SPD:Die alte Chefin ist die neue

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Glückwunsch, Chefin: Generalsekretär Uli Grötsch gratuliert Natascha Kohnen zur Wiederwahl in Bad Windsheim. Grötsch selbst wurde mit ordentlichen 84 Prozent ebenfalls im Amt bestätigt. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Trotz massiver Kritik nach dem historisch schlechten Ergebnis bei der Landtagswahl bestätigt der SPD-Parteitag Natascha Kohnen mit fast 80 Prozent im Amt. Nun will sie ihre Partei bei wichtigen Themen deutlicher positionieren - und es dafür nicht mehr allen recht machen

Von Lisa Schnell, Bad Windsheim

Natascha Kohnen sitzt beim Parteitag der SPD in der ersten Reihe auf einem blauen Stuhl. Wie sehr sie an diesem klebt und ob sie ihn nicht besser freimachen sollte, darüber gab es in der SPD durchaus unterschiedliche Auffassungen. Gut eine Stunde löst sich Kohnen kaum von der blauen Lehne. Ihre Kritiker würden ihr das vielleicht als Klebetendenz auslegen, auf der anderen Seite: Die Stühle auf dem Parteitag der SPD in Bad Windsheim sind recht bequem. Dann aber geschieht es doch: Natascha Kohnen erhebt sich. Der Stuhl der Landesvorsitzenden ist tatsächlich leer. Kurz darauf setzt sich die neue Chefin. Sie heißt: Natascha Kohnen.

Mit 79,3 Prozent wählen die mehr als 300 Delegierten Natascha Kohnen wieder zu ihrer Vorsitzenden. Sie erreicht neun Prozentpunkte weniger als 2017, aber weit mehr als es viele erwartet hatten. Schließlich ist es erst drei Monate her, als die SPD mit Kohnen als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl nur noch 9,7 Prozent erreichte, Fünfter wurde hinter der AfD, mit nur noch halb so vielen Sitzen im Landtag. Ein Brandbrief folgte, in dem recht unverhohlen Kohnens Rücktritt verlangt wurde. Nur einen Tag vor dem Parteitag wiederholte der Bundestagsabgeordnete Florian Post die Forderung in mehreren Zeitungen. Und jetzt also fast 80 Prozent.

Selbst Kohnen wirkt überrascht, als sie sich in Gratulationsumarmungen begibt. Eine erste Reaktion? "Wow!" und dann die Begründung für den Erleichterungsausbruch: "Ich brauche ein Ergebnis, das mich arbeitsfähig macht."

Das haben ihr die Genossen gegeben. Auch Generalsekretär Uli Grötsch ist mit 84 Prozent nicht demontiert. Nur Volkmar Halbleib, immerhin parlamentarischer Geschäftsführer im Landtag, wundert sich wohl, warum er nicht mehr im Vorstand sitzt. Im Großen und Ganzen aber hält es die SPD ähnlich wie die CSU, die gerade ihren erfolglosen Spitzenkandidaten Markus Söder zum Parteichef machte. Auch die SPD straft ihre Wahlverliererin nicht ab, sondern stärkt sie. Bei der CSU wird dieses Phänomen, in der Krise zusammenzustehen, die "legendäre Geschlossenheit" genannt. Bei der SPD spricht ein Mitglied von der "politischen Vernunft" und lässt schon ahnen, dass unter denen, die für Kohnen stimmten, nicht jeder sofort einen Fanklub für sie gründen würde.

Einigen wäre das natürlich zuzutrauen. Vor allem an der Basis sei Kohnen weiterhin sehr beliebt, heißt es. "Natascha, du hast mich stolz auf die Bayern-SPD gemacht", lässt etwa Markus Gill aus Freising vom Rednerpult aus wissen. Er gehört zu denen, die das schlechte Wahlergebnis fast ausschließlich auf die Bundes-SPD zurückführen. Kohnens Lage sei doch von vornherein "aussichtslos" gewesen, argumentiert Carsten Träger, Bezirkschef von Mittelfranken. Für all diejenigen, "die es besser wissen", hat er die Frage parat: "Warum tritt denn dann keiner an?"

Er hätte dabei auch direkt zu Florian Post blicken können. Wenn Kohnen den Weg freigemacht hätte, wären schon Gegenkandidaten gekommen. So sieht Post das. Hat sie nicht. Was also bleibe ihren Kritikern übrig, als der "politischen Vernunft" zu folgen, wenn sie die Partei nicht noch mehr spalten möchten? Fast 80 Prozent seien außerdem doch nicht gut dafür, dass es keinen Gegenkandidaten gab. Das zeige "eine deutliche Unzufriedenheit", sagt Post. Die nächste Messlatte für Kohnen sei nun die Europawahl. Da erwarte er ein zweistelliges Ergebnis.

Einen Leitantrag, in dem der Landesvorstand seine Ideen für die Zukunft zur Abstimmung stellt, legt Kohnen nicht vor. Nur ihre Rede dient den Genossen als Hinweis, was mit der neuen alten Vorsitzenden anders werden soll. Ihre Kampagne im Wahlkampf wurde in einer nicht-repräsentativen internen Befragung nur als "ausreichend" bewertet (Schulnote 3,6). Kohnen verteidigt ihren Wahlkampf. Das Vertrauen in die SPD hätten die Menschen schon vor Jahren verloren. Um es zurückzuholen, will Kohnen kein "Sowohl-als-auch" mehr. Bisher lähmte die SPD bei wichtigen Themen oft der Umstand, dass die Hälfte dafür und die Hälfte dagegen war. "Wir müssen lernen, dass wir es nicht allen recht machen können", sagt sie. Die SPD müsse ihre "ureigenen Werte" wie Solidarität und Gerechtigkeit wieder mit Leben füllen.

Dass sie derzeit für viele nur leere Worthülsen sind, zeigte der jüngste Bayerntrend des BR. Sogar bei der sozialen Gerechtigkeit vertrauen die Bürger der CSU mehr als der SPD. Mit dem Kampf für einen "starken Sozialstaat", mit dem Kohnen die SPD weiter nach links rückt, will sie die Glaubwürdigkeit wiedergewinnen. Sie schimpft auf "die reichsten Menschen", die "sich auf obszöne Art bereichern", fordert Erbschaften und große Vermögen angemessen zu besteuern und will, dass SPD-Finanzminister Olaf Scholz Vorreiter wird im Kampf gegen den "ungezügelten Neoliberalismus". Unter großem Applaus verspricht sie den Delegierten, "den Berlinern auch noch beizubringen" wie das geht, eine "klare Haltung" haben. Die hat Kohnen nun gegenüber den Grünen entwickelt, die drauf und dran sind die letzten Hochburgen der SPD in den Großstädten zu kapern. Kohnen will die Umweltpolitik wieder mehr betonen, aber nicht "so wie es die Grünen machen", die soziale Gerechtigkeit "null Komma null" jucke. Lob hat Kohnen für Umweltpolitiker Florian von Brunn, einen ihrer Kritiker. Vielleicht ein kleiner Versöhnungsversuch? Viele in der Partei hoffen, dass der interne Machtkampf nun ausgestanden ist. Dafür aber müsse Kohnen ihre Kritiker einbinden, sagt ein führendes SPD-Mitglied. Post klingt wenig zuversichtlich: "Ich lasse mich da mal überraschen. Bisher bekommt man ja nicht mal Antworten auf Mails oder SMS."

"Zerstreitet euch nicht", mahnt ganz zu Beginn Partei-Urgestein Hans-Jochen Vogel, 92, in einem Videogruß und versucht ein wenig Trost zu spenden: "Ich habe auch mal Wahlen verloren in Bayern", sagt er, und dann: "Aber mit 30 Prozent."

© SZ vom 28.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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