Schulpolitik:Kritik am Korridor

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Eltern sollen nach dem Wunsch der Staatsregierung mitentscheiden, wann ihre Kinder eingeschult werden. Lehrerverbände und Oppositionsvertreter reagieren darauf ablehnend

Von Anna Günther und Jacqueline Lang, München

Eltern von Kindern, die zwischen dem 1. Juli und dem 30. September sechs Jahre alt werden, sollen vom kommenden Schuljahr an darüber entscheiden können, ob sie ihr Kind einschulen oder noch um ein Jahr zurückstellen. Bisher war dies nur in Härtefällen möglich. Kinder entwickeln sich unterschiedlich schnell - dieser Tatsache solle die Gesetzesänderung nun Rechnung tragen, sagte Schulminister Michael Piazolo (FW) vor Journalisten in München. "Mit dem Eintritt in die Grundschule beginnt für die Kinder ein neuer Lebensabschnitt. Dabei ist es mir ein besonderes Anliegen, den individuellen Entwicklungsstand jedes einzelnen Kindes bestmöglich zu berücksichtigen."

Das Thema ist nicht neu. Bereits 2016 hatte die SPD eine Anfrage dazu gestellt, im Juni 2018 machte sich dann schließlich Piazolo, noch in der Opposition, das Thema Einschulungskorridor zu eigen. Über dessen Änderung müsse zwar in letzter Instanz noch der Landtag abstimmen, eine Mehrheit gebe es jedoch bereits, sagte Piazolo. Der Einschulungskorridor sei bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

Dass der Korridor nun wirklich kommen soll, stimmt die Münchnerin Dominique Franzen und ihre Mitstreiterin Miriam Kieselbach aus Unterfranken "unendlich glücklich". "Das hat uns gezeigt, das wir als Bürger doch etwas bewegen können ", sagt Kieselbach, 35. Sie sammelte in Nordbayern Unterschriften und warb für die Petition. Ihr Sohn ist erst zwei Jahre alt, aber schon bei der Anmeldung im Kindergarten sei ihr klargemacht worden, dass sein Geburtsdatum Ende September spätestens bei der Einschulung zum Problem werden könnte. Laut Stichtagsregelung käme er mit fünf Jahren in die erste Klasse, Mitschüler könnten da schon sieben sein. Kieselbach hat das Thema nicht mehr losgelassen, sie zitiert im Gespräch aus Studien und Unterhaltungen mit Lehrern. Sie fürchtet Mobbing durch größere, ältere Kinder, Überforderung und Frustration. Aber es gehe ihr nicht nur um ihren Sohn, beteuert Kieselbach, sie kenne viele Geschichten von Betroffenen. Die Petition von Franzen haben bereits mehr als 20 000 Personen unterzeichnet.

Die Ansicht von Piazolo und Franzen teilen jedoch längst nicht alle. Vor allem die Umsetzung noch im Schuljahr 2019/2020 finden viele überhastet. "Die Herangehensweise an den flexiblen Einschulungskorridor ist eine Hauruckaktion des Bildungsministers, die mit seriösem Vorgehen nichts zutun hat", sagt Anna Toman. Um ein bestehendes Gesetz zu ändern, müsse man sich die nötigte Zeit nehmen und alle Beteiligten mit einbeziehen, sagt die schulpolitische Sprecherin der Grünen. Wenn man Eltern bei der Entscheidungsfindung wirklich helfen wolle, reiche Flexibilität alleine nicht, es müsse auch eine individuellere Förderung angeboten werden, sagt Simone Strohmayr, die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. "Das leistet für mich am besten die flexible Grundschule. Dieses Modell hat sich bewährt und bringt mehr als die Einführung des Einschulungskorridors allein."

Ähnlich übereilt findet auch der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) das Vorgehen des Kultusministers. Grundsätzlich werde zwar jede Form der "Flexibilisierung beim Einschulungsalter" begrüßt, und aus pädagogischer Sicht sei das genau der richtige Weg. "Allerdings lässt die Art und Weise, mit welcher Hektik der Einschulungskorridor nun eingeführt werden soll, zu wünschen übrig", sagt Simone Fleischmann, die Präsidentin des Verbands. Das Ansehen der Schulen und Lehrer stehe auf dem Spiel; Eltern, Grundschulen und Kitas gerieten unter unnötigen Druck. "Wir wollen Profis in der Beratung bei der Einschulung sein. Dies wird durch die Vorgehensweise des Kultusministeriums konterkariert", sagt Fleischmann.

Piazolo kann die Kritik an dem Vorhaben nicht nachvollziehen. Man habe alle Beteiligten frühzeitig informiert und bis zum neuen Schuljahr sei noch ausreichend Zeit. Erst im Mai müssten sich die Eltern von etwa 30 000 sogenannten Kannkindern entschieden haben. Bis zum Schulbeginn im September blieben den Kitas und Grundschulen im Anschluss noch mehr als drei Monate, um sich auf die Zahl der Kinder einzustellen. Es gehe bei der Gesetzesänderung außerdem keinesfalls darum, die Beratung durch die Lehrer in Frage zu stellen, sondern vielmehr darum, die bestmögliche Entscheidung für jedes Kind zu treffen und den Verwaltungsaufwand durch Härtefallanträge in Zukunft zu minimieren.

Der Einschulungskorridor ist nur einer von vielen Punkten auf Piazolos Agenda. 42 Milliarden Euro sind im aktuellen Haushaltsplan für Bildung vorgesehen. Insgesamt 13 Milliarden Euro davon stehen alleine dem Bayerischen Kultusministerium zur Verfügung. Vor allem in Digitalisierung wolle man verstärkt investieren, bis 2025 sollen außerdem die Ganztagsangebote weiter ausgebaut werden.

© SZ vom 02.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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