Berggasthof am Streichen:Drunten im Tal tobt der Streit

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Seit dem überraschenden Tod des Streichenwirts im vergangenen November liegt die Zukunft des Berggasthofs über dem Achental im Nebel. (Foto: Matthias Köpf)

Nach dem Tod des Wirts möchten die Erben verhindern, dass der Gasthof zu einem Nobelhotel mit Chalets verkommt - und wollen deswegen an die Gemeinde Schleching verkaufen. Der Bürgermeister aber zieht nicht mit. Über die Spaltung eines Dorfes.

Von Matthias Köpf, Schleching

Anneliese Laute ist die paar Meter vom Wirtshaus auch heute wieder heraufgestiegen. Irgendwer muss ja jeden Tag die Kirchentür aufsperren, seit der Franz tot ist. Denn Leute kommen immer, auch ohne Ausflugswetter. An diesem regnerischen Tag Ende Mai ist es zum Beispiel ein Theologieprofessor aus Paderborn, der mit vier Priesterseminaristen eine Messe feiern will. Sonst kommen noch viel mehr herauf - Ausflügler, Bergwanderer, manchmal Busladungen voller Kunstkenner. Und natürlich die Schlechinger selber, die von hier oben am Streichen so schön auf ihr Dorf hinunterschauen können. Die meisten wären hier heroben wohl auch eingekehrt, beim Franz. Aber seit der im November gestorben ist, bleibt das Wirtshaus zu, und die Kirche sperrt seine Schwester auf. Vorerst, denn Anneliese Laute geht selber langsam auf die 80 zu, und ihr anderer Bruder kann das Wirtshaus auch nicht weiterführen. Käufer gäbe es genug, sagt sie, aber am liebsten wäre ihr die Gemeinde, damit hier heroben alles bleibt wie es ist. Drunten im Tal tobt deswegen der Streit.

Denn wenn die Schlechinger über das Thema Heimat reden müssten, würden die meisten wohl auch über das Ensemble aus Kirche und Wirtshaus am Streichen sprechen, das Wahrzeichen des ganzen Achentals bis hinunter zum Chiemsee. Und nach Ansicht vieler Schlechinger droht nun auch hier genau das, was der Heimat häufig droht. Keinen "Ausverkauf der Heimat" dürfe es geben, warnen einige, die sich zu den "Streichenfreunden" zusammengefunden haben. Sie meinen damit nicht die beiden Geschwister und Erben des verstorbenen Streichenwirts Franz Strohmayer, eines weithin bekannten Trachtlers und Schuhplattlers. Ganz im Gegenteil, Anneliese Laute und ihr anderer Bruder wollen ja gerade an die Gemeinde verkaufen, damit dieser Ort jetzt und auch noch in zwei oder drei Generationen für alle zugänglich bleibt, die hier heraufkommen wollen. "Angebote haben wir genug - auch horrende", sagt Anneliese Laute. "Aber was hilft das, wenn da mal einer einen Zaun rum zieht."

Ein Zaun herum und das jetzige Wirtshaus als Nobelhotel mit Chalets davor oder gar als privates Bergrefugium irgendeines reichen Menschen, der sich so etwas eben leisten kann - das wäre aus Sicht der Streichenfreunde eben jener "Ausverkauf der Heimat", den es nicht geben dürfe. Und voran treibe diesen Ausverkauf ausgerechnet der Schlechinger Bürgermeister.

Es sei keine kommunale Pflichtaufgabe, ein Wirtshaus zu kaufen

Josef Loferer verwahrt sich energisch gegen diesen Vorwurf. Dass aber die Gemeinde das Wirtshaus kauft, womöglich mitsamt achteinhalb Hektar Bergwald, will Loferer verhindern, damit hält er nicht hinterm Berg. Wenn der Gemeinderat das so beschließe, werde er diese Entscheidung rechtlich prüfen lassen, kündigt der Bürgermeister an, der das Landratsamt Traunstein auf seiner Seite sieht. Denn die Gemeinde mit ihren nicht einmal 2000 Einwohnern könne sich so etwas nicht leisten, wo sie in der nächsten Zeit doch viel Geld in den Kindergarten, in Straßen und in Brücken stecken müsse. Im Gegensatz zu all dem sei es keine kommunale Pflichtaufgabe, ein Wirtshaus zu kaufen, sagt Loferer. Er teile unbedingt das Ziel, es zu erhalten. Aber das gehe auch über den Denkmalschutz und darüber, dass sich die Gemeinde allen Anträgen auf Nutzungsänderung verweigere. Loferer hat erklärtermaßen auch einen Favoriten, der das Wirtshaus stattdessen kaufen solle: Einen örtlichen Unternehmer, der noch zwei auswärtige Finanziers im Hintergrund habe. Sonst komme eigentlich keiner wirklich in Frage.

Loferers Kritiker überrascht das nicht, denn diese Pläne seien ja schon ruchbar geworden, noch ehe das Wirtshaus überhaupt offiziell zum Verkauf stand. Auch Details aus einer nicht öffentlichen Gemeinderatssitzung machten schnell die Runde. Hinter vorgehaltener Hand heißt es zudem, dass dieser oder jener Gemeinderat geschäftlich mit dem kaufwilligen Unternehmer verbunden sei oder gar selber den Wald erwerben wolle, was Loferer aber alles als "Unwahrheiten" zurückweist.

Schlechings Altbürgermeister Fritz Irlacher setzt sich mit einigen Mitstreitern dafür ein, dass die Gemeinde das Wirtshaus unterhalb der Streichenkirche kauft. (Foto: Matthias Köpf)

Die Mehrheit im Rat neigte zuletzt offenbar eher zum Kauf der Wirtshauses. Zu den "Streichenfreunden" zählen neben Loferers inzwischen 80-jährigem Vorgänger Fritz Irlacher auch die amtierende zweite Bürgermeisterin und zwei weitere Räte. Auch sie haben sich um finanzielle Unterstützung bemüht. Die Familienstiftung eines vermögenden Schlechingers würde wohl eine Million Euro beitragen, dafür aber gewisse Pachteinnahmen erwarten und mit im Grundbuch stehen wollen. Verlässliche und erfahrene Pächter habe man gleich mehrere an der Hand.

Altbürgermeister Fritz Irlacher ist sich zudem der ideellen Unterstützung etwa des früheren Landtagspräsidenten Alois Glück oder des ins nahe Unterwössen zugezogenen Ex-Bundespräsidenten Horst Köhler gewiss. Geht es nach Irlacher, wäre es wieder Zeit für einen gemeinsamen Einsatz der Schlechinger, so wie Anfang der Fünfzigerjahre, als sie die barockisierte Kirche wieder in den gotischen Zustand versetzten, der sie so besonders macht. Und die Zeit drängt, denn Loferer wartet mit einem gewissen Sarkasmus "sehnlichst" auf das angekündigte Finanzierungskonzept, das den Kauf ermöglichen soll, ohne die Gemeinde zu belasten. In dem Fall solle es ihm recht sein. Den Gemeinderat will Loferer Mitte Juni abstimmen lassen. Denn bis Ende Juni, so sagt es Anneliese Laute selbst, wollen sie und ihr Bruder eine Entscheidung haben.

© SZ vom 31.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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