Kratzers Wortschatz:"Der Russ, der kommt, des is ganz gwies"

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Jene positiven wie auch negativen Spuren, die Russland in den bayerischen Sprachvarietäten hinterlassen hat, führen in ein kurioses Feld der Kulturgeschichte.

Kolumne von Hans Kratzer

Nach dem Angriff auf die Ukraine wird das Ansehen Russlands auf lange Zeit zerstört sein. Auch all jene Russen und Russlanddeutschen, die diesen Krieg nicht gewollt haben, gelten nun, tragischerweise, oftmals als Geächtete. In den bayerischen Varietäten der deutschen Sprache ist der Begriff Russ schon lange bekannt, wobei er sowohl positiv als auch negativ konnotiert war. Zunächst einmal schürte "der Russ" nach dem Weltkrieg weiterhin Ängste, erst recht nach seinem Einmarsch in Prag anno 1968. Diese Not wurde vor allem im volkstümlichen Liedgut beschworen. "Der Russ, der kommt, des is ganz gwies", prophezeite die Biermösl Blosn in den 80er-Jahren. "Wenn der Russ kommt, dann ist Schluss", sang der Liedermacher Georg Ringsgwandl, und der Satiriker Gerhard Polt ließ einen gewissen Schorsch klagen: "Der Russ, wann der kommt, dann kommt er anders als wia ihr eich des vorstellts. Da machts huiiii - und dann iss aus mitm Freibier."

Tatsächlich taucht das Stichwort Russ schon vor 200 Jahren in diversen Wörterbüchern auf. Johann Andreas Schmeller verstand darunter "lästige Fliegen, die, vom Auslande gekommen, sich in einigen Örtern einheimisch gemacht haben". Frappierend ist, was der Sprachforscher Schmeller in grauer Vorzeit sonst noch dokumentiert hat. Der Russ sei "ein grober Bengel und Flegel, der gerne alles zu Grund richtet, womit er zu thun bekommt".

Für den niederbayerischen Germanisten Hans Schlappinger war ein Russ vor einem halben Jahrhundert "eine Person männlichen oder weiblichen Geschlechts, die sich durch Ausdauer, Zähigkeit und Widerstandskraft gegen Beschwerden auszeichnet." Noch heute werden in manchen bayerischen Dörfern Menschen wegen ihres Habitus gerne "Russ" gerufen. In der Zeit des Ersten Weltkriegs nannte man die noch ungeschliffenen Rekruten Russen. Mancherorts trugen auch Maikäfer den Beinamen Russ.

Bis heute erfreut sich das Gemisch aus Weißbier und Limonade respektive kohlensaurem Wasser großer Beliebtheit. Diese Russnmass (oder Russnhoibe) geht wohl zurück auf die Revolution von 1918/19. Die Revolutionäre, die ihr Hauptlager im Münchner Mathäserbräu aufgeschlagen hatten, streckten dort ihr Bier, um einigermaßen bei Sinnen zu bleiben. Diese Männer wurden Russen genannt, ob sie welche waren oder nicht, und das, was sie tranken, war fortan auch ein Russ.

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