Rettungsmedaille:"Sie alle sind Vorbilder"

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Kenan Büyükhan hat seine Schwester aus dem brennenden Auto gezogen, Andreas Imhof eine Frau vor dem Sprung in die Tiefe bewahrt: Zahlreiche Lebensretter werden für ihren Mut vom Ministerpräsidenten ausgezeichnet.

Von Dietrich Mittler, München

Natürlich sind die Onkel stolz, wenn ihre Neffen Außergewöhnliches tun. Selim Büyükhan ist besonders stolz auf seinen Neffen Kenan, der vor Kurzem erst seine zweijährige Schwester gerettet hat. "Ich bin absolut sprachlos", sagt Büyükhan, "er hat alles richtig gemacht, zum richtigen Zeitpunkt." Ende März bekam der neunjährige deutsch-türkische Bub aus Nürnberg mit, dass am Heck des geparkten Autos seiner Eltern dichter Rauch aufstieg. Kenan stieg aus, sah den brennenden Hinterreifen und holte umgehend seine Schwester aus dem Auto, das gerade in Flammen aufging. Als der in diesem Jahr jüngste Lebensretter, der sein eigenes Leben für das anderer einsetzte, wird er an diesem Mittwoch von Ministerpräsident Markus Söder mit der Bayerischen Rettungsmedaille ausgezeichnet.

Bayerns jüngste Lebensretter stehen immer im Fokus, wenn ihnen im Antiquarium der Münchner Residenz die Rettungsmedaille oder auch die Christophorus-Medaille überreicht wird. Im vergangenen Jahr war es die sechsjährige Melina Hacker aus Forchheim, die wirklich allen - also auch Markus Söder - die Show stahl, als sie in ihrem pinkfarbenen Kleid zum Ministerpräsidenten tänzelte, vor den Fotografen Grimassen zog und sodann mit einem Löwen aus Plüsch vergnügt zur Mama zurück hüpfte. Den Löwen hatte ihr gerade Söder in die Hand gedrückt. Eine kleine Anerkennung dafür, dass Melina rechtzeitig die Rettungskräfte in die Wohnung geholt hatte, als ihre diabeteskranke Mutter ins Koma zu fallen drohte.

Kenans Auftritt wird anders ausfallen, da ist sich sein Vater sicher. "Mein Sohn ist ein sehr ruhiger, schüchterner Bub", sagt Celil Büyükhan. Grimassen ziehen, so wie vergangenes Jahr Melina, das wird ihm gar nicht erst in den Sinn kommen. Aber Kenan hat große Pläne. "Er möchte Polizist werden, und zwar beim Spezialeinsatzkommando", sagt sein Vater - auch er natürlich sehr stolz. "Ich wünsche, dass sein Wunsch einmal so aufgeht, ob ich dann aber als besorgter Vater dadurch schlaflose Nächte habe, das ist wieder etwas anderes", sagt Celil Büyükhan.

Eines macht die Liste der in diesem Jahr ausgezeichneten Personen auf jeden Fall klar: Der Beruf des Polizisten ist für mutige Lebensretter wie gemacht. Gleich mehrere Beamte können in diesem Jahr die Rettungsmedaille mit nach Hause nehmen, die nur diejenigen erhalten, die unter Lebensgefahr ihre Mitmenschen vor Schlimmem bewahrt haben. So etwa haben die beiden Polizisten Monika Breitenloher und Florian Lebesmühlbacher einen Mann gerettet, der reglos in der Salzach bei Osing trieb. Dabei stiegen die Beamten selbst in das eiskalte Wasser. Todesmutig auch der Einsatz ihres unterfränkischen Kollegen Felix Amelingmeier, der beobachtet hatte, wie sich ein älterer Mann von der Würzburger Löwenbrücke in den Main gestürzt hatte. Amelingmeier sprang trotz der Nähe zu einer Schleuse und einem Wehr ins Wasser, konnte den Mann bergen und zu einer Rettungsleiter an der Kaimauer bringen.

Mut bewies auch Shu Ping Yau aus Hongkong, dessen Schicksal weit über Bayern hinaus Schlagzeilen gemacht hatte. Mit seiner Familie war er vor fast drei Jahren als Tourist im Freistaat unterwegs, um einige schöne Tage zu erleben. Stattdessen wartete auf ihn der blanke Horror. Am 18. Juli 2016 attackierte ein 17-jähriger Afghane in der Regionalbahn von Treuchtlingen nach Würzburg die Zugreisenden mit einem Beil und einem Messer - darunter die Familie aus Hongkong. Yau tat alles, um den Angreifer zurückzudrängen. Dabei wurde er selbst durch Stiche und Schnitte sowie durch einen Schlag mit der Axt auf den Kopf schwer verletzt. Er kämpft noch immer mit den schrecklichen Erinnerungen.

"Wichtig ist allein, dass die Frau am Leben ist"

Andreas Imhof aus Ingolstadt sagt indes, dass er nach seinem lebensrettenden Einsatz keinerlei psychische Beeinträchtigungen spürte - dabei hat auch er Traumatisches erlebt. Als er im März vergangenen Jahres in seiner Heimatstadt mit dem Auto über eine mehrspurige Eisenbahnbrücke fuhr, machte ihn seine Frau darauf aufmerksam, dass gerade eine weibliche Person über das Brückengeländer geklettert sei. Imhof hielt an, seine Frau stieg aus, um der Unbekannten zu folgen. "Meine Frau saß bereits auf dem Geländer. Da habe ich sie besorgt zurückgezogen." Kurz darauf aber kletterte der 56-jährige Wirtschaftsinformatiker dann selbst gemeinsam mit einem jungen Bundeswehrsoldaten über das Geländer.

Die offenbar lebensmüde Frau saß mittlerweile am Rand eines Blechvorsprungs, direkt über einem Gleis und einer Hochspannungsleitung. "Wir wollten sie nicht mit Gewalt zurückreißen, also habe ich angefangen, mit ihr zu reden", sagt Imhof. So etwa habe er gesagt: "Ich bin genau hinter dir, entspann dich, atme tief durch." Das wirkte, die Frau, die am ganzen Körper zitterte, lehnte sich schließlich an ihn an. "Lass uns gehen, ich habe Angst. Das ist hier kein guter Platz für uns", habe er noch gesagt. Dann habe sich die Frau zum Geländer zurückziehen lassen. Der junge Soldat hob sie auf die sichere Seite. "Das war es eigentlich schon", sagt Imhof.

Dass er nun die Rettungsmedaille bekomme, sei ihm gar nicht so wichtig. "Wichtig ist allein, dass die Frau am Leben ist", sagt er. Imhof drückt damit aus, was vermutlich viele der Preisträger denken. Insgesamt 43 Lebensretter aus ganz Bayern werden heuer mit der Rettungsmedaille sowie weitere 59 mit der Christophorus-Medaille ausgezeichnet. "Sie alle sind Vorbilder", sagte Ministerpräsident Söder.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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