Staatsanwaltschaft:"Eine deutlichere Notwehr-Situation kann man sich gar nicht vorstellen"

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Entführung, Banküberfall, Amoklauf. Die eigens ausgebildeten Beamten vom SEK kommen immer dann, wenn es richtig ernst wird. (Foto: Marc Müller/dpa)
  • Nach dem Attentat eines 17-jährigen Flüchtlings in einem Zug bei Würzburg wird zwar ermittelt - aber nicht gegen die SEK-Beamten, die ihn erschossen haben.
  • Der Leitende Oberstaatsanwalt geht davon aus, dass die Polizisten in Notwehr gehandelt hätten.
  • In Bayern sollen die SEK-Kommandos personell aufgestockt werden.

Von Katja Auer, Würzburg

Es war ein schreckliches Attentat, der Axt-Angriff eines jungen Flüchtlings auf Fahrgäste in einer Regionalbahn, und doch spricht der Leitende Oberstaatsanwalt Bardo Backert von einem Glücksfall. "Das war ein großer Glücksfall", sagt er, dass nämlich ein Spezialeinsatzkommando (SEK) zufällig in der Nähe war und sich nicht normale Streifenbeamte mit dem Angreifer auseinandersetzen mussten. "Dann hätte das ganz anders ausgehen können", sagt Backert.

Die SEK-Beamten hatten den 17-Jährigen erschossen, der zuvor mit einer Axt und einem Messer vier Fahrgäste im Zug bei Heidingsfeld und eine Spaziergängerin schwer verletzt hatte. Deswegen ermittelt die Staatsanwaltschaft Würzburg, das ist normal, wenn Polizisten ihre Schusswaffen benutzen. Allerdings werde nicht gegen die beiden SEK-Beamten ermittelt, das betont Backert, es gebe keinen Hinweis, dass sie sich nicht korrekt verhalten hätten. Sie wurden lediglich als Zeugen vernommen und sind auch weiterhin im Dienst. "Eine deutlichere Notwehr-Situation kann man sich nach meiner Ansicht gar nicht vorstellen", sagt er.

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Um 21.15 Uhr war der Notruf in der Einsatzzentrale eingegangen, dass ein Mann im Zug von Treuchtlingen nach Würzburg Menschen attackiere. Um 21.55 Uhr war die Gefahr gebannt. Das Spezialeinsatzkommando war in Würzburg unterwegs, in verdeckter Mission, deswegen waren die Spezialisten, die bei Geiselnahmen, Razzien oder sogenannten Amoklagen eingesetzt werden, so schnell am Tatort in Heidingsfeld.

Der junge Afghane hatte da schon den Zug verlassen und flüchtete Richtung Main. Dort versteckte er sich im Dickicht. "Ich habe die Bilder gesehen", sagt Backert, die Polizisten hätten den Angreifer nicht mehr sehen können. Sie teilten sich auf und suchten in Zweiergruppen nach dem Jugendlichen. Mehrmals sollen sie "Stopp! Polizei!" gerufen haben, der Afghane wusste also, dass er verfolgt wurde. Auf einer kleinen Landzunge im Main, so nennt es Backert, spürten zwei SEK-Leute den Angreifer schließlich auf.

Sie hätten ihn nicht gesehen, bis er plötzlich aus dem Gebüsch mit erhobener Axt auf sie zulief. Drei Armlängen nur soll er noch entfernt gewesen sein, so hätten es die Beamten geschildert. Fünf Schüsse fielen, vier davon trafen den jungen Mann. Einer in den Kopf. "Kein Polizeibeamter, der nicht eigens für solche schwierigen Situationen geschult ist, hätte so reagieren können", sagt Backert. Die Polizisten hätten nicht ausweichen können und keine Alternative gehabt, als auf den 17-Jährigen zu schießen.

Ein Schuss alleine stoppe einen Angreifer in einer solchen Situation nicht sofort, deswegen hätten beide Beamte geschossen. Man werde sich Zeit lassen, sagt Backert, und jedes Detail überprüfen. Für die Ermittlungen zum Einsatz ist die Würzburger Behörde zuständig, die Attacke des Flüchtlings untersucht die Bundesanwaltschaft.

Forderung nach mehr SEK-Standorten

Nach dem Angriff tauchte die Frage auf, was passiert wäre, hätte das SEK nicht zufällig einen Einsatz in der Nähe gehabt. Dann hätten die Beamten erst in Nürnberg angefordert werden müssen, denn nur dort und in München haben die Sonderkräfte einen Standort. Der Ochsenfurter SPD-Abgeordnete Volkmar Halbleib stellte deswegen nun eine Anfrage an die Staatsregierung, ob als Konsequenz aus dem Angriff weitere SEK-Standorte geplant seien. "In einem Flächenstaat wie Bayern kann man schon überlegen, ob man stärker regionalisiert", sagt Halbleib. Denkbar sei etwa, in jedem Regierungsbezirk ein Spezialeinsatzkommando zu stationieren. Schließlich könnten die Wege weit sein im Freistaat. Auch will er wissen, ob nun mehr Beamte eingesetzt werden.

Tatsächlich würden die Kommandos personell aufgestockt, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Das wurde schon im vergangenen Jahr beschlossen, als sich die Anschläge in Europa häuften. Wie viele Mitglieder das SEK hat und wie viele neue dazukommen, wird allerdings aus sogenannten einsatztaktischen Gründen nicht bekannt gegeben. 300-mal seien die Spezialeinsatzkommandos im vergangenen Jahr ausgerückt, sagt der Ministeriumssprecher, zum einen zu geplanten Aktionen wie Festnahmen, aber auch zu spontanen Einsätzen wie einem Banküberfall.

Dabei seien die Beamten immer schnell an ihren Einsatzorten gewesen, auch von Nürnberg und München aus. "Es gab bislang keinen Fall, in dem das SEK deutlich verspätet war", sagt der Sprecher. Die Polizisten rücken mit schnellen Einsatzwagen aus und, wenn es nötig ist, auch in Polizeihubschraubern. Die Spezialisten sind rund um die Uhr einsatzbereit, innerhalb weniger Minuten könnten sie losfahren.

Das war nicht immer so. Die ersten Spezialeinsatzkommandos wurden in Bayern 1973 gegründet. Zuvor, im Jahr 1972, waren beim Olympia-Attentat neun israelische Athleten, ein Polizist und die palästinensischen Angreifer gestorben, eine Befreiungsaktion der Polizei war gescheitert. Noch ein Jahr früher, 1971, hatte sich in München die erste Geiselnahme in Deutschland ereignet, auch da missglückte ein Befreiungsversuch, ein Angreifer und eine Geisel starben. Damals gab es noch keine Spezialisten. Die Scharfschützen der Polizei sollen kurz vorher noch in einer Kiesgrube geübt haben.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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