Wann immer die Opposition in Bayern etwas im Bildungssystem anprangert oder Vorschläge macht, lehnen sich die Abgeordneten der CSU-Fraktion und ihr Schulminister zurück und schmettern die Ideen ab. Bayern stehe doch so gut da, besonders im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Den willkommenen Beweis liefern Studien wie Pisa, für die regelmäßig in Stichproben die Leistungen von Schülern getestet und verglichen werden. Jüngstes Beispiel ist der IQB-Bildungstrend 2016. Bayerns Grundschüler schnitten in dieser Studie des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) sehr gut ab, entsprechend zitieren die CSU-Abgeordneten im Landtag das Ergebnis derzeit rauf und runter. Gute Zahlen als politisches Totschlagargument?
Dabei stellt sich die Frage, was diese Testergebnisse überhaupt aussagen? Bestätigen sie die Bildungspolitik der CSU und das bayerische Schulsystem, wie es zumindest die Fraktion aus den Tests herausliest? Oder hat Schulminister Ludwig Spaenle schlicht Glück, nicht im armen Bremen verantwortlich zu sein? Der Stadtstaat ist Schlusslicht im Ranking. Dass Bremer Kinder einfach dümmer sind als bayerische, darf stark bezweifelt werden.
Für die Vergleichsstudie testeten die Forscher der Humboldt Universität Berlin 2016 im Auftrag der Kultusministerkonferenz zwei Tage lang 29 259 Grundschüler aus 16 Bundesländern, davon 1773 in Bayern. Zum zweiten Mal nach 2011 wurden die Viertklässler in Deutsch und Mathematik abgefragt. Sie mussten Lesen, Zuhören sowie Rechtschreiben, und in Mathematik demonstrieren, wie sie mit Zahlen, Formen, Mustern und Strukturen umgehen. Mädchen und Buben werden an den 2003 von den 16 Kultusministern festgelegten Qualitätsstandards gemessen. Bayern ist wieder einmal Spitze: Im Freistaat erreichen mehr Kinder den Regelstandard und das Optimum als anderswo, und deutlich weniger Schüler schaffen nicht einmal das Minimum.
Aber ist dieser Erfolg direkt der CSU-Politik zuzuschreiben? Hans Brügelmann findet: nein. Der Erfolg könnte genauso Lehrern, Eltern oder Didaktikern zu verdanken sein, dafür aber gebe es keine Variablen, die das beweisen. Für den emeritierten Bildungsforscher der Universität Siegen lautet die Frage eher, wofür diese Tests überhaupt stehen? Sie bilden die Leistung in Rechnen, Schreiben und Lesen ab, klar. "Aber sie erfassen auch, wie vertraut die Kinder damit sind, unter Zeitdruck Aufgaben abzuarbeiten - und bayerische Grundschüler sind damit durch die vielen Proben vertrauter als andere", sagt Brügelmann. Besonders die Viertklässler seien auch wegen der an notengekoppelten Übertrittsempfehlung daran gewöhnt, Tests zu schreiben. In den Hauptfächern gut abzuschneiden, habe eine große Bedeutung für Eltern, die gezielt mit ihren Kindern übten.
Der bayerische IQB-Erfolg liegt also am Drill? So würde der Grundschulpädagoge das nicht sagen. Brügelmann stellt sich ein andere Frage: Was sagen diese Tests überhaupt aus? Wegen des gezielten Testtrainings dürfe man nicht automatisch darauf schließen, dass die bayerischen Schüler auch grundsätzlich besser lesen, schreiben oder rechnen als Bremer, Berliner oder Westfalen. Wichtiger Faktor für Erfolg und Leistung ist auch das Milieu, in dem Kinder aufwachsen.
Mädchen und Buben aus bildungsfernen, sozial schwachen Milieus haben es nach wie vor schwerer in der Schule als Bildungsbürgerkinder. Sozial schwache Milieus gibt es zwar auch im reichen Bayern. Im ärmeren Bremen sind es im Verhältnis aber deutlich mehr. Das zeige der Anteil der Grundschüler, die bei Lesen, Schreiben, Zuhören und Rechnen den Mindeststandard der KMK nicht erreichen. Wenn zwei Drittel einer Klasse aus schwierigen Verhältnissen kommen und Lehrer sich um Soziales kümmern müssen, bleibe Unterricht auch mal auf der Strecke, sagt Brügelmann.
Hat die CSU also einfach Glück, das wirtschaftlich erfolgreiche Bayern zu regieren? Für Heinz-Peter Meidinger, den Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, ist auch die in vielen Teilen des Freistaats noch traditionell geprägte Gesellschaft ein Indiz. Leistung sei vielen Eltern wichtig, sagt der Direktor eines Deggendorfer Gymnasiums. Und Stabilität in der Familie wirke sich positiv auf die Kinder aus. Laut statistischem Bundesamt werden tatsächlich in Bayern deutlich seltener Ehen geschieden als in den Spitzenländern Bremen oder Berlin.
Die Ergebnisse lassen sich auch anders interpretieren
Eine Erfolgsursache liegt wohl auch in der Kontinuität der Politik, die seit Jahrzehnten von der CSU bestimmt wird. Würde die Politik ständig alle neuen Ideen umsetzen, würden die Lehrer durchdrehen, sagt Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). Die Fixierung auf Ranglisten transportiere aber einen fragwürdigen Leistungsbegriff. Drill wie in den asiatischen Pisa-Sieger-Ländern könne niemand wollen. Monitoring sei dabei grundsätzlich wichtig: "Diese Studien liefern Argumente und zeigen, wo wir stehen, aber Rankings dürfen nicht nur dann herhalten, wenn die Politik keine Veränderung haben will. Das führt zu Stillstand."
Zumal schlechte Werte ignoriert, gute aber betont werden. Dementsprechend argumentiert auch die Opposition mit dem IQB-Bildungstrend 2016: Denn die bayerischen Kinder schneiden schlechter ab als noch 2011. Auch bei sozialen oder geschlechterspezifischen Unterschieden hat sich in fünf Jahren kaum etwas getan. Bildungserfolg bleibt eine Frage des sozialen Hintergrunds. Mädchen sind deutlich besser in Deutsch, die Buben in Mathematik.
"Wir wissen doch, wo es hakt, aber wie viel mehr an Tests halten die Kinder aus?", fragt Fleischmann. "Man muss die Tests nicht ständig wiederholen, sondern über Ursachen nachdenken und forschen", sagt Brügelmann. Schule ändere sich nicht so schnell. Statt neuer Tests bräuchte Bremen mehr Ressourcen, um Ursachen zu beheben. Und das erfolgsverwöhnte Bayern müsse prüfen, wieso 8,3 Prozent der Kinder in Mathe, 7,9 Prozent beim Lesen und 12,5 Prozent in Rechtschreibung die Mindeststandards nicht erreichen.