Berechtigten zur Ausgabe, doch auch dadurch seien die Freiwilligen voll ausgelastet. Helfen können auch private Haushalte; sowohl Geld- als auch Sachspenden sind willkommen. Welche Produkte aktuell gebraucht werden, können Spendewillige sozusagen live auf einer "Wunschliste" auf der Webseite der Vaterstettener Nachbarschaftshilfe nachsehen.

Insgesamt gibt es im Landkreis ganze zehn Tafel-Ausgabestellen. Eine einmalige Situation, wie Waltraud Stückle-Mayrhofer von der Diakonie Rosenheim, Trägerin der Ebersberger Tafel, erklärt: "Der Tafelverband erlaubt eigentlich nicht so viele Ausgabestellen so nah beieinander." Für Menschen mit kleinem Geldbeutel sei es aber so gut wie unmöglich, jede Woche etwa von Kirchseeon zur Tafel in Ebersberg zu kommen. Daher habe man sich mit dem Tafelverband auf mehrere Ausgaben geeinigt, die Spenden ausschließlich im eigenen Gemeindegebiet einsammeln.

Eine Ausnahme stellt die Aßlinger Tafel dar: durch Spenden wurde ein Kühlauto möglich, mit dem die Helfer bis Wasserburg, Brunnthal und Rosenheim fahren, größere Warenmengen einsammeln und anschließend an die anderen Tafeln des Landkreises verteilen. "Lebensmittelspenden bekommen wir im Prinzip genug", sagt Rose Frimberger, Schriftführerin der Aßlinger Tafel. Was man aber dringend brauche, seien freiwillige Fahrer und Helfer beim Sortieren und bei der Lebensmittelausgabe. Auch Landrat Robert Niedergesäß rief inzwischen in seiner Funktion als Schirmherr der Aßlinger Tafel dazu auf, sich unbedingt zu melden.

Welche Aktionen sinnvoll sind - und welche nicht

Um möglichst viele Menschen mit ihrem Spendenaufruf zu erreichen, veranstalten die Tafeln immer wieder große Aktionen. Regelmäßig finden vor Weihnachten und vor Ostern Sammlungen vor Supermärkten statt, genannt "Aktion Eichhörnchen" und "Osternest". Jeder Kunde kann dabei eigens für die Tafel etwas kaufen. "Der Vorteil ist hier, dass wir den Leuten genau sagen können, was wir brauchen", erklärt Stückle-Mayrhofer. Bei der von Rewe und dem Tafelverband organisierten Aktion "Gemeinsam Teller füllen", dem dritten großen Spendenaufruf im Jahr sei das anders: Rewe-Kunden können für fünf Euro bereits gepackte Tüten kaufen und an einer Sammelstation der Tafel im Supermarkt abgeben. Der Inhalt ist allerdings immer derselbe, sodass die Tafeln zwar dankbar sind für die vielen Spenden, aber hinterher oft das gleiche Produkt im Regal stehen haben. "Eine große Palette an verschiedenen Produkten wäre sinnvoller, so Stückle-Mayrhofer. "Wir brauchen eben keine 300 Gläser mit Erdbeermarmelade."

Dann kann es schon mal vorkamen, dass die überschüssige Menge wiederum an andere Lebensmittelausgaben weitergegeben werden oder sogar weggeworfen werden muss - mit dem Prinzip der Tafeln ist das eigentlich nicht zu vereinen. Stückle-Mayrhofer zufolge könne man deshalb auch nicht von "genug" oder "zu wenig" Lebensmittelspenden sprechen. "Was da ist, ist da, und was nicht da ist, ist offenbar nicht übrig geblieben und für die Tafel deshalb gar nicht relevant", erklärt sie. Allerdings stünde auch der Ebersberger Tafel in jüngster Zeit weniger Obst und Gemüse zur Verfügung. Zwar sei die Spendenbereitschaft in Ebersberg "wirklich wunderbar", auch hier überließen alle Lebensmittelhändler ihre Reste der Tafel. "Aber die Supermärkte haben im Vergleich zu früher schon weniger übrig." Lebensmittel hinzuzukaufen kommt für sie trotzdem nicht in Frage. "Das ist ja nicht der Tafel-Gedanke".

Ungefähr 35 bis 40 Kunden kommen jede Woche zur Ebersberger Tafel. Darunter seien immer mehr ältere Menschen, die von Grundsicherung oder nur geringer Rente lebten. "Die Tafeln sind gewissermaßen ein Spiegel der Gesellschaft", so Stückle-Mayrhofer. Zu sehen sei das auch an der Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern, die momentan immer weniger würden. "Die meisten sind mittlerweile weggezogen oder zurückgegangen." Seit Jahren hätte sich die Anzahl derjenigen, die tatsächlich jede Woche Lebensmittel abholen, nicht in relevantem Umfang verändert. Jetzt, wo manche Produkte nur noch selten angeboten werden können, müsse man das Vorhandene einfach aufteilen, so Stückle-Mayerhofer.

Die Ausgabe von Lebensmitteln sei außerdem nur einer von mehreren Faktoren bei der Tafelarbeit: "Wir bieten unseren Kunden vor allem auch Gesellschaft, die Gelegenheit sich auszutauschen und das Gefühl, jemanden zu haben, der sie wertschätzt und auf den sie bei Problemen zukommen können", sagt Stückle-Mayrhofer. Besonders viel Herzblut steckt sie deshalb immer in die Organisation von Veranstaltungen wie dem Nikolaus, gemeinsamem Frühstück oder eine kleines Oktoberfest mit Brezn und Hendl: "So eine Gaudi ist mehr wert, als wenn wir fünf Lebensmittel mehr verteilen."

Zur SZ-Startseite
Tafel Essen Flüchtlinge

Tafeln
:Ein Glück für Bedürftige, eine Schande für den Sozialstaat

Der Sozialstaat sieht zu, wie sich die Armen und Bedürftigen an den Tafeln drängen; und die Tafeln müssen dann die Konkurrenz der Bedürftigen ausbaden. Das ist eine Katastrophe.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: